Der Bundesinnenminister schlägt regelmäßige Unterrichtsstunden vor, in denen Schüler:innen auf Katastrophen und den Kriegsfall vorbereitet werden. Warum das aus Sicht des Staates nur logisch ist und welche politischen Aufgaben sich daraus für junge Kriegsgegner:innen ergeben. – Ein Kommentar von Paul Gerber.
Im Interview mit dem Handelsblatt hat Bundesinnnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kürzlich mal wieder öffentlich mit der Idee geliebäugelt, mindestens eine Doppelstunde pro Schuljahr verpflichtend einzuführen, in der Schüler:innen systematisch auf mögliche „Bedrohungsszenarien“ vorbereitet werden sollen.
Wie immer, wenn in den letzten Monaten und Jahren von Katastrophenschutz oder Ähnlichem die Rede war, geht es hier unterm Strich vor allem um ein Szenario: Einen neuen großen Krieg, an dem Deutschland aktiv teilnimmt und in dem dann auch in diesem Land Städte mit Raketen, Drohnen und Bomben angegriffen werden könnten.
Auf den ersten Blick reiht sich der Vorschlag des Innenministers in die allgegenwärtigen Versuche, die Gesellschaft „kriegstüchtig“ zu machen, ein – ein Begriff, den sein Kollege Boris Pistorius (SPD) aus dem Verteidigungsministerium erfolgreich etabliert hat. Einen zweiten Blick verdient aber Dobrindts Begründung. „Kinder sind wichtige Wissensträger in die Familien hinein.“, sagt er im Interview. Auf gut Deutsch: Über Kinder und Jugendliche können wir die ganze Gesellschaft beeinflussen.
Natürlich werden mit Youtube-Serien über die Bundeswehr, über Podcasts, Talkshows und Zeitungsartikeln sowie Bundestagsreden alle möglichen Mittel aufgefahren, um die vom Frieden verwöhnte und verweichlichte Bevölkerung auf schwere Zeiten einzustimmen, in denen nichts mehr sicher ist, außer sinkenden Lebensstandards, schärferer Ausbeutung und allgegenwärtiger Angst vor der Eskalation zum Atomkrieg.
Doch die Schulen haben all diesen Mitteln gegenüber einen entscheidenden Vorteil. In Deutschland gilt Schulpflicht und zumindest theoretisch werden sie damit zu einer der wenigen staatlichen Institutionen, über die die Überzeugungen und Werte einer ganzen Generation systematisch bearbeitet werden können.
Die Jugend auf den Krieg einschwören
Und diese Generation wird für das Abschneiden des deutschen Staats in einem drohenden Weltkrieg um Rohstoffe, Handelsrouten und technologische Vorherrschaft von ganz entscheidender Bedeutung sein. Dobrindt will also nicht nur erreichen, dass die Jugend die eigenen Eltern und Großeltern mit ihrer „Wehrhaftigkeit“ ansteckt, vor allem muss es ihm darum gehen, die Jugend selbst auf Krieg- und Kriegsdienst einzustimmen.
„Von der Jugend hängt die Zukunft des deutschen Volkes ab. Die gesamte deutsche Jugend muß deshalb auf ihre künftigen Pflichten vorbereitet werden.“ Unwillkürlich fühlt man sich an solche Sätze erinnert. Sie stammen aus dem Gesetz über die Hitler-Jugend, erlassen im Jahr 1936. Doch ihr Kerngedanke fasst das Dilemma der heutigen Kriegsvorbereitungspolitik in der Bundesrepublik gut zusammen.
Die Jugend selbst zeigt sich nämlich nach wie vor nicht gerade kriegsbegeistert. Und das äußert sich bei weitem nicht nur über Autor Ole Nymoen, der seit Monaten von Talkshow zu Talkshow gereicht wird, als Vertreter einer Generation, die ihre angeblichen staatsbürgerlichen Pflichten mit der Waffe in der Hand einfach nicht anerkennen will.
Während Umfragen nämlich mittlerweile selbst bei Jugendlichen teilweise knappe Mehrheiten ermitteln, die sich für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aussprechen, gibt weiterhin nur eine Minderheit an, dass sie selbst gerne zur Bundeswehr gehen würde.
Wir sind dem staatlichen Lehrplan nicht hilflos ausgeliefert
Letztlich ist es logisch, dass der deutsche Staat ein besonderes Augenmerk auf die Jugend legt, wenn es um die mentale Kriegsvorbereitung der Bevölkerung geht. Und auch für alle, die diese Kriegsvorbereitungen verlangsamen, untergraben und wo es geht verhindern wollen, macht dieser Fokus umgekehrt Sinn.
Letztlich wird ein großer Krieg zwischen den kapitalistischen Großmächten das Leben aller Generationen in Deutschland vollkommen auf den Kopf stellen und in jeder Hinsicht zum Schlechten verändern. Tatsächlich aber wird hierbei ganz besonders wichtig sein, wie sich die heutige Jugend entscheidet, wenn Vater Staat sie auf dem Altar deutscher Großmachtansprüche opfern will.
In diesem Sinne gilt es alle Pläne Dobrindts als politische Herausforderung zu verstehen. Eine weitere Doppelstunde Kriegsvorbereitung pro Jahr ist auch eine weitere Doppelstunde, in der antimilitaristisch eingestellte Schüler:innen und Lehrer:innen die aus dem Innenministerium verordnete Propaganda gründlich auseinandernehmen und widerlegen können.

