Die türkische Republik Nordzypern hat sich bei den Präsidentschaftswahlen deutlich für den Herausforderer Erhürman entschieden, der Verhandlungen mit der griechischen Seite der Insel fordert. Während Erdoğan sich gelassen gibt, fordert MHP-Anführer Bahçeli eine Annexion.
Durch Zypern geht ein tiefer Riss: Die Insel – den meisten Europäern eher als beliebtes Tourismus-Ziel bekannt – ist seit mittlerweile über fünfzig Jahren geteilt in zwei Staaten, von denen nur einer international anerkannt ist und die durch eine „grüne Linie“ getrennt sind. Diese Linie wird seit Jahrzehnten von UNO-Blauhelmen gesichert.
Auch die Hauptstadt Nikosia ist zweigeteilt: gleichzeitig Hauptstadt der Republik Zypern, zugleich im nördlichen Teil de-facto- Hauptstadt der Republik Nordzypern. Diese jedoch wird bis heute ausschließlich vom türkischen Staat anerkannt und kontrolliert.
Aufgrund der verschiedenen gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Insel hat sich die früher sehr stark durchmischte Bevölkerung mittlerweile deutlich auf die jeweiligen Zonen verteilt: So sind viele Zyperngriechen in den Süden geflohen, und andersherum die Zyperntürken in den Norden. Hinzu kommt, dass es eine aktive Siedlungspolitik seitens des türkischen Festlands gibt.
Nun hat die türkische Seite der Insel gewählt: Amtsinhaber Ersin Tatar, der auch während des Wahlkampfs deutlich von Ankara und Erdoğan unterstützt wurde, hat eindeutig verloren: nur 35,8 Prozent der Stimmen konnte er erringen. Tufan Erhürman hingegen hat einen deutlichen Wahlsieg zu verzeichnen. Er gibt sich jedoch, gemäß seiner föderalen Pläne, versöhnlich: „Es gibt keine Verlierer in dieser Wahl, wir alle haben gemeinsam als türkisch-zypriotisches Volk gewonnen“.
Erhürman weiß um die Abhängigkeit seines kleinen Staats vom türkischen Festland: Will er mit der griechischen Seite der Insel verhandeln, braucht er die Unterstützung Erdoğans. Außer diesem gibt es kein anderes Staatsoberhaupt, dass seine Souveränität anerkennt. Und auch wirtschaftlich und militärisch ist die Republik Nordzypern vollständig von der Türkei abhängig.
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Türkische Reaktionen: Von Gratulation bis Annexionsforderungen
Präsident Erdoğan gab sich freundlich und gratulierte den Zyperntürken zu großer „demokratischer Reife“. Diese Reaktion wird wohl auch daher rühren, dass Erhürman nach der Wahl erklärte, keine außenpolitischen Entscheidungen treffen zu wollen, ohne den türkischen Staat zu konsultieren.
Diese Reaktion teilen jedoch nicht alle Teile der türkischen Führungsriege: Vor allem Erdoğans nächster politischer Verbündeter, Devlet Bahçeli, Vorsitzender der faschistischen MHP, griff das Ergebnis scharf an. Aufgrund der seiner Meinung nach niedrigen Wahlbeteiligung von knapp 65 Prozent zweifelt er an der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses und empfiehlt dem Parlament, die Wahl abzulehnen. Außerdem solle es doch direkt beschließen, sich dem türkischen Staat anzugliedern.
Erhürman steht für Friedensgespräche und Wiedervereinigung
Genau das jedoch scheinen die Zyperntürken abzulehnen. Wahlgewinner Erhürman war schon bei den letzten zwei Anläufen zur Wiedervereinigung beteiligt und hat auch ganz klar mit diesem Thema Wahlkampf betrieben. Das erklärte Ziel hierbei: eine Vereinigung als „bizonale, bikommunale“ Föderation.
Eben diese Wiedervereinigung jedoch ist noch ein ganzes Stück entfernt. Vor allem auf der griechischen Seite, die zur EU gehört, ist man bisher kaum bereit, den Zyperntürken volle Mitbestimmung zu gewähren. Immerhin können aber mittlerweile alle Bewohner:innen der Insel die EU-Bürgerschaft erlangen. Trotzdem ist aber vor allem wirtschaftlich die Lage sehr schlecht, u.a. weil man unter der Wirtschaftskrise in der Türkei leidet.
Auch die Wahl Erhürmans selbst ist kein Garant für die Wiederaufnahme der Vereinigungsverhandlungen. So betont Abdullah Korkmazhan von der türkisch-zypriotischen Organisation Sol Hareket (deutsch: Linke Bewegung), dass es sich bei Erhürman um einen entschieden moderaten Kandidaten handelt, der sich ganz bewusst dem türkischen Präsidenten unterordne. Man dürfe ihn nicht mit dem früheren Präsidenten Mustafa Akıncı vergleichen, der deutlich aggressiver für eine Wiedervereinigung und gegen türkische Einflussnahme in Nordzypern stand.
Ebenso vermutet Korkmazhan hinter den verschiedenen Reaktionen auf Erhürmans Wahlsieg einen gewissen Machtkampf zwischen Erdoğans AKP und Bahçelis MHP. Letztere sei deutlich enger mit dem Wahlverlierer Tatar verbunden gewesen, während die AKP seine Niederlage schon viel früher akzeptierte. Er macht dies auch daran fest, dass es bei dieser Wahl eine viel geringere Einflussnahme der türkisch-staatlichen Seite gegeben habe.
Eine kleine Insel – Spielball großer Mächte
Das Land im levantinischen Meer – dem östlichsten Teil des Mittelmeers und nur 75 km von der türkischen Küste entfernt – ist auch von großer militärischer Bedeutung. Durch seine Größe und die Lage zwischen Westasien, Südosteuropa und Nordafrika ist es schon seit Langem für verschiedene Groß- und Regionalmächte interessant, zum Beispiel Großbritannien und Frankreich, aber eben auch Griechenland und vor allem die Türkei. Auch in den letzten Auseinandersetzungen rund um Israel und Palästina, beispielsweise den britischen Angriffen auf die Huthis im Jemen war es ein Dreh- und Angelkreuz für Flugangriffe.
Doch auch der türkische Staat hat – vor allem um den Einfluss auf die Insel zu sichern – 35.000 Soldat;innen dort stationiert. Diese sei man auch bereit, für die „Rechte und souveränen Interessen der Insel” einzusetzen, so Erdoğan.
Wirtschaftliche Anreize für eine Wiedervereinigung
Auch auf andere Weise hat die Insel erneut an Relevanz gewonnen: Der Fund großer Erdgasvorkommen in der Region, auf die sowohl die türkische Republik als auch die Republik Zypern Anspruch erheben. Bisher verhinderte ein Abkommen zwischen Zypern, Israel, Griechenland und Ägypten, sowie ein sehr bereitwilliges Eingreifen auch der britischen und französischen Flotte und Luftwaffe, dass die türkische Seite ihren Anspruch geltend machen konnte.
Ein Abkommen zugunsten der Anerkennung Nordzyperns könnte jedoch die nordzypriotische und türkische Wirtschaftszone im Mittelmeer stärken. Gleichzeitig würde dies jedoch auch den Einfluss Ankaras schwächen und den kleinen Inselstaat aus seiner unabänderlichen Abhängigkeit befreien.
Ob dies jedoch auch im Interesse der europäischen Union und der von den europäischen Großmächten abhängigen Republik Zyperns ist, wird sich in den kommenden Verhandlungen zeigen. Der zypriotische Präsident Nikos Christodoulides gratulierte Erhürman immerhin und gab bekannt, weitere Verhandlungen zu unterstützen.

