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Frankreich: Regierung übersteht Misstrauensvotum

Frankreichs Premierminister Lecornu hat zwei Misstrauensvoten in der Nationalversammlung überstanden. Zuvor hatte Präsident Macron ihn nach seinem Rücktritt erneut mit der Regierungsbildung beauftragt. Lecornu zog daraufhin eine kontroverse Rentenreform vorerst zurück. Die politische Lage in Frankreich bleibt jedoch fragil.

Erst zurückgetreten, dann Misstrauensvotum überstanden. Der neue französische Premierminister Sébastien Lecornu hat am Donnerstag vorerst sein politisches Überleben gesichert. Zwei Misstrauensanträge gegen ihn und seine Regierung sind in der Nationalversammlung gescheitert: ein Antrag von der linkssozialdemokratischen Partei La France insoumise (LFI) und einer vom ultrarechten Rassemblement National (RN). Sein zweites politisches Aus innerhalb weniger Wochen verhinderte Lecornu nur durch ein massives Zugeständnis an die Fraktion der Sozialisten, nämlich ein vorübergehendes Aussetzen der geplanten Anhebung des Rentenalters auf 64 Jahre.

Regierungschaos

Lecornus bisherige Karriere als Premierminister ist selbst für französische Verhältnisse chaotisch verlaufen. Am 9. September hatte Präsident Emmanuel Macron ihn zum neuen Premierminister ernannt, nachdem die Minderheitsregierung seines Vorgängers François Bayrou am Vortag durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war. Bereits am 6. Oktober trat Lecornu jedoch ebenfalls zurück, nachdem sich eine fehlende Unterstützung für sein Kabinett im Parlament abgezeichnet hatte. Nach Bayrou und dessen Vorgänger Michel Barnier war Lecornu bereits der dritte Premierminister in dreizehn Monaten, der hinschmiss.

Vier Tage später kam jedoch die überraschende Wende, und Emmanuel Macron beauftragte seinen Vertrauten Lecornu erneut mit der Regierungsbildung. Diese ist nun vorerst geglückt. Die Auseinandersetzungen zwischen den französischen Parlamentsfraktionen sind damit jedoch noch lange nicht beigelegt – zu tief sind die Gräben zwischen ihnen und zu grundlegend der Dissens über eine Reihe von heiklen Fragen. Dies gilt besonders für den geplanten Sparhaushalt, über den die Regierung jetzt mit den Oppositionsfraktionen verhandeln muss. Lecornus Ziel ist es, den Anteil der Neuverschuldung am Bruttoinlandsprodukt von voraussichtlich 5,4 Prozent im laufenden Jahr auf unter 4,7 Prozent im kommenden Jahr zu senken.

Generalstreik und Massenproteste

Lecornus Vorgänger Bayrou hatte bereits ein weitgehendes Austeritätsprogramm geplant, wollte massiv Stellen im Öffentlichen Dienst streichen, eine Nullrunde bei den Sozialausgaben und Renten durchsetzen und sogar zwei Feiertage abschaffen. Damit beschwor er jedoch Massenproteste herauf und besiegelte das Ende seiner Regierung.

Gerade das Thema Rente ist in Frankreich hochbrisant. Als Faustregel lässt sich aufstellen, dass jeder Versuch der Regierung, das Rentensystem anzutasten, von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen innerhalb weniger Wochen mit flächendeckenden Streiks und Demonstrationen beantwortet wird. Auf Bayrous ambitionierten Sparplan folgten am 10. September landesweite Blockaden der Bewegung Bloquons Tout – 80.000 Polizist:innen waren an dem Tag im Einsatz, der Premier war da bereits zurückgetreten. Am 18. September organisierten die Gewerkschaften einen Generalstreik mit einer Million Teilnehmer:innen. Für den 6. November hat die Gewerkschaft CGT bereits neue Proteste angekündigt.

Generalstreik in Frankreich: „Bloquons Tout“ geht in die zweite Runde!

Wird Macron zurücktreten?

Wie Lecornu jetzt Einsparungen durchsetzen will, muss sich noch zeigen. Sein unmittelbares Problem dabei sind fehlende Mehrheiten im Parlament. Dieses ist seit den Neuwahlen im Sommer vergangenen Jahres zersplittert. Macron hatte die Neuwahlen nach einem desaströsen Ergebnis seiner Partei bei den Europawahl im Juni 2024 überraschend ausgerufen. Ebenso überraschend setzten sich in der zweiten Runde der Parlamentswahl dann weder das liberal-konservative Lager Macrons noch der Rassemblement National als stärkste Kraft durch, sondern das Bündnis Nouveau Front Populaire (Neue Volksfront) aus LFI, Sozialisten und anderen linken Parteien.

Macron weigert sich jedoch bis heute beharrlich, eine Person aus den Reihen dieser Kräfte als Premierminister zu ernennen. Stattdessen setzte er immer wieder auf enge Vertraute.

Lecornu ist bereits der fünfte Premierminister in Macrons zweiter Amtszeit. Der Präsident gilt angesichts des fortwährenden Regierungschaos als politisch angeschlagen. Der Tagesspiegel zitierte den politischen Analysten John Jerome Goodman aus Straßburg mit den Worten: „Es wird sehr hart für ihn und das Land werden, es bis zur nächsten Präsidentschaftswahl in 18 Monaten zu schaffen – wenn es ihm überhaupt gelingt.“. Selbst Politiker:innen aus Macrons Umfeld haben ihn bereits zu einem geordneten Rücktritt und vorgezogenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aufgerufen. Macron scheint jedoch entschlossen, seine Amtszeit bis zu ihrem Ende 2027 fortführen zu wollen.

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