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Deutsche Bahn: Sitzen wir wirklich alle im selben Zug?

Die Deutsche Bahn hat eine Werbeoffensive gestartet, um ihr Image aufzupolieren. Die Witzeleien über Verspätungen sollten uns vom Wesentlichen aber nicht ablenken. – Ein Kommentar von Mohannad Lamees.

Im Oktober 2025 hat die Bahn einen neuen Negativrekord aufgestellt: Nur 52 Prozent aller Fernzüge kamen pünktlich an ihr Ziel – ein schlechterer Monatswert wurde nie erfasst. Und Verspätungen unter fünf Minuten sowie komplette Zugausfälle werden in dieser Statistik von der Bahn nicht einmal mit eingerechnet.

Für einen großen Schock wird dieser Umstand wohl kaum sorgen. Probleme bei der Bahn gehören mittlerweile zur Alltagskultur und wohl kaum ein Thema eint so viele Menschen in Deutschland, wie sich über Verspätungen, überfüllte Züge, Ausfälle und schräge Zugansagen zu beschweren.

Nun hat die Deutsche Bahn eine Webserie produziert, in der genau dieses alltägliche Chaos abgebildet wird. Die Grundaussage: Mit den vielen Einschränkungen und Unannehmlichkeiten müssen wir leben.

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Die Bahn will alle mitnehmen

Unter dem Titel „Boah Bahn” sind bislang sechs Folgen erschienen, in denen der Alltag von einem Team von Zugbegleiter:innen komödiantisch dargestellt wird. Mit der Komikerin Anke Engelke konnte die Bahn die Hauptrolle der Zugchefin mit einer der beliebtesten deutschen Fernsehstars besetzen. Für das jüngere Zielpublikum tauchen in vielen Folgen der Serie Influencer:innen auf, die Bahnpersonal, Security oder Fahrgäste mimen. Die Geschichten werden dabei als sogenannte Mockumentary erzählt, also als fiktive Dokumentation. Die einzelnen Folgen sind jeweils nur ein paar Minuten lang und werden bei Instagram und YouTube veröffentlicht – die Bahn geht mit der Zeit.

Wer die Serie Discounter mochte, wird sicherlich auch an einigen Witzen aus Boah Bahn Gefallen finden. Insgesamt ist es aber mit den Gags in der Bahn-Serie ein bisschen so wie mit den Zügen: Sie kommen nicht immer an. Um möglichst viele Zuschauer:innen abzuholen, bildet die Serie eine Art Durchschnitt der deutschen Humorlandschaft ab: vom sich lustig machen über Nerds und Wokeness bis zur Nennung der berühmt berüchtigten Drogenszene am Frankfurter Hautbahnhof, von der toughen migrantischen jungen Frau bis zum unangenehmen Wutgast ist alles dabei, was Anklang finden könnte. Wirkliche Tiefe kann man nicht erwarten. Ein Dauerbrenner ist der automatische Türöffner im ICE, der die Türen nie dann aufmacht, wenn man es möchte.

Die einzelnen Stories sind aber ohnehin nicht das Wesentliche. Die Serie ist vielmehr Teil einer größeren Werbeoffensive, mit der die Bahn ein neues Image aufbauen will: Es ist nicht perfekt, aber wir müssen da alle gemeinsam durch. Vor allem im Vergleich zu früheren Werbungen fällt da der Unterschied auf:

In den 90er Jahren, rund um die Privatisierung der Bahn, warb der Konzern beispielsweise noch damit, dass die einzelnen Zugverbindungen noch besser aufeinander abgestimmt werden, damit so wenig Wartezeiten wie möglich entstehen. Passend dazu turnten Artist:innen an Trapezen durch eine riesige Bahnhofshalle und vermittelten auch ästhetisch die Präzision, für die die Bahn stehen wollte.

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Heute wirbt die Bahn eher für Verständnis. Als Teil der Kampagne erklärt Anke Engelke in Talkshows, wie wichtig ihr ist, dass Zugbegleiter:innen und andere Bahnarbeiter:innen nicht immer den ganzen Frust der Reisenden auffangen muss: „Das Bahnpersonal kriegt immer alles ab und kann nichts dafür”.

Wir müssen da alle gemeinsam durch?

Warum die Bahn die Serie produziert, wird schnell klar, wenn man sich die Strategie der Bahn anschaut: Während die Pünktlichkeitsziele zuletzt herabgesenkt wurden, ist die Erhöhung der Kundenzufriedenheit eines der „Top-Ziele” des Bahn-Konzerns. Kurzfristig lässt sich diese aber nicht durch eine Verbesserung der marodierenden Infrastruktur beheben, sondern muss durch Werbung und Witze hergestellt werden. Ganz nach dem Motto: Hauptsache in den verspäteten Zügen herrscht gute Laune.

Die Verspätungen und Ausfälle in der letzten Zeit sind ohnehin nur ein Vorbote der Umstellungen, die in den nächsten zehn Jahren auf Bahn-Kund:innen zukommen. In einem längst überfälligen Mammutprojekt sollen bis 2036 vierzig der wichtigsten Hauptrouten saniert werden.

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Letzten Endes ist die Serie also eine Offensive der Chefetage, um die eigenen Ziele zu erreichen. Von der schönen Vorstellung, dass Reisende und Bahnpersonal gemeinsam solidarisch durch die schwierige Zeit kommen, müssen wir deshalb nicht unbedingt abrücken – Solidarität unter Arbeiter:innen ist nichts schlechtes. Doch mit der Chefetage der Bahn sitzen wir eben nie im gleichen Zug. Und wer wissen möchte, wie die Bahnchefs selbst mit ihren Arbeiter:innen umgehen, der muss sich nur daran erinnern, wie die Bahn die streikenden Lokführer:innen und das streikende Zugpersonal behandelt, wenn diese mehr Lohn fordern: Von oben herab, verleumderisch, unnachgiebig — ganz ohne Witz.

Mohannad Lamees
Mohannad Lamees
Seit 2022 bei Perspektive Online, Teil der Print-Redaktion. Schwerpunkte sind bürgerliche Doppelmoral sowie Klassenkämpfe in Deutschland und auf der ganzen Welt. Liebt Spaziergänge an der Elbe.

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