Seit Anfang Juli debattiert die Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ darum den Pflegegrad 1 und seine Streichung. Nun soll er bleiben, Leistungen sollen aber überprüft werden. Kürzungen würden Betroffene und Pflegekräfte – in der Mehrzahl noch immer Frauen – noch stärker belasten.
Der Pflegegrad 1 wurde 2017 mit dem Ziel eingeführt, pflegebedürftigen Menschen zu ermöglichen, möglichst lange in ihrem eigenen Zuhause zu bleiben. Inbegriffen in dieser Kategorie sind Menschen mit psychischen und kognitiven Einschränkungen – besonders häufig Betroffene mit beginnender Demenz.
Nun prüft die Bundesregierung laut einem Ende September veröffentlichten Artikel der Bild-Zeitung eine Abschaffung des Pflegegrads 1 im Rahmen der Pflegereform 2026. Dies sei Aufgabe der Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern im „Zukunftspakt Pflege“.
Vermeintliche Effizienz der Abschaffung
Die Idee stammt aus der naheliegenden Rechnung, dass durch Streichung des Pflegegrads 1 ca. zwei Milliarden Euro gespart würden, die das ebenso große Defizit in der Pflegeversicherung ausgleichen könnten.
Vernachlässigt werden dabei allerdings nicht nur Grundideen des Sozialstaats, wie es die Bundesregierung dieses Jahr schon mehrfach, beispielsweise durch die Streichung des Bürgergelds, vollbracht hat.
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Auch aus kapitalistischer Perspektive entstünden durch diese Maßnahme langfristig eher Mehrkosten. So analysierte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in einer Stellungnahme, dass die Entlastungsleistungen für Pflegegrad 1 hauptsächlich zur Prävention und Rehabilitation genutzt würden. Fehlen diese Leistungen, müssen Betroffene häufig deutlich früher in stationäre Behandlung. Dies führt zu höheren Kosten, aber eben auch zu höherem Leid der Betroffenen und ihrer Angehörigen, die häufig die Pflege übernehmen.
Die rund 86 Prozent der Pflegebedürftigen, die zu Hause versorgt werden, erhalten diese Unterstützung überwiegend durch Angehörige, seltener auch durch ambulante Betreuungsdienste.
Leistungen im Pflegegrad 1
Durch die monatlich maximal 131 Euro des Entlastungsbetrags sollen deshalb nicht nur Pflegeprodukte und Tages- oder Nachthilfe, sondern auch Kurzzeitpflege, ambulante Pflege und Betreuung sowie – je nach Landesrecht – Alltagsunterstützung abgedeckt werden. Diese müssen alle von den Betroffenen in Vorleistung gezahlt werden, was für viele schon jetzt kaum möglich ist. Zusätzlich ist ein einmaliger Betrag von 4.180 Euro beantragbar, um das eigene Zuhause barrierefrei umzubauen.
Da diese Zahlungen bei Weitem nicht reichen, um externe Pflegekräfte angemessen zu bezahlen, haben Angehörige der Betroffenen mit Pflegegrad 1 ebenfalls Anspruch auf Pflegekurse und -beratung.
Auswirkungen auf Frauen in der Angehörigen-Pflege
Die Streichung des Pflegegrades 1, welcher weder Pflegegeld noch Pflegesachleistungen beinhaltet, beeinflusst auch maßgeblich die Angehörigen, die unbezahlte Pflegearbeit leisten.
Denn laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus den Jahren 2019 und 2020 übernehmen immer noch überwiegend Frauen die informelle Pflege. 23,9 Prozent der befragten Frauen gaben an in der Angehörigenpflege tätig sein, bei den Männern waren es 19,3 Prozent. Dieser Trend bestätigt sich auch über alle Altersgruppen hinweg.
Eine noch stärkere Abwälzung der Verantwortung auf diese Frauen trägt deshalb weiterhin zur kapitalistischen Ausbeutung durch den Gender Care Gap bei.
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Das bedeutet, dass die überwiegend weiblichen Angehörigen in der Pflege nicht nur häufiger selbst körperliche Beschwerden, sondern auch weniger Einkommen bekommen, dadurch geringere Rentenansprüche haben und häufiger von Altersarmut betroffen sind.
Pflegegrad bleibt, doch Leistungen werden geprüft
Nun gab Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) bekannt, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ zum Ergebnis kam, die jetzigen Pflegegrade beizubehalten. Dennoch sollen bisherige Leistungen überprüft werden: „Eine umfassende Reform ist überfällig”, so die Gesundheitsministerin.
Zuvor hatten sich SPD, Grüne und Linke wie auch eine Vielzahl an Sozialverbänden wie der VdK dagegen ausgesprochen. Somit bildete sich eine relativ breite Opposition.
Die jetzt angekündigten Leistungsüberprüfungen fallen dennoch ins Muster des kleinschrittigen Sozialstaatsabbaus. Beinhalten könnte das zum Beispiel Leistungsanpassung und -reduktion oder eine höhere Schwelle bei Begutachtungen, die den Zugang zu den bisher verfügbaren Pflegeleistungen noch stärker einschränken und erschweren würden.

