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Völkermord-Beschluss der Linksjugend führt zu Empörung – nach zwei Jahren Genozid

Ein Beschluss zur Palästinaposition der Linksjugend sorgt für Aufruhr. Während sich die Mutterpartei distanziert, hetzen Medien entlang der altbekannten deutschen Staatsräson. Doch egal wie man sich positioniert: Solange man sich nicht von den Ketten der Sozialdemokratie und des Parlamentarismus befreit, wird man keinen erfolgreichen Klassenkampf führen können. – Ein Kommentar von Luis Tetteritzsch.

Dutzende Resolutionen von internationalen Gerichtshöfen, Institutionen und Expert:innen und selbst die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch mehrere europäische Länder: Doch weiterhin herrscht keine Einheit in der „linken“ Sozialdemokratie Deutschlands, was den wohl am besten dokumentierten Genozid in der Menschheitsgeschichte angeht.

Linksjugend: „Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“

Ende Oktober fand der Bundeskongress der Linkspartei-nahen Linksjugend [‘solid] statt. Auf diesem wurde ein aufsehenerregender Beschluss mit dem Namen „Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“ abgenickt. Auf dem Kongress wurde der vom Berliner Landesverband eingereichte Beschluss mit einer Mehrheit von fast 70 Prozent angenommen.

In diesem wird das „historische Versagen“ eingestanden, zu lange mit zu schwammigen Positionen zum Genozid in Palästina geschwiegen zu haben. Der Bundesverband habe versagt den rassistischen Charakter des israelischen Staatsprojekts anzuerkennen, die Verbrechen des israelischen Staates zu verurteilen und Forderungen nach nationaler Gleichberechtigung und dem Recht auf Rückkehr in der eigenen Politik nachzukommen.

Dabei wird die Befreiung Palästinas als ein „Teil einer breiteren demokratischen und sozialistischen Revolution“ gegen Imperialismus und Kapitalismus gesehen. Auch die Mittäterschaft Deutschlands in der Unterstützung Israels wird hervorgehoben, die im Gegensatz zur gepredigten deutschen Staatsräson nichts mit einer vermeintlich historischen Schuld oder der Verteidigung von Menschenrechten und Demokratie zu tun haben. Stattdessen sei sie von imperialistischen Machtinteressen getrieben.

Während der Antrag den Bundesverband dazu verpflichten soll, nie wieder zu einem Völkermord zu schweigen, fordert die Parteijugend der Linken auch ihre Mutterpartei dazu auf, ebenfalls Selbstkritik an ihrer bisherigen Haltung zu dem Völkermord zu leisten.

Politische Zerrissenheit zu Palästina

„Bare minimum“, könnte man nach zwei Jahren Genozid meinen. Und das ist es auch. Dennoch stellt die neue Haltung tatsächlich erst mal einen Fortschritt im Vergleich zu ihrem vorherigen Beschluss aus letztem Jahr dar und findet klarere Worte. Der alte Beschluss war nämlich geprägt von einem Spagat zwischen der Befriedigung palästinasolidarischer Stimmen innerhalb der eigenen Reihen einerseits und solchen, die sich weiter an die deutsche Staatsräson anbiederten andererseits. Doch dieser Widerspruch besteht fort – innerhalb der Linksjugend sowie ihrer Mutterpartei. Dieser Widerspruch äußert sich letztendlich auch in den Reaktionen der eigenen Mutterpartei.

So kritisiert die stellvertretende Parteivorsitzende der Linken Sabine Ritter die neue Haltung der Linksjugend: „Die Position der Linke ist eine andere, und wir halten die der Linksjugend auch für falsch.“ Ein Sprecher der Thüringer Linken spricht sich sogar offen dafür aus, empörte Mitglieder der Linksjugend „in der Linken eine politische Heimat finden“ zu lassen. Gleichzeitig bezeichnet die neue Linksjugend-Bundessprecherin Martha Chiara Wüthrich, die auch Mitglied des Stadtvorstands der Erfurter Linkspartei ist, den Krieg in Gaza als Völkermord und als ein „fucking Holocaust“. Wer ist hier jetzt also für was?

Die Linke und der Genozid in Gaza: Warum sich die Partei weiterhin nicht positioniert

Mit dem Parlamentarismus bis zur Befreiung?

Der Krieg in Gaza hat dabei innerhalb der Linken und der ihr nahestehenden Jugendorganisation einen unlösbaren Widerspruch verschärft. Und zwar auf der einen Seite ihren Schein als fortschrittliche, linke Kraft in Deutschland zu wahren, der sie dazu zwingt, sich links von den restlichen politischen Parteien zu positionieren, die sich wiederum einstimmig auf die einseitige Solidarität mit Israel geeinigt haben. Und auf der anderen Seite ist ihr politisches Profil nur so flexibel, wie es das System und der deutsche Staat eben erlaubt.

Denn in letzter Instanz sind sowohl die Linkspartei als auch die Linksjugend ihrem Wesen nach sozialdemokratische Kräfte, deren Existenz an den bürgerlichen Parlamentarismus geknüpft ist – was nicht heißt, dass es nicht trotzdem Mitglieder geben kann, die ehrlich gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpfen wollen. Doch eine Politik, die sich nicht die Wahrheit als Maßstab setzt und parteiisch für alle Unterdrückten Stellung bezieht, sondern stattdessen das eigene Handeln durch heiliggesprochene Gesetze und den deutschen Staat diktieren lässt, wird niemals eine konsequente Haltung zu den Krisen des kapitalistischen Systems einnehmen können.

So ist es zwar gut, dass bestimmte Teile der Sozialdemokratie nach zwei Jahren Genozid, kontinuierlichem Druck durch die palästinasolidarische Bewegung und die steigende Skepsis innerhalb der Bevölkerung zu konsequenteren Positionierungen gezwungen wurden. Und vor allem auch viele Landesverbände der Linksjugend fortschrittlichere Postitionen vertreten als ihre Mutterpartei. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass der „Marsch durch die Institutionen“ – ialso der Versuch, bürgerliche Institutionen von innen heraus zu „revolutionieren“ – in einer Sackgasse enden muss. Besonders engagierte Aktivist:innen werden entweder durch den Bürokratismus des deutschen Parlamentarismus geschluckt, zu Parteikarrierist:innen gemacht oder wenn sie ihren Werten treu bleiben, systematisch ausgeschlossen.

Klassenkampf statt Wahlzirkus

Für das richtige Kämpfen heißt Klassenkampf organisieren

Wenn wir also – wie die Linke in ihrem Programm richtig analysiert – die Ungerechtigkeiten in unser aller Leben, von steigenden Mieten, über größere Wirtschaftskrisen bis hin zu ungerechten Kriegen und der Auslöschung ganzer Bevölkerungsgruppen, auf das kapitalistische System zurückführen, dann dürfen wir den zweiten Schritt nicht vergessen.

Denn Systemfragen müssen auch als solche gestellt werden. Der Völkermord an den Palästinenser:innen, die Entstehung und das aktuelle Vorgehen des israelischen Staates, die deutsche Mittäterschaft und die Kriminalisierung palästinasolidarischer Stimmen, passieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind Ausdruck eines Systems, dass regelmäßig einen Großteil der Weltbevölkerung in unermessliches Leid stürzt, damit sich einige wenige daran bereichern können.

Unsere Kräfte dürfen wir also nicht auf den kläglichen Versuch verschwenden, ein verfaultes System gesund zu machen. Stattdessen müssen wir unsere Mitmenschen davon überzeugen, dieses hinter uns zu lassen und eine Bewegung aufzubauen, die konsequent und ohne sich von den Herrschenden Regeln diktieren zu lassen, für die eigenen Interessen kämpft. Mit einer Bewegung, wo man sich auch zwischen den Generationen, zwischen jung und alt, zwischen Jugendverband und Mutterorganisation, einig ist.

Luis Tetteritzsch
Luis Tetteritzsch
Seit 2023 Autor für Perspektive Online. Schreibt gerne über die Militarisierung des deutschen Imperialismus und den Widerstand dagegen.Denn: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“

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