Zeitung für Solidarität und Widerstand

Rente am Limit: DIW will Babyboomer-Generation spalten

Millionen „Baby-Boomer“, die dieser Tage von Beitragszahler:innen zu Rentenempfänger:innen werden, stellen eine große Belastung für das Rentensystem dar. Diese Belastung nun durch längere Arbeitszeiten oder Umverteilung zwischen Rentner:innen anzugehen, wird das Problem nicht lösen und verzerrt die wahre Schieflage im Kapitalismus. – Ein Kommentar von Enrico Telle.

Große Schlagzeilen kurz vorm Sommerloch verursachte vor wenigen Wochen die Veröffentlichung einer Studie durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Diese kam mit einer neuen Idee für das deutsche Rentensystem daher: Relativ „wohlhabende“ Boomer sollen für jene aufkommen, die weniger bekämen, somit würde die Armutsrisikoquote von momentan 18 Prozent auf knapp 14 Prozent sinken – ohne diejenigen, die weiter einzahlen, noch stärker zu belasten oder länger arbeiten zu lassen.

Ab einem Freibetrag von 1.000 Euro sollen laut Reformvorschlag dann also die Alterseinkünfte progressiv „besteuert“ werden – man hat wohl eine sehr weite Definition von „wohlhabend“ beim DIW.

Dort sieht man den Vorschlag als im Gegensatz zu den aktuellen Plänen der Regierungskoalition stehend, die steigende Rentenbeiträge und Steuerzuschüsse vorsehen, um mit den klammen Rentenkassen umzugehen.

Falsch Herr Fratzscher! – Der Kapitalismus IST das Problem

Kritik von rechts: Junge Union fordert Sozialstaatsabbau

Trotzdem stößt der Vorschlag in unterschiedlichen Lagern auf scharfe Kritik, da ja hier nun das Gros der Baby-Boomer seinen hart erarbeiteten Lebensabend wieder abspecken soll.

Die Junge Union z.B. meint, Altersarmut würde ohnehin schon auf verschiedene Weisen völlig ausreichend behandelt, und fordert ihrerseits eine stärkere Entlastung der jüngeren Generationen, die sie hier nicht fände. Der eigene Vorschlag wiederum sieht vor, statt die Einkommen der Arbeiter:innenklasse stärker zu besteuern, einfach an anderer Stelle schlicht den „Sozialstaat“ zu kürzen. So fabuliert der Vorsitzende Johannes Winkel im Deutschlandfunk davon, „Frühverrentungsmaßnahmen“ oder die Ausweitung der Mütterrente zu stoppen.

Erwartungsgemäß werden also auch hier Arbeiter:innen gegeneinander ausgespielt: Während das Institut ältere Arbeiter:innen stärker belasten will, um die Krise zu lösen, fordert die Junge Union, Arbeiter:innen lieber länger ans Fließband zu schicken, oder Frauen zu belasten – die ja ohnehin besonders bedroht von Altersarmut sind, da sie meist weniger ins Rentensystem einzahlen. Die Regierung wiederum will das Problem einfach durch eine Mehrbelastung der derzeit arbeitenden Teile der Klasse lösen.

Peanuts verschieben ist zum Scheitern verurteilt

Ohne lange zu suchen, findet man also die große Gemeinsamkeit aller Kontrahenten in der Debatte: Beide wollen nicht dem Kapital an den Kragen, sondern überlegen, wie man ohne große Veränderung – mit ein paar leichter verd Stellschrauben – das System etwas stabiler machen könnte. Dass das nur Unsinn sein kann, merkt auch der Sozialverband VdK an. So fordert dessen Vorsitzende Verena Bentele „kluge, faire und solidarische Abgaben auf Vermögen und Erbschaften“.

Diese Idee ist wesentlich weniger radikal, als man heute annehmen könnte: noch bis ins Jahr 1996 existierte in Deutschland eine wesentlich weitreichendere Vermögens- und Erbschaftssteuer. Deren Modernisierung wurde erst unter der Regierung von Helmut Kohl verhindert, was de facto zu ihrer Abschaffung führte.

Damals war die Rente der Baby-Boomer noch weit weg, und doch nahm der Staat billigend in Kauf, den Sozialsystemen einen empfindlichen Schlag zu verpassen. Die Auswirkungen dieser Politik spüren wir jetzt nicht nur im sozialen Bereich oder der Infrastruktur, sondern auch bei der Rente.

Denn, wie der VdK richtigerweise mahnt: die Rente reicht nicht. Das zeichnet sich auch bei den aktuellen Gehältern von mehr als 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland ab: Weniger als 3.500 Euro Brutto verdienen sie im Monat. Das geht aus einer kleinen Anfrage der Linken hervor, die vorrechnen, dass ab einem Bruttogehalt von 3.300 Euro das Risiko der Altersarmut rapide ansteigt. Für 20,9 Prozent der Gesellschaft sieht es noch viel düsterer aus: sie verdienen weniger als 2.750 Euro brutto – mit solch einem Gehalt ist die Altersarmut quasi gesichert.

Altersarmut auf neuem Hoch – Rentnerinnen besonders betroffen

Es muss endlich an die Wurzel des Problems

Immer mehr Menschen blicken in unserer Gesellschaft also nach Jahrzehnten der Vollzeitanstellung der Altersarmut entgegen, während diejenigen, die sich an ihrer Arbeit bereichert haben, sich die nächste Yacht kaufen. Das ist das Klientel, die das DIW und die Junge Union mit ihrer Augenwischerei bedienen, das ist die Klasse, die daher auch in ihrer Rechnung überhaupt nicht vorkommt.

Das Problem in unserem Rentensystem sind nämlich weder die Alten, noch die Jungen, oder gar die Frauen. Es sind die Kapitalist:innen, deren Vermögen auch in Krisenzeiten immer weiter ansteigt, die aber niemand zur Kasse bittet. Denn während sie auch den letzten Cent aus uns Arbeiter:innen herauspressen, scheinen sie von jeder Verantwortung ausgenommen. Im Gegenteil subventioniert der Staat den Niedriglohnsektor noch massiv mit Aufstockungen.

Mehr als ein Sechstel der Arbeiter:innen mussten so im Jahr 2022 zusätzlich zu ihrer Beschäftigung noch Bürgergeld beantragen. Dieser Wert ist zwar in den vergangenen Jahrzehnten durch die Einführung des Mindestlohns gesunken, doch dass selbst dieser nicht zum Leben reicht bei einer Höhe von aktuell 12,82 Euro, sollte schon an sich ein Alarmsignal sein.

Mindestlohnerhöhung: Ein Grund zur Freude?

All das sind Symptome desselben Problems: Am Ende stehen in diesem System den Bedürfnissen unserer Klasse immer die Profitinteressen der Kapitalist:innen entgegen. Und solange wir diesen Widerspruch nicht auflösen, werden sie uns auch weiterhin jede Annehmlichkeit je nach Situation wieder abnehmen: sei das nun die Rente mit 58 oder 63 oder 67 ist oder der Mindestlohn. Oder im Fall der Generation unter 30 überhaupt irgend eine Art von auskömmlicher Rente oder angstfreier Zukunft.

Enrico Telle
Enrico Telle
Autor seit 2025. Enrico Telle ist ein kultur- und musikinteressierter Rheinländer, der nach einer handwerklichen Ausbildung nun im sozialen Bereich arbeitet. Er schreibt besonders gern über Sachthemen, sowie Arbeitskämpfe und Außenpolitik. Zum Entspannen und zu sich Finden wird Ab und An zum nächsten Park gejoggt oder auch mal Druck am Sandsack abgelassen.

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