Unmengen an Bier, Gesang, Übergriffen – und eine vermeintliche Bombendrohung der Antifa? Das Oktoberfest 2025 macht Profit und Schlagzeilen. Ein Rückblick auf das größte Volksfest der Welt – von Michael Schirm.
Seit 1810 findet jährlich das Oktoberfest in München statt. Beim bayrischen Volksfest kamen dieses Jahr ca. 6,5 Mio. Menschen aus aller Welt auf die Theresienwiese. Ungefähr 6,5 Millionen Maß Bier wurden getrunken und über 7.000 Patient:innen in der Aicher Ambulanz versorgt.
Das Oktoberfest ist vor über 200 Jahren als ein Pferderennen zu Ehren einer königlichen Hochzeit entstanden. Internationale Bekanntheit hat es in den 1950er Jahren erlangt, nachdem amerikanische Soldaten das Fest in der Nachkriegszeit zurück in die USA brachten. Seitdem haben viele Länder ihre eigene Version des Festes etabliert. So lassen sich zum Beispiel auch in Denver, Qingdao oder Ontario den ganzen Oktober über „a brez’n und a bier“ genießen.
Aber auch zum eigentlichen Fest kommen Gäste aus aller Welt. Unter den 19 Prozent der internationalen Gäste befanden sich größtenteils Gäste aus den USA, Italien, Großbritannien und Österreich, einige kamen aber auch von weit her aus Indien oder Australien.
Geldrausch für Ausrichter:innen weltweit
Das Oktoberfest wird zwar als kulturelles Traditionsfest in die ganze Welt exportiert, bereits 60 % der Deutschen schätzen es laut einer Umfrage des Statistischen Bundesamts eher als kapitalistisches „kommerzielles Großevent“ ein. Die jährlich erscheinende Presseinformation zum „Oktoberfest als Wirtschaftsfaktor“ bietet Einsicht in den Geldfluss hinter dem Oktoberfest.
So endet das Fest dieses Jahr mit einem Wirtschaftswert von ca. 1,57 Milliarden Euro. Der Bierpreis ist wieder gestiegen und durchschnittliche Besucher:innen geben 90€ auf dem Fest aus, was sich auf gut 634 Millionen Euro allein auf dem Festgelände summiert.
Zusätzlich wurden ca. 338 Millionen Euro durch das Leben der Besucher:innen abseits vom Fest erwirtschaftet. Das beinhaltet beispielsweise Einkäufe, Dienstleistungen oder den ÖPNV. Für Übernachtung und Gastronomie wurden nochmal ca. 600 Millionen Euro ausgegeben, insgesamt also über 1,2 Milliarden Euro direkte Einnahmen.
Deutschland: Volksfest heißt Drogenfest
Zur Kultur der Bayern gehört neben den Festaufzügen, Liedern und Trachten vor allem das Bier. Dass das Bier eine spezielle Rezeptur hat und gesondert für das Fest gebraut wird, steht dabei aber nicht im Vordergrund.
Die Vereinigung der Münchner Wiesn Wirte antwortete 2023 auf die Aussage des 2. Münchner Bürgermeisters, die Wiesn sei die „weltgrößte offene Drogenszene“ mit der Aussage, dies setze fälschlicherweise sieben Millionen Besucher mit Drogenkonsumenten gleich und „diskreditiert“ sie damit. Die Unterscheidung zwischen Bier und anderen Drogen leitet der Wiesn-Wirt Christian Schottenhamel ganz stringent her: „Bier ist keine Droge“.
Eine solche Verharmlosung des Alkoholkonsums, der auf dem Oktoberfest vielleicht wie nirgendwo sonst zelebriert wird,  verschleiert die teilweise brutale Realität des Alkohols als Droge. Denn mehr als ein Drittel der Patient:innen in der Obhut der Aicher Ambulanz Union, eines der wenigen privaten Rettungsdienstunternehmen in Deutschland, waren alkoholvergiftet – unter  ihnen ein Höchstwert von lebensgefährlichen 3,8 Promille. Doch die Konsequenzen fangen hier erst an.
Außerdem zählt die Polizei München 212 Anzeigen wegen Körperverletzung. Darin enthalten: 88-malige schwere Körperverletzung. Alkohol ist die Droge, die am stärksten mit aggressiven Verhalten verbunden ist. Sogar so weit, dass bei über der Hälfte der weltweiten Gewaltverbrechen sowie sexualisierten Übergriffen Alkohol eine entscheidende Rolle spielt. Kein Wunder also, dass auf dem größten Saufgelage der Welt viele Prügeleien entstehen.
187 Jahre Tradition: Frauen- und LGBTI-Feindlichkeit auf dem Oktoberfest
Noch immer kein Rezept: Patriarchale und speziell sexualisierte Gewalt auf der Wiesn
Damit einhergehend wurden dieses Jahr 19 Fälle sexualisierter Gewalt und 5 Fälle körperlicher Gewalt gegenüber Frauen aufgezeichnet. Die Dunkelziffer nicht bei der Polizei angezeigter patriarchaler Gewaltfälle wird höher sein, denn oft haben die Opfer – meistens Frauen – kein Vertrauen gegenüber staatlichen Stellen. Und/Oder die Täter sind Männer aus dem eigenen Umfeld, die sich durch den Alkohol geistig einschränken und damit schneller anfangen, gewalttätig zu werden – auch um ihre Besitzansprüche gegenüber Frauen durch Gewalt durchzusetzen.
Natürlich üben Männer auch ohne Alkohol Besitzansprüche sowie patriarchales Verhalten, Fehlverhalten und patriarchale Gewalt aus. Doch in einem Rahmen wie dem Oktoberfest potenziert sich dies, ähnlich wie während Fußball-Turnieren.
Um Frauen zu schützen, hat sich 2003 die Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ gegründet. Die Organisatorinnen melden 355 Klientinnen, die 2025 ihren „Safe Space“ genutzt hätten, um sich nach einer grenzüberschreitenden Erfahrung wieder sicher zu fühlen. Also mutmaßlich 355 weitere Fälle von patriarchalem Fehlverhalten respektive Gewalt.
Alkohol führt also nicht nur zu medizinischen Notfällen bei der Konsument:in. Das Bild von Alkohol einzig als Genussmittel von „fröhlich feiernden Wiesn-Besuchern“ wird damit schief.
Bombendrohung und Hausbrand: „Antifa“-Verdacht reine Willkür?
Für Aufruhr und eine längere Sperrung der Theresienwiese sorgte dieses Jahr eine Bombendrohung eines Unbekannten. Die Polizei brachte diese in Verbindung mit einer Explosion und einem Hausbrand, den ein Mann vermutlich im Versuch seine Frau zu töten selbst legte und dabei nicht überlebte. Er wurde an einem See unweit der Häuser gefunden.
Während der Ermittlungen, der Versorgung von zwei Verletzten und dem Bangen der Wirt:innen, die mit jeder gesperrten Stunde mehr Geld verloren, setzte jemand ein falsches Bekennerschreiben der ominösen Antifa München ab. Selbst die Polizei konnte die Fälschung erkennen, aber erst nachdem die tagesschau bereits die „Antifa“ als Tatverdächtige benannt hatte. Ein verfrühter Schuss auf die antifaschistische Bewegung hierzulande, gegen die derzeit auch die Regierenden in den USA, den Niederlanden und Ungarn aus allen Rohren schießen.
Erneut große Polizeipräsenz
Die Wiesn brüstet sich mit Sicherheit als Qualitätsmerkmal. Sicherheit bedeutet hier, dass große Polizeitrupps und andere Einheiten der Repressionsbehörden in und um das Fest überall Präsenz zeigen. Besonders das Chaos um die Bombendrohung gab der Polizei die Möglichkeit, sich unter den Feiernden als Ordnungsschaffende zu profilieren.
600 Polizeibeamte, 54 Kameras und Bodycams, die häufig nur selektiv und tendenziös eingeschaltet werden, gewöhnen die Besucher:innen des Festes weiter an den sich aufbauenden Überwachungsstaat. Die Kameras werden jetzt noch von „geschulten Polizeibeamten“ bedient, um mögliche Straftaten ausfindig zu machen. In Bayern, Hessen und NRW wird allerdings bereits eine KI-Überwachungssoftware von Palantir eingesetzt.
Die Möglichkeiten von KI-Überwachung sind grenzenlos. Es fängt vielleicht mit Gesichtserkennung an, Palantir bewirbt seine Software Gotham aber direkt mit Begriffen wie „Software als Waffensystem“ oder „KI-gestützte Tötungs-Kette“. Über den Einsatz der gleichen Firma und zum Teil der gleichen Software wird momentan in Deutschland debattiert.
Mit Selfies, internationaler Zusammenarbeit mit Italien und freundlichen Gesichtern auf Social Media stärkt sich der Staat auf dem Oktoberfest in Sachen Obrigkeitshörigkeit, der Normalisierung von zum Teil übermäßigem Alkoholkonsum, sexualisierter Gewalt und einem weltweiten Kapitalismus-Fest unter dem Vorwand von Kultur.

