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Überwachungsstaat Deutschland?

Telekommunikationsüberwachungsgesetz, Vorratsdatenspeicherungsgesetz, Staatstrojaner, biometrische Überwachung: Was bei manchen Erinnerungen an Science Fiction, George Orwells Big Brother, Stasi-Horror oder NSA-Affäre wecken mag, sind tatsächlich ein Teil der Maßnahmen und Gesetzesvorschläge der über 3.200 Überwachungsbefugnisse in Deutschland. – Ein Kommentar von Marc Bremer.

Den Satz „Daten sind das neue Gold“ haben sicherlich viele schon gehört. Er sagt zunächst aus, dass Daten, und gemeint sind damit häufig personenbezogene Daten, einen enormen Wert haben. Meist steckt hinter diesem Satz, dass viele Unternehmen Daten nutzen, um ihren Profit zu erhöhen, durch angepasste Werbeanzeigen, Trendanalysen und neuerdings auch als „Futter“, um künstliche Intelligenz zu trainieren.

Aber neben Unternehmen sind auch Staaten im Goldrausch. Ihnen geht es bei den Daten jedoch weniger um die Lieblingsfarbe oder die neusten Modetrends. Daten Sammeln, Analysieren und Speichern birgt einen anderen Zweck.

Überwachung zur Kontrolle

Auch bei der staatlichen Überwachung spielt die KI eine bedeutende Rolle. Für diese bedeutet KI nämlich vor allem neue Möglichkeiten der Datenverarbeitung. In mehreren Bundesländern oder Städten werden neue Maßnahmen unternommen und Gesetze verabschiedet, Videoüberwachung mit KI auszuweiten.

Als ein Beispiel dafür ist Hamburg zu nennen. Dort sollen bestimmte Verhaltensweisen oder Bewegungen von Personen mit vordefinierten Mustern abgeglichen und damit auf mögliche Straftaten und „Gefahrensituationen“ hindeuten. Beim letzten derartigen Test in Hamburg wurden Umarmungen als Schlägerei gewertet und auch Taumeln wurde als gefährlich eingestuft. Beispiele, die betonen, was Expert:innen immer wieder sagen: Einen klaren Beleg für mehr Sicherheit durch Videoüberwachung gibt es nicht.

KI-Überwachung in Hamburg: Menschenrechte und Datenschutz adé

So kommt es eher dazu, dass Kriminalität sich verlagert, während die Abschreckung durch Überwachung bei der Affekt-Kriminalität, also im Drogenrausch oder Emotionen heraus, grundsätzlich kein Einfluss hat.

Wenn also die erhöhte Videoüberwachung nicht zu weniger Kriminalität führt, was erhofft sich der deutsche Staat dann davon? Auch hier ist ein Blick nach Hamburg lohnend. Das neue KI-System ermöglicht es hier auch politische engagierte Personen und Veranstaltungen zu erkennen und direkt der Polizei zu melden. Videoüberwachung, ob nun verstärkt durch KI oder nicht, ermöglicht dem Staat und seiner Polizei also eine größere Kontrolle über unliebsame Aktionen.

Ein weiter Punkt der verschärften Überwachungsmaßnahmen, ist die Erweiterung der Datenspeicherung. Ziel der Pläne der Bundesregierung ist die Einführung einer verpflichtenden Speicherung von IP-Adressen. Konkret ermöglicht dies den Behörden einen Zugriff auf die IP-Adressen, also die Adresse von Geräten im Internet und soll die Identifizierung von Straftäter:innen im Internet erleichtern. Doch auch der Vorratsdatenspeicherung fehlt es seit langen an konkreten Beweisen, dass sie zu höheren Aufklärungsraten bei schweren Verbrechen führt, welche aus datenschutzrechtlicher Sicht diese massive Überwachung aller Menschen in Deutschland rechtfertigen soll. Genutzt werden soll sie trotzdem, auch für Vorwürfe wie Hassverbrechen.

Dabei zeigt sich, dass der Vorwurf Hassverbrechen im Internet, gerade in letzter Zeit, im Kontext der Palästinasolidarität für ganz absurde Sachen benutzt wurde. So gab es Hausdurchsuchung, und da sie nicht zu Hause war sogar Schulbesuch, bei einem 16-jährigen Mädchen, das in den sozialen Medien das Kennzeichen einer verbotenen Organisation geteilt haben soll. Auch gab es schon mehrere Gerichtsprozesse wegen Instagramposts wie „Gaza broke free“. Auch hier lässt sich also festhalten, dass die Überwachungsmaßnahmen auch sehr gut genutzt werden können, um politischen Protest kleinzuhalten.

Trotz Videobeweisen zur „Nakba77“-Demo in Berlin: Polizei durchsucht Wohnungen

Auch die sogenannten Staatstrojaner werden gerade wieder verstärkt diskutiert. Als Staatstrojaner bezeichnet man Software, welche durch Sicherheitslücken und ohne Kenntnis der Nutzer:innen auf ein technisches Gerät geladen werden kann. Einmal drauf kann der Geheimdienst, der Staat, die Polizei alles mitlesen, durchsuchen und verändern.

Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht die Nutzung erneut rechtlich bestätigt, jedoch mit der Ausnahme, dass es bei Straftaten bis zu einer Höchststrafe von 3 Jahre Haft unzulässig ist. Diese Hemmschwelle ist jedoch recht einfach übertroffen. Es kommt nicht selten vor, dass die Polizei, zum Beispiel bei Demonstrationen, gegen hunderte Leute den Vorwurf des „schweren Landfriedensbruchs“ erhebt.

Erst kürzlich wurde dies bei knapp 500 Demonstrierenden im Rahmen der antimilitaristischen Rheinmetall-Entwaffnen Demonstration in Köln genutzt. So merkt man, dass, um politischen Protest kleinzuhalten, solch rechtliche Einschränkungen einfach übergangen werden können.

„Krieg dem Krieg“ – Erfolgreiche Aktionswoche beim Rheinmetall Entwaffnen Camp in Köln

Kontrolle für das System

Aus diesen Beispielen zeichnet sich ab, dass die verschärfenden Maßnahmen ein gutes Mittel der Polizei, des Verfassungsschutzes oder anderer staatlicher Organe sind, um zu verhindern, dass immer mehr Menschen ihren Unmut äußern und aktiv werden gegen die Ungerechtigkeiten des Systems. Das ist erst einmal nichts Neues, letztendlich ist der Staat mit all seinen Apparaten ja auch dafür da, dieses System am Laufen zu halten. Gibt es dann Leute, die sich gegen eine Kriegsvorbereitung stellen, die nicht zusehen wollen, wie Menschen erfrieren, während Luxuswohnungen leer stehen, die dieses System der Unterdrückung und Ausbeutung beenden wollen, dann werden diese Menschen logischerweise ins Visier des Staates geraten.

Und auch wenn das nichts Neues ist, ist doch eine klare Verschärfung zu erkennen. Die Möglichkeiten werden immer mehr, KI kann als Hilfsmittel dienen und vor allem wird der politische Wille, direkter und konsequenter gegen Widerstand vorzugehen, immer größer.

Was sich anhand der verschärften Überwachung und Kontrolle zeigt, zeigt sich auch in vielen anderen Bereichen und kommt zu keiner zufälligen Zeit. Vielmehr reihen sie sich ein in eine Reihe von Maßnahmen des Staates, wie Aufstockung der Polizei, steigende Polizeigewalt, Verbot und Hetze gegen Meinungen.

Das Kleinhalten des politischen Widerstands ist gerade in Zeiten größerer diplomatischer, politischer und wirtschaftlicher Krisen sehr wichtig, um das System weiter aufrecht zu erhalten. Spitzen sich Wirtschaftskrisen und Kriege weiter zu, werden auch Kontrolle und Regulierung der eigenen Bevölkerung weiter zunehmen. Jedenfalls dem Teil der Bevölkerung, der nicht von diesem System profitiert. Der Teil der schuften geht, für eines anderen Profit: Die Arbeiter:innenklasse, die aber auch die Macht hat sich dagegen zu stellen.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 103 vom Oktober 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

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