Merz beschwert sich über zu viele Migrant:innen im Stadtbild, die CDU rückt immer weiter nach rechts und die Brandmauer liegt in Trümmern. Was tatsächlich das Stadtbild in Deutschland trübt. – Ein Kommentar von Leon Wandel.
Am Dienstag sprach Bundestagskanzler Friedrich Merz (CDU) an einem öffentlichen Termin in Brandenburg zum Thema Migration. Eine seiner rassistischen Äußerungen schlug dann im Laufe der Wochen breite Wellen: Merz befand, dass seine Regierung in der Migrationspolitik schon viel erreicht habe. Positiv hob er hervor, dass im Zeitraum von August 2024 bis August 2025 die Zahl der neuen Asylanträge um 60 Prozent gesenkt worden sei.
Schließlich fügte er hinzu, „wir“ hätten im „Stadtbild noch dieses Problem“ – gemeint ist die Existenz von Migrant:innen auf deutschen Straßen. Deswegen sei der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt „in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“. Danke für nichts.
Rassismus von oben
Merz umgibt sich den ganzen Tag ausschließlich mit Politiker:innen, Journalist:innen oder Lobbyist:innen. Mit den durchschnittlichen Arbeiter:innen auf der Straße kommt er höchstens für einen Fototermin in Kontakt, mit proletarischen Migrant:innen noch seltener. In der CDU/CSU haben 6,3 Prozent der Politiker:innen einen Migrationshintergrund.
Man könnte glatt annehmen, dass er das „Stadtbild“ der Bundesrepublik genauso „weiß“ haben möchte, wie die eigenen Reihen der Partei – und das sind dann immer noch keine Migrant:innen aus unseren Reihen, sondern solche, die es im Kapitalismus nach ganz oben schaffen wollen, in dem sie nach unten und gegen andere Migrant:innen treten.
Dabei wird deutlich, dass persönlicher Rassismus allein die Politik des Kanzlers nicht erklärt. Das „Problem mit dem Stadtbild“ ist ihm nicht spontan eingefallen: Markus Söder (CSU) hatte diesen Begriff bereits vor etwa einem Monat in der Zeitung Merkur öffentlich besetzt. Auf die Frage: „Werden Sie dafür streiten, dass auch Afghanen und Syrer zurückkehren müssen, und zwar nicht nur Straftäter?“, antwortete Söder: „Das muss zwingend passieren. Das Stadtbild muss sich wieder verändern.“ Es brauche einfach „mehr Rückführungen“, so Söder.
Und auch Fraktionschef Jens Spahn (CDU) legte nach der Äußerung von Merz im Bundestag nochmal nach, als er sagte, dass: „an den Hauptbahnhöfen, auf den Marktplätzen dieses Landes, (…) natürlich die Folgen irregulärer Migration zu sehen“ seien. Deshalb – und weil es „die Menschen“ beschäftige, müsse man natürlich darüber reden, was dies mit dem Land mache.
Im Jahr 2017 war es noch die AfD, die mit solchen Aussagen zu polarisieren versuchte. Der damalige AfD-Chef Jörg Meuthen sagte kurz nach der damaligen Bundestagswahl: er sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen er sich bewege, „nur noch vereinzelt Deutsche“. Dies sei aber „unser Land! Das Land unserer Großeltern und Eltern!“. Daher müsse man es wieder „zurückerobern!“. Meuthen zählte noch zum gemäßigt-rechten Teil der AfD, der letztlich vom offen rechtsextremistischen Flügel der AfD um Björn Höcke heraus gedrängt wurde. Das entspricht heute ziemlich genau der Unionslinie.
Die Liste der Aussagen, mit denen Politiker:innen die rassistische Spaltung in unserer Gesellschaft voranbringen wollen, ist lang: Ob Merz sich Sorgen macht, dass ihm von Migrant:innen die Termine beim Zahnarzt weggeschnappt werden könnten, obwohl es aufgrund des Klassensystems im Gesundheitswesen dazu natürlich niemals kommen würde. Oder wenn Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) sich fragt, ob die Menschen in der Schlange beim Bäcker ausgebildete Fachkräfte seien oder eben doch illegale Migrant:innen. Oder wenn Merz sämtliche Söhne von Migrant:innen als kleine Paschas beschimpft.
In all diesen Aussagen steckt ein Rassismus, der die Probleme, welche die kapitalistische Wirtschaftsweise produziert, verschleiert und Migrant:innen als Sündenböcke brandmarken will. In die Arbeiter:innenklasse soll so Misstrauen untereinander getragen und geschürt werden. Merz zufolge sollen sich die Unterdrückten und Ausgebeuteten gegenseitig bekämpfen – teile und herrsche! –, anstatt zu erkennen, dass der Feind nicht neben, sondern über einem steht.
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Die Sprache wird rauer und die Brandmauer bröckelt
Die Worte des Kanzlers werden immer offensiver. Die Politik ist inhaltlich kaum noch von der AfD zu unterscheiden. Das sehen einige Politiker:innen der CDU genauso und fordern immer häufiger, dass die Brandmauer, die schon immer auf wackeligem Fundament stand, nun ganz gestürzt wird.
Merz hält offiziell an der Abgrenzung zur AfD fest. Er unterstreicht den Unvereinbarkeitsbeschluss der Partei, der im Jahre 2018 verabschiedet wurde. Dieser Beschluss legte fest, dass die CDU weder mit der AfD noch mit der Linken eine Koalition eingeht oder auf ähnliche Weise mit diesen Parteien zusammen arbeitet. Doch obwohl Merz bisher formell daran festhält, besteht inhaltlich bereits in Worten und Taten eine Zusammenarbeit mit der AfD.
Die vorantreibenden Kräfte für den weiteren Rechtsruck der CDU sind unter anderem der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber und Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Sie forderten zu Beginn der Woche eine Lockerung der Brandmauer mit dem Scheinargument, die AfD werde durch die Brandmauer nur noch stärker. Man solle daher in gewissen Bereichen mit ihr zusammenarbeiten – quasi als fast antifaschistischer Akt, mindestens ein Dienst an der Demokratie. Ein schweres Los, das die CDU da in diesen Zeiten auf sich nimmt.
Ähnlich sieht es der sächsische CDU-Generalsekretär Tom Unger, der gegenüber der Bild seinen Unmut darüber verlautbarte, wie der Umgang sämtlicher Parteien mit der AfD bisher nicht zu deren Schwächung geführt habe.
Umgekehrt: Merz und Co. passen nicht ins Stadtbild
Die Brandmauer ist also schon heute praktisch kaum mehr existent, und die rassistische Hetze dient dazu, die Klassenverhältnisse zu zementieren. Doch was interessiert uns Arbeiter:innen, was Merz und anderen Politiker:innen in den Straßen Deutschlands nicht passt? Wir wissen doch eigentlich viel besser, was auf Deutschlands Straßen los ist als diese Politiker:innen.
Was fällt uns denn auf, wenn wir durch die Straßen in den Städten gehen? Vor allem sticht einem ins Auge, dass in einem so reichen Land wie Deutschland trotzdem so viel Armut zu sehen ist: Obdachlose, die frieren, die betteln. Ältere Menschen, die Pfandflaschen aus Mülleimern klauben. Jugendliche, die sich auf Bürgersteigen herumtreiben und Scheiße bauen, weil sie keinen Ort haben, um ihre Energie und Aggression zu kanalisieren, und kaum Perspektiven im Leben haben.
Und uns stechen die zahllosen Überwachungskameras, Polizist:innen und Security ins Auge, die diese Armut vertreiben sollen. Uns fällt auf, dass wir uns selbst in der Innenstadt kaum mehr etwas leisten können, gleichzeitig Fancy Restaurants, in denen gut betuchte Menschen sitzen, während in Palästina Menschen sterben. Uns fällt auf, dass Häuser leer stehen, während trotzdem Menschen auf der Straße leben – in  Zelten, unter Brücken, in Bahnhöfen.
Und wir sehen und hören überall von massiver Polizeigewalt. Überall dort, wo wir  – und speziell unsere kämpferischen, migrantischen Klassengeschwister – gegen den Genozid, den der israelische Staat am palästinensischen Volk verübt, auf die Straße gehen. Überall dort, wo der Faschismus wächst, zieren Fascho-Sticker und Fackelzüge die Straßen. Dieses Stadtbild ist der eigentliche Skandal.
Whose Streets?
Doch wir sehen auch an allen Stellen Elemente eines selbst gestalteten Stadtbilds: nehmen wir z.B. migrantische Communities, die überall in Deutschland manche Straßen überhaupt erst zum Leben erwecken. Sie prägen vielerorts das Stadtbild, weil viele migrantische Kulturen genau darin bestehen, zusammenzukommen und sich auszutauschen. Für Leute wie Merz sind sie gerade gut genug, um still sein Essen zuzubereiten, für uns sind sie Brüder und Schwestern im Kampf gegen Menschen wie Friedrich Merz.
Überall dort, wo wir zusammenhalten, wo wir gegen diesen deutschen Staat und den aufkommenden Faschismus kämpfen, ziert unser gemeinsamer Ausdruck das Stadtbild. Hier bestimmt nicht der Unterschied zwischen der Herkunft der Menschen sein Aussehen, sondern der gemeinsame Kampf gegen dieses rassistische System.
Zu migrantisch für wen, lautet die Frage. Von den Straßen schallt sie millionenfach: Whose Streets? – Unsere Antwort: Our Streets!
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