Zeitung für Solidarität und Widerstand

Generalstreik gegen Rentenreform – Brüssel in Aufruhr

In der belgischen Hauptstadt regt sich Widerstand gegen die geplanten Sozialkürzungen durch die rechte Regierung. Der Generalstreik legte weite Teile des Landes lahm. In welchem Kontext das steht und was wir daraus lernen können. – Ein Kommentar von Vinzent Kassel.

Am Dienstag initiierten politische Gruppen in Brüssel einen Generalstreik, ca. 80.000 Menschen nahmen teil – das entspricht rund 40 Prozent der Bevölkerung der Stadt Brüssel. Aufgerufen hatten hierzu die drei bedeutendsten Gewerkschaften Belgiens: Der Allgemeine Christliche Gewerkschaftsbund (ACV/CSC), die linke Allgemeine Belgische Gewerkschaft (ABVV/FGTB) und der Liberale Gewerkschaftsbund (ACLVB/CGSLB).

Die Proteste richteten sich hauptsächlich gegen die geplanten Kürzungen in der Sozialpolitik der Regierung. Seit Januar 2025 steht Bart de Wever von der rechtsnationalistischen Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) der Regierung als Premierminister vor. Seine Koalition besteht neben der N-VA aus mehreren konservativen und liberalen Parteien, die zusammen die sogenannte Arizona-Koalition bilden.

Verkehrsinfrastruktur weitgehend lahmgelegt

Bereits in den frühen Morgenstunden des Dienstags bildeten sich die ersten von Demonstrant:innen errichteten Straßenblockaden in der belgischen Hauptstadt. Doch nicht nur der Straßenverkehr in Brüssel wurde lahmgelegt. Durch die Arbeitsniederlegung tausender Protestierenden konnten auch die öffentlichen Nahverkehrsmittel nicht mehr bedient werden. Weiterhin musste auch der Schiffverkehr in Europas zweitgrößtem Hafen in Antwerpen eingestellt werden. Ebenso konnten die beiden Flughäfen mit den höchsten Passagieraufkommen Belgiens in Brüssel und in Charleroi ihren Betrieb aufgrund von Personalmangel nicht aufrechterhalten.

Die Gründe für diese Massenproteste sind dabei vielschichtig. Laut den Aktivisti:innen von Kolektyw Dziennikarstwa wurden auf den Protesten vor allem die Rentenkürzungen, aber auch die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen generell, die Budgetkürzungen im Kultur- und Bildungsspektrum und die Haltung der Regierung in Bezug auf Migration, den Genozid an den Palästinenser:innen und der zerstörerische kapitalistische Klimawandel angeprangert.

Rentenreform im Mittelpunkt der Kritik

Vor allem die geplante Anhebung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre stößt in der breiten Bevölkerung auf Kritik. Thierry Bodson, Präsident der linksgerichteten Gewerkschaft Fédération générale du travail de Belgique (FGTB), äußerte sich kämpferisch: „Eine ganze Generation weigert sich, dass in sechs Monaten zerstört wird, was unsere Eltern und Großeltern aufgebaut haben“.

Da das erwartete Haushaltsdefizit für nächstes Jahr auf 36 Milliarden Euro geschätzt wird, plane die rechte Regierung Belgiens schon seit Beginn ihrer Amtszeit Sparmaßnahmen durchzuführen. Dies führte dazu, dass bereits am 31. März dieses Jahres zu einem Generalstreik aufgerufen wurde, welcher große Teile des öffentlichen Sektors sowie den Verkehr beeinträchtigte. Bereits vor gut einem halben Jahr stand die Rentenreform im Mittelpunkt, die neben der Erhöhung des Renteneintrittsalters auch den Zugang zur Mindestrente erschwert.

Generalstreik gegen Rentenreform in Belgien

Die Einsparungen sind laut der Regierung notwendig, um der Aufrüstung des Landes ausreichend nachzukommen. Premierminister de Wever sucht deshalb ähnlich wie die Bundesregierung in Deutschland händeringend nach Möglichkeiten, finanzielle Mittel kürzen zu können.

Neben dem Haushaltsloch sitzt ihnen dabei auch noch die NATO im Nacken. Belgien gehört zusammen mit Luxemburg, Spanien und Slowenien zu den NATO-Staaten mit den geringsten Verteidigungsausgaben. Im Jahr 2024 betrugen diese 8,6 Milliarden US-Dollar. Das entsprach rund 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deshalb hat de Wever sich als Ziel gesetzt, bis 2029 das jährliche Verteidigungsbudget auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben.

Internationaler Widerstand?

Der Protest reiht sich in eine aktuelle Dynamik international ein. In Nepal und Madagaskar haben Aufständische die jeweiligen Regierungen vor Kurzem gestürzt. In Marokko und Algerien gab es die letzten Wochen ebenfalls Aufstände der jungen Bevölkerung. Der Kampf der Palästinenser:innen sollte in dieser Auflistung nicht fehlen. All das lässt die Arbeiter:innen in Europa sicherlich nicht ganz kalt. Und auch in Europa selbst rumort es.

Ähnlich wie in Belgien legten vergangene Woche Arbeiter:innen in Italien und Frankreich sowie diese Woche in Griechenland ihre Arbeit nieder und gingen aus Protest auf die Straßen. Während es in Frankreich u.a. auch um die Rentenpolitik ging, gab in Italien die Palästinasolidarität den Auslöser. In Griechenland ist ebenfalls eine geplante Verlängerung der Arbeitszeit in der Kritik.

Der aktuelle Trend in verschieden großen westlichen kapitalistischen Staaten, Sozialleistungen zu beschränken, um Arbeiter:innen vergünstigt zur Ausbeutung in den Wirtschaftsmarkt zu drängen und die Rüstungspolitik anzukurbeln, kennen wir aus Deutschland. Hierzulande formiert sich der Widerstand langsam, am ehesten sichtbar in der Palästinabewegung. An Szenen wie in anderen Ländern und konkret einem politischen Streik wie dem Generalstreik in Brüssel können wir uns ein Beispiel nehmen: auch oder konkret in der Frage der Verteidigung unserer Renten und des 8-Stundentags.

GroKo-Pläne: 48-Stunden Woche, 12-Stunden Arbeitstag – und bald auch Rente mit 70?

Vinzent Kassel
Vinzent Kassel
Perspektive Autor seit 2024. Schwäbischer Student mit einem Faible für Geographie und Sport. In der Freizeit hauptsächlich in der Kurve anzutreffen, aber auch immer wieder mal auf der Straße bei Demos aktiv.

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