Der Bundesrat entschied sich am Freitag nicht über eine Verordnung abzustimmen, die Daten zu Menschen, die vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch machen, einfacher zugänglich gemacht hätte. Das Thema ist damit aber nicht vom Tisch.
Eigentlich sollte am vergangenen Freitag im Bundesrat über die „Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes über Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag im Meldewesen“ abgestimmt werden. Bei der vom Bundesinnenministerium (BMI) ins Spiel gebrachten Verordnung ging es um eine Reform im Meldewesen des Selbstbestimmungsgesetzes.
Seit der Einführung dieses Gesetzes wird bei Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags ein neuer Datensatz für die Person angelegt und der alte gesperrt. Mit der neuen Verordnung wären neue Datensätze im Melderegister – inklusive dem früheren Geschlechtseintrag und Vornamen, dem Datum der Änderung und der zuständigen Behörde – geschaffen worden.
Diese Datensätze sollten dann laut Alexander Dobrindt jeder Zeit abrufbar sein und automatisch an mehrere Behörden weitergeleitet werden. So sah die Verordnung etwa vor, dass bei jedem Umzug einer Person die Meldebehörde über den ehemaligen Namen, Geschlechtseintrag, etc. informiert wird.
Dobrindts „Sonderregister“ über trans Personen zur Abstimmung im Bundesrat
Steigende Bedrohung für trans, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen
Dobrindts Vorstoß traf auf lautstarke Kritik, insbesondere von trans, nicht-binären, und intergeschlechtlichen Menschen, die von der Verordnung betroffen wären. Sie kritisieren, dass es so bei jedem Abruf der Daten offensichtlich wäre, wer vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch gemacht hat. Somit würde die Verordnung einen enormen Eingriff in ihre Privatsphäre darstellen.
Der Sachverhalt verschärft sich umso mehr, wenn man sich der steigenden Bedrohung und Gewalt gegenüber LGBTI+ Menschen bewusst wird. Die Verordnung würde vielen verschiedenen Behörden und Verwaltungsstellen die Einsicht, wer seinen Geschlechtseintrag hat ändern lassen, ermöglichen, und so die Gefahr enorm erhöhen, dass solch sensible Daten nach außen gelangen oder gar für systematische Verfolgung genutzt werden könnten.
Zuerst lieferte die neue Verordnung auch den Rahmen dafür, Listen von trans Personen anzufertigen, was später auf Drängen des Bundesrates in einem Zusatz verboten wurde. Eine Praxis, die an „Rosa Listen“ erinnert, die im Dritten Reich zur Verfolgung von schwulen Männern genutzt wurden. Die Erstellung solcher Listen sei aber auch trotz theoretischem Verbot technisch leicht umzusetzen, so die Journalistin und Aktivistin Julia Monro, nach Gesprächen mit IT-Expert:innen.
Begründet hatte das BMI die Verordnung damit, dass man so Personen die ihren Namen geändert haben in Behörden leichter identifizieren können soll. Außerdem wurde angeführt, dass man das Offenbarungsverbot, dass Menschen vor unfreiwilligem Outing am Arbeitsplatz oder im Sportverein schützen soll, besser durchsetzen könnte.
Thema nicht vom Tisch
Dass die Abstimmung im Bundesrat von der Tagesordnung genommen wurde, zeugt von Unsicherheit: Ob der Vorstoß des Innenministeriums eine Mehrheit bekommen hätte, bleibt fraglich.
Daran konnte wohl auch ein Schreiben der Bundesregierung an die Länder nichts mehr ändern, wie nd berichtet. In dem erst am Vortag zur Abstimmung eingetroffenen Schreiben, heißt es, eine Ablehnung der Verordnung stelle ein Sicherheitsrisiko dar, weil ohne sie alle Dokumente händisch bearbeitet und postalisch verschickt werden müssten.
Das Familienministerium NRW wehrte sich besonders gegen die Änderung und das Land brachte einen Antrag auf Ablehnung der Verordnung ein. Der Bundesrat zeigt sich also gespalten, eine ähnliche Lage zeichnet sich auch auf Bundesebene ab: Auch wenn der für die Einbringung der Verordnung federführende Rechtsausschuss eine Annahme empfahl, gab es Gegenwind vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Auch die SPD lehnte Dobrindts Vorstoß Ende August noch ab.
Der Rückzieher vor der Abstimmung bedeutet aber keinesfalls, dass das Thema endgültig vom Tisch ist: Das BMI schließt daraus, „dass seitens der Länder zu den Inhalten der Verordnung noch Gesprächsbedarf besteht“.
Das Taktieren geht also weiter, denn die Verordnung kann in anderer oder gar der selben Form wieder eingebracht werden. Das wäre für den Bundesrat nicht unüblich. In Verhandlungen und Hinterzimmergesprächen wird die Sicherheit von trans Personen wie ein Spielchip in der Politik gehandelt und kommt möglicherweise wieder zur Abstimmung.

