Zeitung für Solidarität und Widerstand

Dem Kapitalismus ausgeliefert!

Die Beschäftigten des Lieferdienstes Lieferando streiken seit Monaten immer wieder gegen Stellenabbau und die Ausgliederung in Subunternehmen. Dieser Arbeitskampf in einer besonders prekären Branche kann als Vorbild für andere Kämpfe gegen Stellenabbau dienen. – Ein Kommentar von Eric Hausmann.

In den letzten Monaten gab es deutschlandweit Streikaktionen von Lieferando-Beschäftigten. In Köln, Berlin, Hamburg, Dortmund und anderswo standen die Fahrräder still, wenn die Rider zum Teil mehrere Tage die Arbeit niederlegten. Grund dafür war die Ankündigung des Konzerns, 2.000 Stellen abzubauen. Das entspricht rund 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland. Besonders die Flotte in Hamburg soll betroffen sein.

Dass Arbeiter:innen von Lieferdiensten streiken, ist nichts Neues, weil die Arbeitsbedingungen in dieser Branche schon seit Jahren besonders hart sind: Bei Wind und Wetter fahren die Arbeiter:innen – viele von ihnen Migrant:innen – unter ständiger Unfallgefahr die Essenslieferungen aus. Hierfür zahlen die Firmen selten mehr als den Mindestlohn. Zusätzlich übernehmen Lieferdienste häufig keine Kosten für Reparaturen und Instandhaltungskosten der Fahrräder. Besonders im Gedächtnis geblieben ist der wilde Streik beim Lebensmitteldienst „Gorillas“ im Jahr 2021 als spontaner Widerstand gegen Entlassungen.

Die Branche ist von einem Dschungel aus Subunternehmen geprägt. Ein großer Teil der Beschäftigten wird dort zu dubiosen Arbeitsbedingungen angestellt. Verschiedene Investigativ-Recherchen berichten z. B. von Einstiegsgebühren: Beschäftigte sollen also zahlen, um überhaupt arbeiten zu dürfen. Gehälter wurden zum Teil in Umschlägen in Parks übergeben. In Chatgruppen wurden Arbeiter:innen unter Druck gesetzt, sofort für andere einzuspringen – sonst wurde mit Entlassung gedroht. Bei der aktuellen Entlassungswelle geht es Lieferando weniger darum, dass sie keine Arbeiter:innen mehr benötigen. Vielmehr wollen sie einen Großteil der Beschäftigten in solche Subunternehmen drängen.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) versucht seit mehreren Jahren, einen Tarifvertrag mit 15 Euro Mindestlohn und verbesserten Arbeitsbedingungen bei Lieferando zu erkämpfen. Sie ruft zu Streiks auf und verbindet die Forderung nach einem Tarifvertrag mit der Forderung nach dem Erhalt der Stellen und einem Sozialtarifvertrag, falls es doch zu Entlassungen kommen sollte. Während die NGG sich jedoch einen sozialpartnerschaftlichen Umgang mit dem Unternehmen wünscht, setzt Lieferando lieber auf das sogenannte Union-Busting, das Zerschlagen von Gewerkschaften: Standorte mit einem starken Betriebsrat sind besonders stark vom Stellenabbau betroffen und die Forderungen nach einem Tarifvertrag wurden bisher konsequent ignoriert.

Die Kampfbedingungen bei Lieferando sind nicht nur deshalb erschwert. Hinzu kommen Sprachbarrieren zwischen den Beschäftigten und der Umstand, dass sie im Arbeitsalltag selten zusammenkommen.

„Lieferando“ wäscht seine Hände in Unschuld

Gerade deshalb ist die anhaltende Streikwelle bei Lieferando in diesem Jahr beeindruckend und ein Vorbild für den Kampf gegen Stellenabbau, der in Deutschland gerade an allen Ecken und Enden stattfindet. Bei Lieferando zeigt sich sehr deutlich, was wir in anderen Branchen auch sehen können: Es ist nicht so, dass die Kapitalist:innen unsere Arbeitskraft nicht brauchen würden.

Sie wollen vielmehr im Konkurrenzkampf mit anderen Firmen unsere Arbeitsbedingungen verschlechtern und unsere Löhne drücken: Sei es durch Kurzarbeit, Abfindungen, Altersteilzeit oder eben die Auslagerung an Subunternehmen. Das sollte uns aber auch zeigen, dass wir als die Klasse, die tagtäglich zur Arbeit geht und den Laden am Laufen hält, auch die Macht haben, unsere Interessen durchzusetzen.

Wenn sich die Beschäftigen in anderen Branchen ein Beispiel an den Lieferando-Fahrer:innen nehmen und gegen den Stellenabbau streiken; wenn die Lieferando-Beschäftigten in ihrem Arbeitskampf aufgreifen, dass große Teile der Arbeiter:innenklasse in Deutschland von den gleichen Problemen betroffen sind; wenn die Beschäftigten sich branchenübergreifend miteinander solidarisieren, werden sie auch langfristig erfolgreich sein.

Dieser Text ist in der Print-Ausgabe Nr. 104 vom November 2025 unserer Zeitung erschienen. In Gänze ist die Ausgabe hier zu finden.

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