In Ecuador herrschen seit fast einem Monat schwere gesellschaftliche Unruhen und Proteste. Sie richten sich gegen den rechten Präsidenten Daniel Noboa und dessen Politik. Das Land befindet sich am Scheideweg zwischen Revolution und Diktatur. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko.
Das kleine lateinamerikanische Land befindet sich im Nordwesten des Kontinentes, zwischen Andengebirge und Amazonasregenwald. Bekannt ist es unter anderem für seine große natürliche Artenvielfalt, aber auch seinen Reichtum an fossilen Ressourcen wie Erdöl. Traurige Anerkennung bekommt es aktuell als eines der am stärksten durch Gewalt geprägten Länder der Region. Gemeint sind die 2.361 gewaltsamen Morde im ersten Trimester 2025, die meisten im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität.
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Die extreme Gewaltsituation durch die Drogenkartelle dient hingegen dem ecuadorianischen Staat bzw. der rechten Noboa-Regierung als Begründung für eine zunehmende Aushebelung von Rechten der Bevölkerung. Auch die staatliche Repression gegen streikende und protestierende Arbeiter:innen nimmt immer mehr zu, sodass viele Kommentator:innen bereits von einem autoritären Staatsumbau wie in Argentinien unter Milei, den USA unter Trump oder El Salvador unter Bukele sprechen.
Seit fast einem Monat entwickeln sich sowohl Streik- als auch Protestwellen in dem 18-Millionen-Einwohner-Land, welche die staatliche Ordnung zunehmend in Frage stellen. Der Staat hingegen antwortet mit drakonischer Polizeigewalt, dem Verschwindenlassen von Personen und einer Diffamierung aller Protestierenden als vermeintliche „Terrorist:innen“. Aktuell geht man von mindestens drei von der Polizei ermordeten Menschen als auch von hunderten Verhafteten und Verletzen aus.
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Bilderbuchversion eines faschistischen Staatsumbaus
Noboas Projekt eines autoritären Staatsumbaus erinnert stark an vergleichbare rechte Diktaturen der Region, sowohl aktuelle wie auch vergangene. In Berufung auf eine dauerhafte und mit „normalen Mitteln“ nicht mehr zu lösende Krise wird der Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser ermöglicht es, die vorhandenen demokratischen bzw. parlamentarischen Schutzmechanismen entweder direkt zu umgehen, oder er hebelt diese aus. Demokratische Grundrechte wie die Organisations- und die Versammlungsfreiheit werden radikal und mit Gewalt von Staatsseiten aus eingeschränkt.
Ganz in diesem Sinne fungieren das „Gesetz zur Nationalen Solidarität“ und das „Geheimdienstgesetz“. Ersteres erlaubt dem Präsidenten den „internen bewaffneten Konflikt“, wie der Notstand genannt wird, ohne parlamentarische Zustimmung immer wieder zu verlängern. In diesem können Gesetze dann ebenfalls mit hoher Geschwindigkeit und eingeschränkter parlamentarischer Kontrolle verabschiedet werden – sozusagen der erste Baustein für den Staatsumbau.
Das „Geheimdienstgesetz“ schafft ein nationales zusammenhängendes Geheimdienstsystem, welches Polizei, Geheimdienst und Armee das Recht gibt, eine totale Massenüberwachung ohne Einschränkungen durchzuführen. Zudem werden auch die Rechte zum tödlichen Einsatz von Gewalt durch Staatskräfte und die vereinfachte Begnadigung dieser im Falle von Gewaltverbrechen weiter ausgebaut.
Es folgt das sog. „Demokratiegesetz“, welches alle Parteien auflöst, die bei der Wahl weniger als 5% Stimmen erhalten haben. Ihre Parlamentssitze gehen dann an die größeren Fraktionen im Parlament, wie Noboas Partei ADN und die Oppositionspartei RC des ehemaligen Präsidenten Correa. Rafael Correa hatte in den Jahren zuvor bereits ähnliche Projekte wie Noboa verfolgt, welche ebenfalls von massiven Massenprotesten beantwortet wurden.
Das Verfassungsgericht hat schon mehrere Gesetze der Regierung für unzulässig erklärt, was aber deren Durchsetzung durch die Exekutive bisher nicht verhinderte. Daraufhin erklärte der Präsident das Verfassungsgericht kurzerhand zum „Feind der Nation“ und organisierte einen rechten Protestmarsch, auf dem die Richter:innen bedroht wurden.
Doch der Widerstand formiert sich …
Die Aufzählung der staatlichen Maßnahmen, die sich gegen die Umwelt und die Bevölkerung richten, könnte schier endlos weitergehen. Auslöser, aber nicht einziger Grund für die Massenproteste und Streiks, war die Erhöhung des staatlich subventionierten Benzinpreises. Mit dieser Erhöhung geht auch eine massive Erhöhung aller Preise des täglichen Lebens einher, da damit der Transport deutlich teurer wird.
Diese Erhöhung sollte bereits vom letzten Präsidenten eingeführt werden und ist eine zentrale Forderung des Kreditgebers (bzw. Schuldners) des Landes: dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Dabei hatte Noboa ursprünglich damit Wahlwerbung gemacht, die Kürzung der Subventionen verhindern zu wollen. Inzwischen sagt er, dass sie keinesfalls zurückgenommen werden, komme was wolle.
Das Protestgeschehen ist vielfältig und die Teilnehmenden unterscheiden sich zum Teil in ihren Anliegen. Doch vereint sie, in einem der ärmsten Länder der Welt zu leben, welches über einen enormen natürlichen Reichtum verfügt. Indigene Bäuer:innen und Arbeiter:innen, Jugendliche und Frauen, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, revolutionäre kommunistische Parteien und soziale Bewegungen – sie alle sind auf der Straße und kämpfen um die Zukunft ihres Landes.
Derweilen unterstützen imperialistische Mächte wie Israel und die USA die rechte Regierung und ihre gewaltsame Unterdrückung der Bevölkerung durch Militärhilfen und Ausbildung der Sicherheitskräfte. Ecuador steht am Scheideweg. Alles deutet darauf hin, dass die vom Ausland abhängige ecuadorianische Regierung den Weg zum Faschismus einschlagen könnte.
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Die Arbeiter:innen und Bäuer:innen haben kein besonders großes Interesse mehr an der Verteidigung der schlechten kapitalistisch-demokratischen Ordnung. Doch von einer Revolution ist bislang nur zu träumen. Dafür sind die unterdrückten Massen in Ecuador zahlenmäßig und organisatorisch unterlegen. Derzeit wird der rechte Kurs der Regierung mittels Polizei und Militär kurzerhand rigoros durchgesetzt.
Wenn die unterdrückten Massen die Protestdynamik aufrechterhalten und sich weiter lokal, national sowie international vernetzen und zusammenschließen, dann darf man vielleicht doch noch träumen dürfen. In jedem Fall gibt der andauernde Kampf der Ecuadorianer:innen im Kontext der weltweit tobenden Gen-Z-Proteste weiter Hoffnung, dass sich doch was ändert.
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