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Islamfeindlicher Angriff in Essen: Muslimisches Gräberfeld verwüstet

In Essen wurden Mitte Oktober muslimische Gräber vermutlich aus rassistischer Motivation geschändet. Der Angriff reiht sich ein in eine Serie islamfeindlicher Übergriffe. Die deutsche Regierung erweist sich hierbei als mitverantwortlich für ein Klima des Hasses. – Ein Kommentar von Ali Najjar.

In Essen-Stoppenberg ist es zu einem schwerwiegenden islamfeindlichen Angriff gekommen: In der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober haben Unbekannte das islamische Gräberfeld auf dem kommunalen Friedhof am Hallo verwüstet. Nach ersten Erkenntnissen wurden über 40 Grabstätten mutwillig beschädigt oder zerstört. Besucher:innen entdeckten das Ausmaß der Zerstörung am Freitagmittag und alarmierten die Polizei. Die Ermittlungen wurden an den Staatsschutz übergeben, da ein politisches Tatmotiv naheliegt. Konkrete Hinweise auf die Täter liegen bislang jedoch nicht vor.

Reaktionen von Gemeinde und Stadt

Die muslimische Gemeinschaft in Essen reagierte mit Entsetzen auf die Grabschändung. „Die Verwüstung des Grabfeldes erschüttert uns zutiefst“, erklärte Sadik Cicin, der Vorsitzende des Essener Integrationsrats. Dieser Angriff richte sich „nicht nur gegen die Verstorbenen, sondern unser respektvolles Zusammenleben“. Als Integrationsrat stehe man an der Seite der muslimischen Gemeinde und der betroffenen Familien und erwarte eine schnelle Aufklärung sowie konsequente Bestrafung der Täter.

Auch die Kommission Islam und Moscheen in Essen (KIM-E), der Dachverband der örtlichen Moschee-Gemeinden, kritisierte den Vandalismus scharf: „Wir verurteilen diese Tat aufs Schärfste und sind tief bestürzt über diese respektlosen Handlungen“, so KIM-E-Vorsitzender Muhammet Balaban. Ein Friedhof sei ein Ort der Erinnerung und des Gedenkens – unabhängig von der Religion.

Die Stadt Essen kündigte an, das bestehende Sicherheitskonzept für Friedhöfe zu überprüfen und zu verbessern – erste Maßnahmen befänden sich bereits in Prüfung.

Zögerliche Reaktionen und seitens der Politik

Allerdings wurde kritisch angemerkt, dass städtische Solidaritätsbekundungen zunächst auf sich warten ließen. Vier Tage nach der Tat hatten sich weder die Stadtverwaltung noch der OB offiziell geäußert.

Lediglich auf einigen kleineren Nachrichtenportalen wurde umgehend berichtet; größere Medien zogen erst nach Veröffentlichung einer Polizeimeldung am Montag nach – und selbst dann oft nur in Form knapper Meldungen. In der muslimischen Community in Essen machte sich daher Frust breit. „Keiner interessiert sich für uns. Niemand wird sich kümmern, wenn wir es nicht selbst tun“ – solche Aussagen von Betroffenen zitiert etwa die Webseite MiGAZIN.

Ahmad Omeirat, Stadtrat der Wählergruppe LICHT Essen merkt zu dem Fall an, dass solche Taten nicht aus dem Nichts kommen: „Seit Jahren wird gegen diesen Friedhof von lokalen Medien und Politikern gehetzt und sogar aktiv verhindert, dass mehr Fläche bereitgestellt wird“. Vor diesem Hintergrund dürfe man sich nicht wundern, wenn sich Täter bestärkt fühlten, zu Gewalt zu greifen.

Anti-muslimischer Rassismus steigt insgesamt an

Tatsächlich handelt es sich bei dem islamfeindlichen Angriff in Essen nicht um einen Einzelfall. Übergriffe auf Muslime und muslimische Einrichtungen gehören in Deutschland mittlerweile zum bitteren Alltag.

Statistiken der Beratungsstelle Claim verzeichneten allein im Jahr 2024 mindestens 3.080 anti-muslimische Vorfälle – ein Höchststand und etwa 60 Prozent mehr als im Vorjahr. Darunter waren 70 Angriffe auf religiöse Stätten wie Moscheen oder Friedhöfe und 198 Körperverletzungen; sogar zwei tödliche Angriffe mit islamfeindlichem Motiv wurden dokumentiert. Die Dunkelziffer solcher Vorfälle dürfte noch deutlich höher liegen.

Studien heben hervor, dass anti-muslimischer Rassismus in vielen gesellschaftlichen Bereichen weit verbreitet ist und durch bürgerliche Debatten weiter angefacht wird. So begünstigt ein aufgeheizter Diskurs über Migration, innere Sicherheit oder sogenannte „Integrationsprobleme“ ein Klima, in dem sich der Hass auf Muslim:innen konkrete Ausdrucksformen sucht.

Schon in den 1990er-Jahren fanden die Brandanschläge auf Migrant:innen im Kontext einer von Politik und Medien geschürten „Das Boot ist voll“-Stimmung statt. Ähnlich wurden in den letzten Jahrzehnten anti-muslimische Straftaten durch regelmäßige Hetzkampagnen befeuert – man denke an die „Kopftuch-Debatten“ oder an Thilo Sarrazins Thesen.

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Auch aktuell tragen etwa die Wortmeldungen von Friedrich Merz zu diesem chauvinistischen Klima bei: Der Bundeskanzler machte mit einer Aussage zum veränderten „Stadtbild“ Schlagzeilen, in der er Migrant:innen pauschal mit Kriminalität verknüpfte. Merz bediente damit das stereotype Bild von „nicht-weißen, herumlungernden jungen Männern“ und forderte in der Konsequenz Massenabschiebungen.

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Hierbei ist deutlich eine Anschlussfähigkeit an die völkischen Narrative der faschistischen AfD erkennbar, die schon lange über eine angebliche „Überfremdung“ des öffentlichen Raums hetzt.

Kein neuer Vorfall, sondern trauriger Trend

In Essen selbst ist die Schändung des Friedhofs am Hallo leider kein Novum. Bereits im Januar dieses Jahres wurde ebendort ein islamisches Grabfeld Ziel von rassistisch motviertem Vandalismus. Unbekannte beschmierten damals Schilder und Infotafeln mit Fadenkreuzen, christlichen Symbolen oder dem Slogan „Save Europe“ – ein Kampfbegriff der extremen Rechten, der die Überlegenheit des „Westens” und weißer Menschen beschwört.

Solche Vorfälle verdeutlichen, dass hinter den Taten höchstwahrscheinlich organisierter Hass auf Muslim:innen steckt – ein Problem, dass die herrschende Klasse der BRD nicht willens ist anzugehen, wie Merz‘ jüngste Aussagen erneut bekräftigt haben.

Ali Najjar
Ali Najjar
Muslimischer Sozialist aus Berlin und Perspektive-Autor seit 2023. Fördert gern revolutionären Optimismus und Desillusionierung über den bürgerlichen Staat. Student der Sprachwissenschaften und Palästinenser.

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