Zeitung für Solidarität und Widerstand

Solidarität statt menschenfeindlicher Abschiebepolitik

Die Verschärfung der Migrations- und Asylpolitik ist mittlerweile keine abstrakte Debatte im Wahlkampf oder im Bundestag mehr, sondern zeigt immer mehr ihre Wirkung: Familien werden auseinandergerissen, jungen Menschen eine Zukunft verbaut, kapitalistische Verwertungslogiken über menschliche Schicksale gestellt. Entwickeln wir eine sozialistische Alternative um die rassistische Migrationspolitik zu überwinden. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Keine Grenzkontrollen, endlich Reisefreiheit: In den 1980er Jahren galt ein gemeinsames und geeintes Europa den mächtigen europäischen Staatsmännern als große Verheißung. Nach mehreren Jahren der Annäherung verkündeten der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und der französische Präsident François Mitterrand 1984, dass sie die Grenzen zwischen ihren Ländern abschaffen wollen – damals ein Meilenstein für die beiden Länder, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts immer wieder Krieg miteinander geführt hatten.

Nachdem ein Jahr später, also vor 40 Jahren, das Schengener Abkommen beschlossen und die Abschaffung der Kontrolle der Binnengrenzen zwischen Frankreich, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden und Belgien umgesetzt wurde, wurde ab Mitte der 1990er Jahre das freie Reisen in Europa tatsächlich Realität – nicht zuletzt auch für billigere Arbeitskräfte aus Osteuropa, die so unkompliziert dorthin gebracht werden können, wo sie gebraucht werden.

Bis heute haben 29 Länder das Abkommen unterzeichnet, das 40-jährige Bestehen des Abkommens wurde mit einem Festakt gefeiert – und trotzdem gibt es seit 2024 an den deutschen Grenzen wieder Kontrollen. Diese wurden 2024 vom deutschen Innenministerium angeordnet, um Migrant:innen und Geflüchtete daran zu hindern, nach Deutschland einzureisen. Die „Eindämmung” der Migration und der „Schutz der inneren Sicherheit” seien heute, so das Innenministerium, höher gestellt als die Freiheit, die innereuropäischen Grenzen ohne Kontrollen zu überschreiten.

Regierung will massiven Druck auf Geflüchtete ausüben

Deutschland setzt auf Abschottung

Es ist ein doppeltes Spiel: Parallel zur Öffnung durch das Schengener Abkommen höhlt Deutschland das Recht auf Asyl für Geflüchtete seit Jahrzehnten aus. Was 1993 mit der Einführung sogenannter sicherer Herkunftsländer beim „Asylkompromiss” als Reaktion auf rassistische Pogrome gegen Geflüchtete begann, wurde mit den Asylpaketen I und II 2015 und 2016, bei denen unter anderem Leistungskürzungen und Abschiebungen ohne Ankündigungen beschlossen wurden, fortgeführt. Und auch heute wird das Grundrecht auf Asyl immer weiter abgebaut – sei es mit dem deutschen Rückführungsverbesserungsgesetz oder der europäischen GEAS-Reform (Gemeinsames Europäischen Asylsystem).

Diese Gesetze werden auch in die Tat umgesetzt. Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland steigt nach einem Einbruch während der Corona-Pandemie seit einigen Jahren wieder stark an, im ersten Quartal 2025 liegt sie bereits bei über 6.000 Personen – Tendenz weiter steigend. Innenminister Alexander Dobrindt hat bereits angekündigt, die Abschiebungen noch in diesem Jahr weiter auszuweiten, die Grenzkontrollen aufrecht zu erhalten, den Familiennachzug auszusetzen und auch in Länder wie Afghanistan und Syrien abschieben zu wollen. Migrant:innen und Geflüchtete werden dauerhaft von den Faschist:innen und bürgerlichen Parteien wie CDU und SPD als Sündenböcke für die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus dargestellt.

Trotz Gerichtsentscheid: Dobrindt hält an Zurückweisungen fest

Über die Schicksale derer, die abgeschoben werden erfahren wir nur noch dann, wenn die Abschiebebehörden mit einer über das mittlerweile „normale Maß” hinausgehenden Brutalität vorgehen. Der sächsische Flüchtlingsrat beispielsweise verurteilte im Juni öffentlich die Abschiebung einer Familie aus Dresden nach Georgien: Während der Vater auf der Intensivstation lag, setzten die Behörden die Abschiebung der Mutter und zweier Kinder durch. Dieses „unmenschliche Verhalten”, so der Flüchtlingsrat, widerspreche selbst dem Leitfaden für die „Rückführungspraxis“, die sich der Freistaat Sachsen gegeben habe.

Abschottung ist Teil der imperialistischen Strategie

Sich einem Abkommen für offene Grenzen anschließen, und trotzdem Grenzkontrollen durchführen um Geflüchtete zurückzuweisen? Einen Leitfaden für humane „Rückführungspolitik” aufstellen und dann trotzdem Familien auseinanderreißen um Abschiebungen durchzuführen? Diese scheinbaren Widersprüche sind Ausdruck der strategischen Migrationspolitik eines imperialistischen Staates, der einerseits auf Migration angewiesen ist um den Kapitalist:innen genügend Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen und andererseits mit äußerster Brutalität all diejenigen zurückdrängen möchte, für die das Kapital keine direkte Verwendung hat.

Mehr und mehr ist der deutsche Staat heute auch bereit, die weltoffene Maskerade fallenzulassen und stattdessen auf offene Abschreckung zu setzen. In diesem Zusammenhang senden die Grenzkontrollen, die Abschiebungen, aber auch das Lagersystem für Asylbewerber:innen in Deutschland oder die Schikane durch die Ausländerbehörden allesamt ein deutliches Zeichen an Migrant:innen: Nur der deutsche Staat entscheidet, wer einreisen und bleiben darf.

Zu dieser imperialistischen Strategie gehört es neben der Steuerung und Kontrolle der Migration auch, unsere Klasse anhand der Herkunft, des Aufenthaltsstatus und der Staatsbürgerschaft zu spalten. Der zugrunde liegende Gedanke ist einfach: Sind wir gespalten, kann uns das Kapital besser ausbeuten und mehr Profite aus unserer Arbeitskraft erzielen. Auf Grundlage einer tatsächlichen ökonomischen Ungleichbehandlung von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, auch innerhalb der größeren Gruppe der Migrant:innen, entsteht so auch in Deutschland ein flexibles System sozialer Hierarchie, in der wir Arbeiter:innen anfangen, uns gegenseitig als Konkurrent:innen wahrzunehmen. Dieses Konkurrenzverhältnis bildet den Nährboden für Rassismus und Chauvinismus – nicht nur von deutschen Arbeiter:innen gegenüber Migrant:innen, sondern auch unter Migrant:innen selbst.

Das ist bei weitem keine Politik, die so nur in Deutschland umgesetzt wird. Stattdessen ist dieser Umgang mit Migration jedem kapitalistischen Land zu eigen und findet jeweils verschiedene Ausdrücke. Deutschland hat, wie auch bei anderen Großangriffen auf unsere Klasse, eher die Tendenz, lange Zeit gemäßigt und beinahe behutsam zu agieren um die innere Stabilität nicht unnötig zu gefährden. Andere imperialistische Staaten setzen hingegen auf deutlich offensivere Maßnahmen.

Die Zuspitzung der Abschottung der USA unter Präsident Donald Trump ist ein Beispiel, das uns vor Augen hält, wohin sich bürgerliche Staaten auch ohne einen voll entfalteten Faschismus mit dieser Strategie entwickeln: Im Juni überfielen bewaffnete Einheiten der amerikanischen Einwanderungs- und Zollbehörde (Immigration und Custom Enforcement – ICE) Los Angeles, um gezielt tausende Arbeitsmigrant:innen ohne Aufenthaltserlaubnis festzunehmen und zu deportieren.

„Operation At Large“: Trumps Krieg gegen Migrant:innen und Protestierende

Widerstand gegen die Spaltungspolitik

Gerade gegen diese besondere migrationspolitische Eskalation regte sich in den USA aber auch vehementer Widerstand: Nachbarschaftsorganisationen, die schon seit Jahren gegen die Angriffe auf Arbeiter:innen durch ICE-Beamt:innen mobilisieren, spontan Protestierende und Aktivist:innen stellten sich solidarisch an die Seite der von Deportationen bedrohten Arbeiter:innen. Sie schafften es sogar, sich der von Trump zur Unterstützung von ICE nach Los Angeles beorderten Nationalgarde zu widersetzen und sorgten durch ihre Demonstrationen letztlich auch dafür, dass Trump seine Abschiebeoffensive vorerst teilweise stoppen musste und ICE wieder an die Leine nahm.

Und auch in Deutschland regt sich, wenn auch deutlich zaghafter, Protest gegen Abschiebungen. Vor allem Schüler:innen, aus deren Mitte Kinder und Jugendliche zuletzt immer wieder von Beamt:innen der Abschiebebehörden gerissen werden sollten, engagieren sich vermehrt offen für Abschiebestopps. Noch sind diese Proteste vereinzelt und beziehen sich nur auf sehr konkrete Forderungen rund um konkrete Fälle. Doch die deutsche Migrationspolitik und die Abschiebeoffensive von Merz und Dobrindt werden uns in Zukunft noch deutlicher machen, dass diese Fälle nicht für sich stehen, sondern Teil der Angriffe auf unsere Klasse im Ganzen sind.

Weil Abschottung, Abschiebung und der Abbau der Asylrechte so tief verwoben mit dem kapitalistischen Ausbeutungssystem sind, muss unsere Antwort dementsprechend ebenso tiefgehend sein. Unsere Strategie, die Strategie der Sozialist:innen, muss dabei von dem Ziel ausgehen, die Arbeiter:innen aller Herkünfte und aller Schichten im gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus zu vereinen. Nur wenn wir es schaffen, den Imperialismus als Ganzes zu überwinden, werden wir auch unsere Spaltung durch Rassismus und Chauvinismus dauerhaft beenden.

Dazu gehört heute unter anderem unsere deutschen Kolleg:innen, Nachbar:innen, Freund:innen und Familien über Rassismus aufzuklären – sowohl über den Rassismus des deutschen Staates und seiner Behörden und den monopolistischen Medien als Mittel der Spaltung unserer Klasse, als auch über den alltäglichen Rassismus, der diesen grundlegenden gesellschaftlichen Spaltungsmechanismus im Kleinen in unserer Klasse fortführt und reproduziert. Schaffen wir das, legen wir einen wichtigen Grundstein um gemeinsam und unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Staatsangehörigkeit als Klasse vereint zu kämpfen.

Es ist außerdem schon heute an uns, auch in Deutschland die bürgerlichen Proteste gegen die Abschiebungen zu radikalisieren und eine Alternative aufzuzeigen, die jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik und jenseits der Sicht auf menschliche Arbeitskraft als Ware liegt. Um unserer Alternative Nachdruck zu verleihen wollen wir heute die ersten sein, die sich den verschiedenen Unterdrückungsformen des Kapitalismus in den Weg stellen. Wir Sozialist:innen werden da sein, wo gekämpft wird – gegen Abschiebungen, gegen Abschottung, für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 100 vom Juni 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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