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Lettland tritt aus Frauenschutzabkommen aus

Das Lettische Parlament hat für den Austritt aus der Istanbul-Konvention, zum Schutz von Frauen vor allen Arten der Gewalt gestimmt. Dahinter verbergen sich Transfeindlichkeit und ein Europaweiter Rechtsruck.

Das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ – besser bekannt als Istanbul-Konvention – verpflichtet alle unterzeichnenden Staaten den besonderen Schutz von Frauen und Mädchen durch Maßnahmen zur Prävention, Schutz der Betroffenen und Verfolgung der Täter sicher zu stellen. Die Übereinkunft umfasst auch gesonderte Schutzmaßnahmen für Migrantinnen und asylsuchende Frauen.

Seit ihrer Verabschiedung 2011 haben sie 46 Mitgliedsstaaten des Europarates unterzeichnet und 34 Länder ratifiziert, sprich in Gesetzesform gegossen. Die Konvention ist bei weitem jedoch kein Wunderheilmittel gegen patriarchale Gewalt. Anders als man meinen würde, steigt alleine die Zahl der dokumentierten Gewalttaten gegen Frauen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, die die Konvention ratifiziert haben, kontinuierlich an. Mittlerweile wird beinahe jeden Tag ein Femizid in Deutschland begangen.

Austritt wegen Transfeindlichkeit?

Besonders angetrieben wird diese Entwicklung vom allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsruck in Europa. Unter dem Vorwand „traditionelle Familienbilder“ zu schützen, propagieren Faschist:innen eine noch stärkere Unterdrückung von Frauen und hetzen gegen LGBTI+ Personen. Die patriarchalen Rollenbilder der bürgerlichen Kleinfamilie aus Vater, Mutter und Kind(ern), zusammen mit der klassischen Arbeitsteilung, befinden sich daher im Aufschwung. Damit einher geht auch die immer weiter steigende Gewalt gegen Frauen, aber auch LGBTI+ Menschen, die nicht diesen Rollenbildern entsprechen, sondern sie durch ihre bloße Existenz infrage Stellen.

Die AfD und ihr Frauenbild: deutsch und gebärend

Hier reiht sich auch der Austritt Lettlands aus der Istanbul-Konvention ein. Hier waren vor allem transfeindliche Gründe ausschlaggebend. In der Konvention wird Geschlecht als Produkt der Gesellschaft definiert und eine Unterscheidung zum biologischen Geschlecht gemacht. Das widerspreche der traditionellen Familienwerten in Lettland, heißt es von Gegnern der Konvention. So spielen sie Frauenschutz und die Selbstbestimmung von trans Personen gegeneinander aus und stellen diese Fragen als Widerspruch dar.

Unter der selben Begründung weigert sich auch eine ganze Reihe Osteuropäischer Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, diese auch zu ratifizieren. Die faschistische Türkei, der die Konvention ihren Namen verdankt, trat sogar vollständig aus.

Die transfeindliche Begründung für den Austritt stellt also nicht nur einen Rückschritt in der Frage der patriarchalen Gewalt dar, sondern auch einen weiteren Angriff auf trans Menschen. Damit steht er in einer ganzen Reihe an transfeindlichen Maßnahmen:

In ganz Europa jagt eine patriarchale Gesetzgebung die nächste und trans Personen landen besonders häufig im Fadenkreuz der rechten Hetze. Erst kürzlich wollte das Bundesinnenministerium mit einem „Sonderregister“ für trans Personen, den geänderten Geschlechtseintrag und Namen allen Behörden zugänglich machen und in Großbritannien entschied das oberste Gericht, dass trans Frauen keine Frauen wären und somit keinen Anspruch auf Schutz- und Antidiskriminierungsmaßnahmen für Frauen hätten.

Abstimmung zu „Sonderregistern“ für trans Personen vorerst verschoben

Gesetz noch nicht in Kraft

Das kleine Land im Baltikum hatte die Istanbul-Konvention erst letztes Jahr nach mühseligen Diskussionen ratifiziert, was für die neue Regierung ein wichtiges Anliegen nach dem Amtsantritt war. Jedoch zeigt sich ebendiese Regierung gespalten: Das von der Opposition eingebrachte Gesetz zum Austritt konnte nur mit den Stimmen des „Bündnis der Bauern und Grünen“ (ZZS) – einer der drei Koalitionsparteien – eine Mehrheit bekommen. Inwiefern sich das auf das weitere Regierungsarbeit auswirkt ist noch unklar.

Noch ist das neue Gesetz aber nicht in Kraft, gestern schickte der Präsidenten Edgars Rinkēvičs den Entwurf zurück ins Parlament. Er begründete das damit, dass das Gesetz im gleichen Parlament und unter der gleichen Regierung verabschiedet und nun wieder zurück genommen wurde. Ein solch unberechenbares staatliches Handeln sende „ein sehr widersprüchliches Signal – sowohl an die lettische Gesellschaft als auch an unsere internationalen Verbündeten“.

Widerstand gegen den Austritt kam dabei nicht nur vom Präsidenten, sondern auch von Frauen- und LGBTI+ Organisationen, sowie aus der Bevölkerung. So versammelten sich am Mittwoch rund 5.000 Demonstrierende in Riga – eine der größten Kundgebungen der letzten Jahre in der lettischen Hauptstadt. Zuletzt hagelte es auch international Kritik am möglichen Austritt. Nun wird das Gesetz zum Austritt erneut diskutiert werden, bevor es final zur Abstimmung kommt.

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