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Skandalurteil in München: Faschistischer Polizist bleibt im Dienst

Ein bayerischer Polizist fantasiert von KZs und beendet Chatnachrichten mit „Heil Hitler“. Doch ein Gericht beschließt: Er darf im Amt bleiben. Was es mit Michael R. auf sich hat und warum das Urteil keine Überraschung ist. – Ein Kommentar von Alex Lehmann.

Michael R., ein bayerischer Polizeibeamter, der sich „KZs für Ausländer“ wünscht und Chatnachrichten mit „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“ beendet, darf im Amt bleiben. – So entschied der Münchener Verwaltungsgerichtshof (VGH) in seinem vor kurzem veröffentlichten Urteil gegen R.

Bei vielen Menschen sorgt das Urteil für Empörung. Selbst in rechtskonservativen Medien wie WELT und BILD zeigt man sich erschüttert und „fassungslos“. Frederik Schindler, Politikredakteur bei der WELT, findet: die Rechtsprechung „ist in keiner Weise nachvollziehbar.“ Dabei ist das Urteil des VGH eigentlich ein gutes Beispiel für den Normalbetrieb im deutschen Staat.

Vielzahl faschistischer Aussagen

Der heute 45-jährige Michael R. arbeitete in Bayern als polizeilicher Personenschützer. Zeitweise war er in dieser Funktion zum Beispiel für Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, eingesetzt. Negativ aufgefallen sei R. im Dienst dabei nie. Ins Visier der Justiz kam der Beamte, weil er vertrauliche dienstliche Informationen unbefugt an Kolleg:innen, eine Staatsanwältin und eine Tante weitergegeben haben soll.

Doch auf den Geräten des Personenschützers wird noch mehr gefunden: R. beendet seine Nachrichten mit „HH“ oder „SH“ – kurz für „Heil Hitler“ oder „Sieg Heil“. Er beschwert sich darüber, dass „nur Kanaken im Zug“ sind, findet KZs für Migrant:innen, die sich nicht an Corona-Regeln hielten, „vernünftig“ und würde Frau Charlotte Knobloch gerne „schön braun, mit Fähnchen“ vor die Tür scheißen.

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Klare rassistische und antisemitische Äußerungen, die ein faschistisches Weltbild beim Polizeibeamten nahelegen – könnte man meinen. Aber nicht, wenn es nach dem VGH München geht: Für das Gericht sind „HH“ und „SH“ nur ein „Spielen mit dem Verbotenen“. „Nur Kanaken im Zug“ könne man als „als deutlich überspitzte Kritik an der Flüchtlingspolitik der damaligen Regierung unter Bundeskanzlerin Merkel“ verstehen.

Dass Michael R. Konzentrationslager für Migrant:innen „vernünftig“ finden würde, könne man nach Meinung des VGH auch als Forderung nach einer radikalen Ausgangssperre zur Eindämmung der Pandemie verstehen. Und der Wunsch danach, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München vor die Tür zu scheißen, könnte laut dem VGH auch dazu dienen, „eine Mächtigkeit über sich selbst im Sinne einer Selbstwirksamkeit, Autonomie und Kontrolle zurückzugewinnen“.

Insgesamt könnten der gesamte Prozess und das Urteil genauso gut eine Satire-Sendung sein, über die manche dann vielleicht sogar lachen könnten. Aber hier geht es eben nicht um einen schlechten Scherz, sondern um ein reales deutsches Gericht, das einen echten faschistischen Polizeibeamten wieder in den Dienst gebracht hat.

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Das Münchener VGH sieht in den Äußerungen des Beamten keine Abkehr von der Demokratie und lehnt die ursprüngliche Entlassung durch das Münchener Polizeipräsidium, sowie die Herabstufung um zwei Dienstgrade ab. Nun soll er um nur einen Dienstgrad heruntergestuft werden und künftig im Innendienst arbeiten.

Kein Einzelfall

Gerade die zynischen Erklärungen des Gerichts und dass ausgerechnet Michael R. zum Schutz jüdischer Personen eingesetzt wurde, befeuern den Skandal noch einmal. Und natürlich wird sich zurecht empört, aber man muss den Fall Michael R. im Kontext der sonstigen rechten und faschistischen Vorfälle und Gewalttaten sehen, die von deutschen Sicherheitsbehörden ausgehen.

Denn Michael R. ist kein Einzelfall, sondern Teil eines Staats, der aufs engste mit der faschistischen Bewegung verbandelt ist und in dessen Behörden sich tausende Rechtsgesinnte tummeln. Ob in München, Frankfurt, Hamburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg oder sonst wo: rechte und faschistische Polizei-Chats gibt es überall in Deutschland.

Dass Polizist:innen oder andere Beamt:innen in Sicherheitsbehörden ein rechtes bis faschistisches Weltbild haben und sich darüber untereinander austauschen, ist also erst einmal nichts Neues, sondern eher der Normalzustand. Auch, dass die entsprechenden Beamten in den seltensten Fällen bestraft und entlassen werden, ist dann eigentlich folgerichtig. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs.

Staat und Nazis Hand in Hand …

Denn die Verstrickungen von Staat und Nazis reichen viel weiter und tiefer als im Fall des Michael R.: angefangen bei Hans-Georg Maaßen, dem ehemaligen Chef des Verfassungsschutzes – mittlerweile selbst von seiner ehemaligen Behörde als Rechtsextremer beobachtet – über faschistische Abgeordnete in deutschen Parlamenten bis hin zu Terrorgruppen wie dem NSU mit Verbindungen zu Geheimdiensten.

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Der gesamte Sicherheitsapparat der Bundesrepublik ist und war schon immer voll von Nazis. Und dabei wurde er nicht von den Rechten „unterwandert“, sondern wurde durch Altnazis aufgebaut. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ging aus der Organisation Gehlen hervor. Diese war benannt nach ihrem Gründer und Leiter Reinhard Gehlen, der Wehrmachtsgeneral und Leiter des anti-sowjetischen Nachrichtendienstes im Hitler-Faschismus war.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wurde danach zwischen 1955 und 1972 vom Ex-SA-Mann Hubert Schrübbers aufgebaut und geleitet. Im 3. Reich war er jahrelang als Oberstaatsanwalt tätig gewesen und stellte beim Aufbau des neuen Inlandsgeheimdienstes (BND) der Bundesrepublik gezielt ehemalige SA-Männer ein. Ähnliche Geschichten haben auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) und das Bundeskriminalamt (BKA).

Der Fall Maaßen: Staat und Nazis Hand in Hand

… unsere Antwort: Widerstand!

Also: Wer über das Urteil des VGH München empört ist, ist das zu Recht. Aber wer wirklich etwas gegen den zunehmenden Faschismus tun will, darf bei dieser Empörung nicht stehen bleiben.

Michael R. ist kein Fehler im System, aber ein gutes Beispiel dafür, wie das System funktioniert: Wer als Polizist privat einfach mal mit Freunden „abhitlert” und die systematische Vernichtung von Minderheiten in Konzentrationslagern für „vernünftig“ hält, darf seinen Job behalten. Wer sich andererseits gegen den Kapitalismus oder für ein freies Palästina einsetzt, muss mit Strafverfahren, Haftstrafen, einer Kündigung und vielleicht sogar einer Abschiebung rechnen.

Alex Lehmann
Alex Lehmann
Perspektive Autor seit 2023. Jugendlicher Arbeiter im Einzelhandel aus Norddeutschland, schreibt gerne Artikel um den deutschen Imperialismus und seine Lügen zu enttarnen. Motto: "Wir sind die Jugend des Hochverrats!"

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