Zeitung für Solidarität und Widerstand

Die Wehrpflicht kommt – Schwarz-Rot streitet aber über wann und wie

Die Union blockiert die Bundestagsdebatte zum Entwurf des Wehrdienstgesetzes. Abgeordnete der Union fordern eine Verschärfung von Pistorius’ Entwurf und ein Abrücken von der Freiwilligkeit. Währenddessen werden Forderungen laut den „Spannungsfall“ in Deutschland auszurufen.

Eigentlich hätte der Entwurf des neuen Wehrdienstgesetzes schon am Donnerstag in die erste Lesung im Bundestag gehen sollen. Die Debatte wurde nun aber auf nächste Woche verschoben. Grund ist ein Konflikt in der Regierungskoalition: Die Union will den Entwurf von Kriegsminister Boris Pistorius noch vor der ersten Lesung nachschärfen.

Es geht den Politiker:innen der Union dabei erneut um die Frage der Freiwilligkeit. Der derzeitige Entwurf sieht nur eine verpflichtende Musterung bei jungen Männern vor, eine Pflicht zum Wehrdienst soll es aber vorerst nicht geben. Diese soll dann bei Bedarf später hinzu kommen. CDU und CSU halten eine sofortige Wehrpflicht für notwendig, um die Personallücken in der Bundeswehr schnell ausreichend füllen zu können.

Ein weiterer Machtkampf in der Regierungskoalition

Die Forderung einer sofortigen Wehrpflicht äußerten in der vergangenen Woche mehrere prominente Politiker:innen der Union. Außenminister Johann Wadephul erklärte „Ich bin für die sofortige Wehrpflicht“, versuchte aber auch zu beschwichtigen: „Aber das müssen wir in der Koalition miteinander besprechen“. Zuvor hatte Wadephul sogar einen sogenannten Ministervorbehalt gegen den Gesetzesentwurf eingelegt, diesen aber selbst wieder zurückgezogen. Auch Fraktionschef Jens Spahn pflichtet Wadephul bei.

Die Wehrpflicht kommt – unser Widerstand auch

Weniger diplomatisch drückt sich CSU-Chef Markus Söder aus. Gegenüber der Bild am Sonntag sagte er: „An der Wehrpflicht führt kein Weg vorbei. Halbe Sachen reichen nicht mehr. Eine Wischi-Waschi-Wehrpflicht hilft niemandem. Freiwilligkeit kann nur ein erster Schritt sein. In Zeiten großer Bedrohung brauchen wir mehr als eine Fragebogen-Armee.“

Boris Pistorius wirft der Union hingegen Fahrlässigkeit vor und fordert die Regierungskolleg:innen auf „am Zeitplan festzuhalten und sich so einzubringen, wie es das parlamentarische Verfahren vorsieht“.

Die aufgeheizte Debatte wirft dabei Fragen der Sinnhaftigkeit dieser auf, denn die tatsächlichen Differenzen zwischen den Regierungsparteien sind verschwindend gering. Zwar pocht die Union darauf schon jetzt die Möglichkeit eines verpflichtenden Wehrdiensts in das Gesetz aufzunehmen, Pistorius schließt diese Möglichkeit jedoch keineswegs aus. Der Verteidigungsminister will lediglich zunächst versuchen, die nötige Zahl an Soldat:innen durch eine attraktive Gestaltung eines freiwilligen Wehrdiensts zu erreichen. Je nach Sicherheitslage und Erfolg der Musterungen räumt Pistorius ein, später Soldat:innen verpflichtend einzuziehen.

Im Grunde sind sich Union und SPD also einig, dass ein neuer Wehrdienst kommen soll und keiner richtet sich grundlegend gegen eine Wehrpflicht. Vielmehr ist die Debatte ein erneuter Ausdruck des Machtkampfs in der Merz-Regierung. So lässt sich auch die recht plötzliche Blockade der Union erklären, obwohl man sich Ende August bezüglich des Entwurfs noch sehr einig war. Damit heizt sich der Konflikt zwischen CDU/CSU und SPD erneut auf, nachdem man bei der Vorstellung der „Modernisierungsagenda“ vor kurzem noch eine geeinte Front präsentierte.

Die Regierung bringt sich in Stellung – Kabinett stellt Modernisierungsagenda vor

Friedrich Merz vermutet Russland hinter Drohnensichtungen in Norddeutschland

Doch nicht nur im Bereich der Wehrpflicht schreitet die Diskussion um Aufrüstung und Kriegsvorbereitung voran. Ein weiteres Thema, das in den letzten Wochen für viel Aufmerksamkeit gesorgt hat, ist die Sichtung von Drohnen in Polen und Rumänien, die Russland zugeschrieben werden.

Nun wurden auch in Norddeutschland Drohnen gesichtet, unter anderem über Einrichtungen kritischer Infrastruktur wie Militärwerften und Kraftwerken, sowie dem Sitz der Landesregierung Schleswig-Holstein. Auch stürmte die Polizei vor kurzem einen Frachter im Nord-Ostsee-Kanal, der laut Polizei im Zusammenhang mit einer Spionagedrohne über einem Marineschiff stehen könnte.

In allen Fällen ist unklar, um was für Drohnen es sich handelt oder von wem sie gesteuert werden. In einigen Fällen ist sogar nicht bekannt, ob es sich bei den Flugobjekten tatsächlich um Drohnen gehandelt hat. Trotzdem ließen es sich zahlreiche deutsche Politiker:innen nicht nehmen, die Sichtungen sofort Russland zuzuordnen und harte Maßnahmen zu fordern: Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) fordert mehr Kompetenzen für die Bundeswehr und plant ein Drohnenabwehrzentrum, Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) fordert einen Ausbau der deutschen Drohnenproduktion und Kriegsminister Boris Pistorius (SPD) will im Nationalen Sicherheitsrat beraten.

Auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) erklärt zu Gast bei Caren Miosga: „Wahrscheinlich wird jedenfalls ein wesentlicher Teil davon aus Russland gesteuert“ und „Wir wissen, dass Putin uns testen will“.

Russland hingegen streitet jegliche Spionagevorwürfe ab, laut Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow gebe es „keinen Grund, Russland dafür verantwortlich zu machen“. Zudem erklärt er: „In Europa gibt es viele Politiker, die dazu neigen, derzeit für alles Russland verantwortlich zu machen. Sie tun dies stets unbegründet und pauschal“.

Erneut russische Drohnen über Polen, NATO rüstet Luftraum auf

Kiesewetter fordert „Spannungsfall“

CDU-Politiker Roderich Kiesewetter reagierte wohl am aggressivsten auf die Sichtungen. Er fordert, Deutschland solle als Antwort den „Spannungsfall“ ausrufen. Dafür benötigt es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag – Merz lehnt den Vorstoß allerdings vorerst ab.

Die Ausrufung würde der Bundeswehr erhebliche Kompetenzen innerhalb Deutschlands geben. Darunter auch der Schutz ziviler Objekte. Ebenso würde die Wehrpflicht effektiv sofort wieder gelten und der Wehrdienst unbefristet sein.

Darüber hinaus ist aber unklar, was der Spannungsfall konkret bedeuten würde. Laut eigener Angabe genieße der Bundestag bei Ausrufung „einen erheblichen politischen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist“.

Perspektive Online
Perspektive Onlinehttp://www.perspektive-online.net
Hier berichtet die Perspektive-Redaktion aktuell und unabhängig

MEHR LESEN

PERSPEKTIVE ONLINE
DIREKT AUF DEIN HANDY!