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Samstag, April 20, 2024
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    Wachleute in Halberstadt misshandeln Geflüchtete

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    In der Zentralen Aufnahmestelle (ZASt) für Geflüchtete in Halberstadt ist es im April 2019 offenbar zu gewalttätigen Übergriffen seitens der Wachleute gekommen. In zwei Videos wird der Vorfall dokumentiert. Schockierender als der Vorfall selbst ist die Präsenz der faschistischen Bewegung in Halberstadt und in den Medien. Ein Kommentar von Pa Shan

    Halberstadt, „das Tor zum Harz“, wie sich die Kleinstadt in Sachsen-Anhalt selbst bewirbt, war in den deutschen Medien lange nicht mehr so präsent wie in diesen Tagen. Wenn der Ort ausnahmsweise Aufmerksamkeit erhielt, dann waren es negative Schlagzeilen oder deprimierende Berichte. Es wurde über die Neonazigewalt oder über die Langeweile im öffentlichen Leben berichtet.

    Die ostdeutsche Siedlung ist mit nur 40.000 EinwohnerInnen recht überschaubar. Die Straßenbahnen und Busse fahren abends auch bei Sonnenschein nicht mehr. Es gibt nach Feierabend kaum Menschen auf den Straßen. Jeden Abend herrscht eine beklemmende Totenruhe. Verblüffend viele Häuser sind verlassene Ruinen mit eingeschlagenen Fenstern, die auch in DDR-Zeiten nie restauriert wurden. Clubs gibt es praktisch nicht, die Kneipen sind eher trostlos. Ab und zu sieht man den ein oder anderen Nazi auf der Straße. Rechte Parolen oder Sticker sind keine Seltenheit. Eigentlich ist die Stadt sonst aber ganz ruhig und nett, wenn man eine Stammkneipe und das Schwimmbad für sich entdeckt hat.

    Gewalt durch Wachleute

    Doch nun ist die Stadt wieder in ganz Deutschland präsent. Zwei Videos vom April 2019 sind irgendwie ins mediale Bewusstsein gekommen. In einem der Videos ist zu sehen, wie Sicherheitsmitarbeiter auf dem Areal der ZASt zwei Männer – vermutlich Geflüchtete – gewaltsam trennen. An Notwehr erinnert die Szene nicht, zumal die beiden Männer zu Boden geworfen werden und einer von beiden mit Tritten malträtiert und lautstark bedroht wird. Ein Großteil der anwesenden Wachmänner sieht dabei tatenlos zu.

    Solch ein Verhalten ist auch im Streitfall zwischen zwei Männern nicht gerechtfertigt und ist mindestens Notwehrüberschreitung, vielleicht sogar gezielte Körperverletzung. In jedem Fall ist es nicht zu tolerieren, wenn Wachleute wie selbstherrliche Straßenschläger agieren. Vor allem muss es Konsequenzen für den verantwortlichen Sicherheitsdienst geben, der unfähiges Personal eingestellt hat. Womöglich sind die Täter Laien. Dies ist im Wachgewerbe häufig der Fall, vor allem, wenn die Firma Subunternehmen nutzt, die wiederum unausgebildete ArbeiterInnen „schwarz“ ausbeuten, um den Mindestlohn zu drücken.

    Wer die Sicherheitsbranche kennt, weiß zudem, dass rechte, rassistische und sogar faschistische Einstellungen hier keine Seltenheit sind. Viele Securities sind in der rechten Szene organisiert. Bundesweit sind etliche Fälle bekannt geworden. Auch gibt es regelmäßig sexuelle Übergriffe in Unterkünften für Geflüchtete, was bereits größere Skandale hervorgerufen hat.

    Die rassistische Deutung des Vorfalls

    In der Öffentlichkeit hat sich innerhalb von einem Tag eine fatale Diskussion entwickelt. Rassisten und Faschisten versuchen gezielt, eine Deutungshoheit zu entwickeln. In privaten Diskussionen und auf Social-Media-Plattformen wird gehetzt, was das Zeug hält.
    Die Gewalteskalation durch die Wachleute wird gerechtfertigt, die beiden Opfer als Täter dargestellt. Häufig wird ein Zusammenhang zum Vorfall am 29. Juli hergestellt, als in Frankfurt ein Mann einen 8-jährigen Jungen vor einen Zug stieß und ihn damit tötete. Der angebliche Zusammenhang ist ein rassistisches Gedankenkonstrukt. Der Täter in Frankfurt und die beiden Opfer in Halberstadt werden als feindliche Eindringlinge dargestellt. Außerdem behaupten die Faschisten, dass immer nur Deutsche verfolgt und bestraft werden, Täter ohne deutsche Herkunft hingegen frei agieren dürften. In dieser Erzählung gelten Wachleute, die auf Menschen am Boden eintreten, als Helden.

    So schreibt die Nutzerin in einer facebook Gruppe für Halberstadt: „Vor allem die stoßen unschuldige Menschen von Bahnsteige die letztendlich sterben und wehe man tut ihnen weh dann ist hier die Hölle los feiner Rechtsstaat“. Andere kommentieren „Verdient ist Verdient!!“, „Endlich wehren sich die Leute mal !“ oder „Alles was jetzt kommt, sind gewaltbereite Kasper. Und nun wird endlich gleiches mit gleichen angegangen!“.

    Faschisten in Halberstadt

    Seit 1990 gab es in Sachsen-Anhalt mindestens 13 Todesopfer faschistischer Gewalt, einige davon in Halberstadt und Umgebung.  „In dieser Stadt habe ich Angst“, erklärten EinwohnerInnen bereits vor zehn Jahren. Seit den 90ern dominierten Berichte über die wild gewordenen Neonazis der Stadt, die weitgehend ungestraft hetzen, prügeln und töten konnten. So wurde der damals 60-jährige Sozialdemokrat Helmut Sackers am 29. April 2000 vom stadtbekannten Neonazi Andreas S. erstochen. Polizei und Justiz werteten den Mord absurderweise als Notwehr und ignorierten die rechte Ideologie des Täters. Damals gab es viele solcher Attacken durch rechte Zellen, die vom Staat gedeckt wurden, sodass die faschistische Bewegung dort florieren konnte.

    Mittlerweile sind die damaligen Schläger „erwachsen“ geworden und haben oft Familien gegründet. Aber die Spätfolgen der damaligen Attacken sind immer noch präsent. In Halberstadt muss es niemanden wundern, wenn Hakenkreuze und andere rechte Symbole an Spielplätzen, in den Wohnungen oder im berüchtigten „Café 88“ des lokalen Nazi-Kaders für alle offen zu sehen sind. Es muss auch nicht wundern, wenn man als MigrantIn keinen Kaffee oder Kuchen bekommt, wenn man an der falschen Theke bestellt. In Schwimmbädern können Menschen mit nationalsozialistischen Tattoos (z.B. „18“ für Adolf Hitler oder die Naziband „Rahowa“ auf dem Nacken) ungestört flanieren. Deutsche Männer können migrantische Frauen bespucken und bedrohen. Außerdem können die Neonazis von heute im Sicherheitsbereich arbeiten, womöglich auch in der ZASt. Rassismus und Faschismus sind auch heute noch Alltag in Halberstadt.

    Die Faschisten und unsere Antwort

    Seit 1990 wurden in Deutschland über 200 Menschen von Rechten getötet. Die Faschisten versuchen aber nicht nur mit roher Gewalt, ihre Dominanz zu erreichen. Nicht nur bedrohen, attackieren und ermorden sie immer wieder Menschen. Sie marschieren auch in Massen auf, organisieren Pogrome und tragen Hassreden vor. Auch im Internet sind sie aktiv, wo sie vor allem den Eindruck erzeugen wollen, dass sich ein Teil der Bevölkerung spontan den Ideen der Faschisten anschließt.

    Den Angriffen der Faschisten müssen wir uns entgegenstellen. Wir können dabei nicht auf die Medien oder auf den Staat vertrauen. Sie werden der faschistischen Bewegung nicht viel entgegensetzen. Umgekehrt fördern sie diese sogar, wenn sie rechte Täter verharmlosen oder den Hetzern eine Plattform bieten.

    Unsere Antwort auf die rechte Hetze und Gewalt muss in Aufklärung und politischem Widerstand bestehen. Ihrem Hass können wir unsere Solidarität entgegensetzen. Ihrer Gewalt können wir unsere Selbstverteidigung entgegensetzen. Letztlich müssen alle faschistischen Organisationen zerschlagen werden und alle Faschisten aus der Öffentlichkeit vertrieben werden. Wenn wir so weit sind, wird auch eine Szene wie die rassistische Gewalt der ZASt-Wachleute nicht mehr möglich sein.

    • Perspektive-Korrespondent, Chinaforscher, Filmliebhaber, Kampfsportler

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