Mit Beginn der Badesaison häufen sich Medienberichte über sexualisierte Übergriffe in Freibädern. Einige Orte reagieren darauf mit umfangreichen Kampagnen, durch welche die Badegäste aufgeklärt und Personal geschult werden sollen. Zahlreiche Medien und Parteien nutzen diese patriarchale Gewalt dagegen für rassistische Hetze. – Ein Kommentar von Ellen Wynn.
In einem Freibad in Gelnhausen (Hessen) hat eine Gruppe sehr junger Männer körperliche Übergriffe gegen mehrere Mädchen begangen. Mittlerweile haben sich acht Betroffene wegen des Vorfalls vom 22. Juni bei der Polizei gemeldet. Sie sind zwischen elf und 16 Jahren alt. Allein am Mittwoch wurde in vier Freibädern wegen Sexualstraftaten die Polizei gerufen, insgesamt waren neun Frauen und Kinder betroffen.
Diese Fälle männlicher Gewalt, besonders der Vorfall in Gelnhausen, sorgten wieder für Schlagzeilen in deutschen Medien. Doch das liegt vermutlich weniger an der patriarchalen Gewalt selbst, als vielmehr an der Tatsache, dass die Täter aus Gelnhausen syrische Staatsbürger sind. Damit dient diese öffentliche Gewalt an Frauen und Kindern vielen rechten Kolumnist:innen für neuerliche Hetze gegen Migrant:innen, indem etwa vom „Ende der Willkommenskultur“ geschrieben wird.
Und die Forderungen von rechtsgerichteten Influencern bis hin zu AfD-Spitzenpolitiker:innen lassen sich nicht mehr großartig unterscheiden von denen der Regierungsparteien: Sowohl SPD-Landrat Thorsten Stolz als auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) fordern eine sofortige Abschiebung der Täter.
Gemeinsames Merkmal der Täter: Geschlecht, nicht Herkunft
Inwiefern Abschiebungen von Tätern Gewalt an Frauen und Kindern reduzieren sollen, bleibt dabei jedoch unbeantwortet. Es sei denn, es geht den regierenden Parteien gar nicht um alle Frauen und Kinder, sondern nur um diejenigen in Deutschland. Noch wahrscheinlicher ist, dass es ihnen schlichtweg gar nicht um Frauen und Kinder geht. Denn dann müssten sie Täter mit deutschem Pass ebenso skandalisieren.
Laut Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) gab es 2024 bundesweit 423 erfasste Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Schwimmbädern und an anderen Badestellen. Von den erfassten 367 Tatverdächtigen besaßen 65 Prozent keine deutsche Staatsbürgerschaft. Diese Zahlen lassen sich für rechte Hetze zwar gut ausschlachten – lassen aber immer noch 130 Täter mit deutschem Pass übrig. Zudem sind diese Zahlen nur die „Hellziffer“ – also die Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden.
Wenn wir wirklich eine Gemeinsamkeit der Täter finden können, ist es ihr Geschlecht. Denn von den erwähnten 367 Tatverdächtigen waren 365 Männer, also 99 Prozent. Unter den 2024 erfassten Tatverdächtigen für „Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe“ sind ebenfalls 99 Prozent männlich – und 63 Prozent davon besaßen die deutsche Staatsbürgerschaft.
Mit diesen Zahlen lassen sich also weder Verschärfungen im Asylrecht – wie erhöhte Grenzkontrollen und die Aussetzung des Familiennachzugs – noch Kürzungen bei Sozialleistungen und sozialen Projekten rechtfertigen.
Kampagnen in Freibädern gegen sexualisierte Gewalt
Einige Städte oder Badeanstalten finden eine bessere Antwort auf patriarchale Gewalt in ihren Schwimmbädern und haben Kampagnen dazu gestartet – so zum Beispiel in Köln, Bielefeld oder Paderborn. Gerade in Anbetracht der sonstigen Kürzungen im Bereich Kinder- und Frauenschutz sind das begrüßenswerte Maßnahmen.
Bei vielen dieser Kampagnen wird an mehreren notwendigen Stellen angesetzt: Betroffene, besonders Kinder und Jugendliche, werden gestärkt, ohne dass ihnen die Verantwortung zugeschoben wird. Alle Menschen werden aufgefordert, auf Übergriffe zu achten und einzugreifen. Insbesondere das Personal von Bädern und Badestellen wird geschult, um im Falle von Tätlichkeiten richtig zu handeln. Dazu sollen die Kampagnen auch präventiv wirken, weil sie möglichen Tätern zeigen, dass sie Belästigungen oder Angriffe nicht unbeobachtet oder folgenlos begehen können.
Diese Maßnahmen sind nicht nur wichtig, um uns vor patriarchaler Gewalt zu schützen, sondern auch, damit diese Gewalt einen Teil ihrer Wirkung verliert: nämlich Frauen und Mädchen aus dem öffentlichen Raum zu drängen, indem sie uns dauerhaft in Angst versetzt. Allerdings reichen solche Kampagnen bei weitem nicht aus, wenn wir die steigende Gewalt an Frauen betrachten – Gewalt, die auch Folge derselben gesellschaftlichen Entwicklung nach rechts ist, die sie dann für ihre rassistische Hetze verwendet.
Gewalt an Frauen und Kindern, patriarchale Gewalt, sollte Schlagzeilen machen. Sie sollte zu einem Aufschrei führen, sollte uns alle wütend machen. Das ist aktuell aber nicht der Fall. Dass in Deutschland jeden Tag eine Frau aufgrund ihres Geschlechts von einem Mann ermordet wird, ist den großen Medienhäusern nur eine Randnotiz wert. Femizide werden dort regelmäßig als „Beziehungsdramen“ relativiert. Der mediale und politische Aufschrei im Fall Gelnhausen erfolgt aus Rassismus heraus – und dieser Rassismus sollte uns genauso wütend machen.