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Neuer Anlauf: EU-Vorratsdatenspeicherung und Ausweispflicht für Telefonate

Die EU-Kommission und vereinzelte EU-Staaten machen Druck bei der Vorratsdatenspeicherung. Zu Überwachungszwecken greifen sie weiter Grund- und Datenschutzrechte an. Das Gesetz soll nächstes Jahr kommen – falls der EuGH es nicht wieder kassiert.

Die Vorratsdatenspeicherung ist weiter auf dem Vormarsch. Die EU-Kommission und EU-Staaten planen dafür ein Gesetz, das uns kommendes Jahr erwartet. Das geht aus mehreren Dokumenten hervor, die am Dienstag von Netzpolitik.org veröffentlicht wurden. Auch Messenger-Apps wie WhatsApp und Co. sollen betroffen sein. Der Gesetzesvorschlag wird Anfang 2026 erwartet.

Zudem stellt die EU infrage, ob man die verschlüsselte Kommunikation künftig nicht umgehen sollte, um noch mehr Daten zu sammeln. Eine Registrierungspflicht beim Erwerb von SIM-Karten wird ebenfalls diskutiert. In einigen Bundesländern haben „Datensammelwahn“ und „Massenüberwachung“ schon begonnen.

Baden-Württemberg: Massenüberwachung und Datensammelwahn

Mit der Vorratsdatenspeicherung die Bevölkerung gläsern machen

Wenn man von Vorratsdatenspeicherung spricht, dann geht es vor allem um sogenannte Verbindungsdaten. Festgehalten wird also beispielsweise, wer mit wem wie lange telefoniert hat und von welchem Ort aus. Welche E-Mails wurden untereinander verschickt oder mit welcher IP-Adresse war eine Person wie lange im Netz unterwegs?

Die Besonderheit dabei ist, dass die privaten Internet- und Netzanbieter verpflichtet sind, diese Daten zu sammeln und sie auf Vorrat zu speichern. Einen konkreten Anlass benötigt es dafür nicht, die Daten werden nach aktueller Aussage bislang erst einmal nur gesammelt und nicht ausgewertet. Die staatlichen Behörden können diese Daten dann unter bestimmten Bedingungen abrufen, beispielsweise um Straftaten aufzuklären. Das wurde in der Vergangenheit bereits massiv gegen Aktivist:innen eingesetzt.

Im Jahr 2014 wurde schon einmal über die Vorratsdatenspeicherung debattiert. Der damalige Vorstoß der EU wurde vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) einkassiert. Dies hatte zur Folge, dass es bis heute keine EU-weite Vorratsdatenspeicherung gibt. Der EuGH argumentierte vor elf Jahren, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten verstößt. Das Gericht sah damals in diesen Bereichen einen besonders schwerwiegenden Eingriff.

Doch in den letzten Tagen ist die Debatte erneut aufgekommen und die EU will sich ein weiteres Mal an dieses umstrittene Thema wagen. Die EU-Kommission sondierte das Anliegen der Regierungen bis Ende Juni. Daraufhin fanden bis Anfang September Konsultationen mit nationalen Expert:innen-Gremien, wie der deutschen Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), statt.

Diese kritisiert zum einen beispielsweise den „sehr weit gefassten“ Konsultationsfragebogen der Kommission in Verbindung mit „beschränkten Antwortmöglichkeiten“ oder gar Ja/Nein-Antwort-Optionen, was eine nuancierte Beantwortung „unmöglich“ mache, so die Jurist:innenkammer.

Inhaltlich äußert die BRAK zudem „massive Bedenken“. Von einer Regulierung potenziell betroffen wären nicht nur Kommunikationsmetadaten, sondern sekundär häufig auch die Korrespondenz der Anwaltschaft mit Mandantinnen und Mandanten, Gerichten, anderen Anwälten oder Ermittlungsbehörden. Die Vorratsdatenspeicherung ist auch in Deutschland zwischen den Regierenden auf der einen und Datenschutz-Expert:innen sowie Aktivist:innen auf der anderen Seite heiß umkämpft.

„Sicherheitspaket“ – Kommt die Vorratsdatenspeicherung?

EU will mehr Daten sammeln und Verschlüsselung umgehen

Der Kommission zufolge hätten heute beinahe alle Straftaten eine digitale Komponente, mehr als 85 Prozent der Ermittlungsverfahren benötigten Zugriff auf digitale Beweismittel. Hinzu kämen Unterschiede in den Regulierungsrahmen der Mitgliedstaaten, die in mehreren Staaten agierende Diensteanbieter behinderten und eine effektive Bekämpfung von Straftaten erschwerten. Deswegen müsse ein Harmonisierungsakt vorbereitet werden.

Nicht nur die EU strebt die Vorratsdatenspeicherung an, auch einzelne EU-Staaten machen Druck. Vor allem hat sich Dänemark hervorgetan: Die dänische Ratspräsidentschaft verschickte am 17. September einen Fragebogen, der die EU-Kommission bei der Gesetzesausarbeitung unterstützen sollte. Dieser wurde von Netzpolitik veröffentlicht. Dänemark geht dabei in den Fragen über die klassische Vorratsdatenspeicherung hinaus. Denn sie fragen auch nach, ob sogenannte Over-the-Top-Dienste (OTT) verpflichtend gespeichert werden sollen. Darunter fallen die Messenger-Dienste, Spiele und Videos.

Dieser Vorstoß würde weit über das einfache Abfragen der IP-Adresse hinausgehen. Zudem wird in der Anfrage nachgehakt, ob zukünftig sensible Daten wie Verkehrsdaten oder Standortdaten abgefragt werden dürfen.

In einem Schreiben des Generalsekretariats des EU-Rats werden weitere Vorstöße gefordert. Zum einen will man ebenfalls mehr Daten der Messenger speichern können. Derzeit habe man ausschließlich Zugriff auf Daten von klassischen Telefonaten. Heute werden diese allerdings immer irrelevanter, da immer mehr Menschen per WhatsApp oder Signal telefonierten. Zum anderen steht die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der EU im Weg, wenn sie auf die Daten der Bürger:innen zugreifen möchte.

Aus diesem Grund will die EU-Kommission im kommenden Jahr einen Technologie-Fahrplan zur Verschlüsselung vorlegen. Ziel ist es nach Angaben der EU, Technologien zu suchen, die in der Lage sind, Strafverfolgungsbehörden einen Zugang zu verschlüsselten Daten zu ermöglichen. Dabei sollen IT-Sicherheit und Grundrechte allerdings unberührt bleiben. Inhaltlich bleibt dies jedoch nach wie vor ein Widerspruch. Außerdem solle Europol ab dem Jahr 2030 vermehrt den Fokus auf Forschung und Entwicklung von neuen Entschlüsselungstechniken legen.

Ob mit oder ohne Chatkontrolle: KI-Massenüberwachung ist auf dem Vormarsch

Ausweis-Zwang fürs Telefonieren?

Seit dem Jahr 2016 ist der anonyme Erwerb von Prepaid-Karten für Handys in Deutschland illegal, genau wie in Italien, Spanien, Polen und vielen Ländern mehr. Polen setzt sich jetzt dafür ein, dass die Ausweispflicht für das Telefonieren mit dem Smartphone nun europaweit eingeführt wird – und das, obwohl die EU-Kommission im Jahr 2013 noch davon sprach, dass „es keine Beweise für die Wirksamkeit dieser Maßnahme für die Strafverfolgung gibt“.

Trotzdem will man über diesen Weg weitere Daten sammeln, immer mit der Begründung, illegale Machenschaften unterbinden und Terror verhindern zu wollen. Mit denselben Argumenten wird in Deutschland schon lange die Videoüberwachung der Innenstädte ausgebaut und KI zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt. Auch für die Kameras gibt es keinen klaren Beleg, dass sie die Städte sicherer machen.

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