Die Ost- und Nordseeküste wird zunehmend zu einem Kriegsstandort ausgebaut. Städtische Entwicklungsprojekte für Wohnraum wie in Kiel oder Rostock müssen im Zweifelsfall der Bundeswehr weichen.
ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), Raytheon Anschütz und German Naval Yards – die Stadt Kiel ist durch die Kriegsindustrie und Marine gekennzeichnet. Rüstungskonzerne prägen die Stadt nicht nur durch Arbeitsplätze, sondern auch im Stadtbild: die Werft der TKMS kann sogar von der gegenüberliegenden Seite der Förde eingesehen werden. So konnte auch der Bau des israelischen Atom-U-Boots über die vergangenen Jahre beobachtet werden.
Einige ehemalige Militärflächen wurden mit dem Aussetzen der Wehrpflicht für zivile Entwicklungen freigegeben – so auch in Holtenau Ost: Das Areal im Kieler Norden, auf der westlichen Seite der Förde, liegt direkt am Wasser. Die Fläche des ehemaligen Marinefliegergeschwaders 5 (MFG 5) wurde bereits 2013 von der Stadt Kiel aufgekauft.
Seitdem wurde das Gebiet als Sanierungsgebiet ausgewiesen und umfangreiche städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen wurden eingeleitet: Ein Wettbewerb wurde ausgeschrieben, Entwicklungskonzepte erarbeitet und Bürger:innenbeteiligungen durchgeführt. Im Oktober 2024 beschloss die Stadt den Masterplan für das Projekt: Geplant sind tausende Wohnungen, mehrere Kindertagesstätten, Schulen, Grünflächen und Bürogebäude. Damit sollte in Holtenau Ost das größte städtebauliche Entwicklungsprojekt Schleswig-Holsteins entstehen.
Seit diesem Jahr zeigt aber auch die Bundeswehr wieder Interesse an der Fläche: Kiel soll als Marinestandort weiter ausgebaut werden. Ähnliche Entwicklungen sind derzeit entlang der Nord- und Ostseeküste zu beobachten. In der Hansestadt Rostock werden im Ortsteil Laage Eurofighter-Pilot:innen ausgebildet, das Zentrale Marinekommando befindet sich in der Stadt, außerdem gibt es Liegeplätze für Kriegsschiffe. Weitere Vorhaben, wie ein Standort für das Weltraumüberwachungsradar-System GESTRA, sind bereits geplant.
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Deutschland als Drehkreuz
Die Ausbreitung der Bundeswehr wird mit der „veränderten Sicherheitslage“ begründet. Die Aufrüstung wird unter anderem durch die neue Wehrpflicht und die steigenden Ausgaben für das Militär vorangetrieben. Im von der Bundesregierung und der NATO häufig beschriebenen „Kriegsfall” wird von einem Krieg mit Russland und seinen Verbündeten ausgegangen. Deutschland soll in diesem Fall als Drehkreuz in Richtung Ostfront fungieren.
Entsprechende Vorbereitungen werden bereits getroffen: Infrastrukturprojekte wie der Ausbau von Autobahnen in Richtung Osten sollen logistische Voraussetzungen schaffen, während Manöver wie Red Storm Bravo in Hamburg den Ernstfall proben.
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Kriegerische Vorbereitungen sind auch im kleineren Maßstab bei Bauvorhaben spürbar. In den vergangenen Jahren wurde beim Neubau häufig empfohlen, auf Tiefgaragen zu verzichten und stattdessen oberirdische Parkplätze zu errichten – unter anderem wegen der hohen Kosten und der stärkeren Eingriffe in die Umwelt. Nun sollen Tiefgaragen jedoch wieder vermehrt eingeplant werden, da sie im Kriegsfall gleichzeitig als Schutzräume und Bunker genutzt werden können.
Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), erklärt dazu: „Wir benötigen eine schnellere Lösung. Daher wollen wir Tunnel, U-Bahnhöfe, Tiefgaragen und Keller öffentlicher Gebäude zu Schutzräumen ertüchtigen. Wir werden so schnell eine Million Schutzplätze schaffen.“
Unklare Zukunft für Bauprojekte
Wie es in Kiel mit den Plänen für Holtenau Ost weitergeht, ist derzeit unklar. Bürgermeister Ulf Kämpfer berichtet von laufenden Verhandlungen mit der Bundeswehr. Zu einem Ergebnis möchte man bis Ende Januar kommen. Sollte es zu keiner Einigung kommen, kann die Bundeswehr ein Enteignungsverfahren einleiten, begründet mit einem „übergeordneten Gemeinwohlinteresse“.
Weitere Eingriffe in Entwicklungsmaßnahmen kann die Bundeswehr außerdem dann vornehmen, wenn Projekte in räumlicher Nähe zu militärischen Einrichtungen liegen. Ein formales Veto-Recht besitzt sie zwar nicht, jedoch müssen ihre sicherheits- oder betriebsrelevanten Belange berücksichtigt werden. Dies geschieht im Rahmen der Beteiligung an Planungsverfahren und der Abwägung von Bedenken.
Letztlich kann die Bundeswehr jederzeit mit den Sicherheitsinteressen des Bundes argumentieren. Im Zweifel kann das zur Änderung oder Aufhebung bestehender Planungen führen.

