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    17 Femizide – Man(n) tötet nicht aus Liebe

    In Deutschland kommt es offiziell an jedem dritten Tag zu einem Mord an einer Frau, durch einen (Ehe-)Partner, Ex-Partner oder nahen Familienangehörigen. Die Dunkelziffern liegen wahrscheinlich höher, Politiker:innen haben nur halbgare Lösungen. Was tun? – Ein Kommentar von Tabea Karlo

    In Deutschland ist das Sprechen über Frauenmorde, sogenannte “Femizide”, ein Tabuthema. Dabei kommt es in Deutschland an mindestens jedem dritten Tag zur Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. In der Regel sind die Täter keine Unbekannten, sondern Partner, Ex-Partner oder nahe Familienangehörige.

    Femizide werden im deutschen Recht in der Regel nicht einmal als Morde gehandhabt, sondern als Totschlag. Rechtlich macht das einen nicht zu verachtenden Unterschied, denn beides basiert auf der vorsätzlichen Tötung, jedoch wird bei Totschlag argumentiert, dass dieser aufgrund einer seelischen Belastung oder einer heftigen Gemütsbewegung ausgelöst wurde. Mord wiederum zeige sich durch eine besondere Skrupellosigkeit bei der Ausführung, den Beweggründen oder dem Zweck.

    Das Ganze führt dazu, dass Totschläge milder bestraft werden. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Täter bei einem Femizid meist deshalb leichter davon kommen, weil sie das Thema emotional belastet. Es wird also der emotionalen Belastung eines Mörders mehr Wert bei gemessen als dem Leben einer Frau.

    In Deutschland hat es 2022 offiziell 113 Femizide alleine in Partnerschaften gegeben. Bis zum Jahresende zählte die Initiative „Femizide stoppen“ 117 Femizide. Die Initiative betont dabei, dass die Dunkelziffer vermutlich weit höher liege, denn es gebe keine Statistiken über Femizide, die außerhalb von Partnerschaften stattfinden.

    Zu partnerschaftlicher Gewalt gibt es momentan leider nur offizielle Statistiken aus dem Jahr 2021, da das letzte Jahr noch zu Ende ausgewertet werden muss. Doch schon hier sieht es düster aus: 2021 gab es 143.604 registrierte Opfer von partnerschaftlicher Gewalt, das sind 393 Opfer pro Tag, allein in Deutschland

    Unter partnerschaftliche Gewalt fallen auch Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe, die während einer Partner- oder Ex-Partnerschaft verübt werden. Laut Statistik machen sie 2,5% der Fälle von partnerschaftlicher Gewalt aus. In Deutschland werden aber verschiedenen Studien zufolge nur etwa 10-15% der Vergewaltigungen überhaupt angezeigt, bei sexuellen Nötigungen und Übergriffen könnten die Zahlen noch niedriger sein. Daraus kann man schließen, dass es weit mehr als diese 143.604 Fälle gibt.

    Über 80% der Opfer von partnerschaftlicher Gewalt waren Frauen. Wenn man sich die Täter ansieht, dann sind 78.8% davon männlich. Partnerschaftliche Gewalt ist also ein Problem, bei dem wir ganz eindeutig die Auswirkungen und Machtverhältnisse des Patriarchats sehen können.

    Erst vor wenigen Tagen wurde durch die Initiative „Femizide stoppen“ der 17. Femizid diesen Jahres gezählt. Auch hier müssen wir wieder davon ausgehen, dass es eigentlich schon mehr gegeben hat, denn die Initiative kann nur über Fälle berichten, die es überhaupt ans Licht der Öffentlichkeit schaffen.

    Femizide sind keine Beziehungsdramen – Frauenmorde beim Namen nennen!

    In vielen Fällen berichtet die Presse erst gar nicht über Morde an Frauen. Wenn sie es doch tut, dann um sie als Skandal auszuschlachten. In den letzten Jahren haben sich dabei vor allem drei Bezeichnungen durchgesetzt: das Beziehungsdrama, die Familientragödie oder der Ehrenmord. Welche der Begrifflichkeiten Anwendung findet, hängt damit zusammen, welche Politik das Schmierblatt, das man grade liest, verfolgt, und vor allem auch damit, wie sich der Fall abgespielt hat.

    Alle diese Bezeichnungen haben eines gemeinsam: sie spielen die Vorfälle extrem herunter. Doch es handelt sich hier nicht um eine “traurige Trennung”, einen “tragischen Unfall in einer Familie” oder um einen “Einzelfall”, bei denen es meist migrantische Täter gibt. Nein, es handelt sich um den Mord an einer Frau aufgrund ihres Frau-Seins.

    In dem Moment, in dem man einen Mord einfach als „Tragödie“ bezeichnet, spiegelt sich wider, wie wenig Wert einem Frauenleben in dieser Gesellschaft beigemessen wird. Wenn behauptet wird, Frauenmorde seien nur Einzelfälle und gar versucht wird, einzelnen Migrantengruppen die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, ist das nur ein billiger Versuch, den Tod einer Frau für die Propagierung des eigenen rassistischen Weltbilds zu missbrauchen. Oder die Tat wird bei der Einzeltäter-These abgewertet, in dem sie isoliert wird von der Gesellschaft, in der sie ausgeübt wurde. Man lässt nicht zu, dass sie in den Kontext eines patriarchalen Systems gestellt wird, das jeden dritten Tag eine Frau in Deutschland das Leben kostet.

    Neues SPD-Papier zu Femiziden – Veränderung oder bloß Publicity?

    Kurz vor dem internationalen Frauenkampftag brachten die SPD-Rechtspolitiker:innen ein Papier raus, in dem sie die härtere Bestrafung von tödlicher Gewalt gegen Frauen aufgrund ihres Geschlechts fordern. Werde eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, müsse dies künftig als “Femizid” anerkannt und regelmäßig als Mord aus niedrigen Beweggründen bestraft werden, heißt es in der Veröffentlichung, die bei einem Treffen in Stuttgart verabschiedet wurde und die der dpa vorliegt. Genau heißt es in dem Papier: „Geschlechtsspezifische Motive müssen klar benannt werden und bei der Strafzumessung von Gesetzes wegen strafschärfend berücksichtigt werden.“

    Trotzdem bleiben die Forderungen der Politiker:innen zunächst leere Worte. Im neuen Gesetzesentwurf der Ampelregierung heißt es zwar, dass “geschlechtsspezifische” Tatmotive als weitere Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele in die Liste der bei der Strafzumessung besonders zu berücksichtigenden Umstände aufgenommen werden sollen – vom Femizid als Mord wird allerdings nicht gesprochen. Der SPD-Politiker Boris Weirauch verteidigte das Ganze mit den Worten, es handle sich um eine politische Forderung.

    Doch was ist eine politische Forderung wert, der keine Taten folgen?

    Im Zuge des Papiers werden in ähnlich unverbindlicher Manier noch andere Phrasen gedroschen, man wolle z.B. in Zukunft die sogenannte „Gehsteigbelästigung“ verbieten. Gemeint sind damit die Aktionen von Abtreibungsgegner:innen vor Beratungsstellen, aber auch vor Krankenhäusern oder ärztlichen Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Wie genau man das ahnden will: auch unklar.

    Hellhörig sollte man allerdings werden bei dem Absatz, in dem über Soziale Medien gesprochen wird. So fordert die SPD-Rechtspolitiker in der Erklärung ein gerichtliches Verfahren, um anonyme Social-Media-Accounts zügig sperren zu können. Angeblich sollen damit Frauen vor „digitaler Gewalt“ geschützt werden. In Wahrheit öffnet man damit Tür und Tor für Zensur und missbraucht Frauen, um andere politische Interessen durchzusetzen. Denn klar ist: ist das Gesetz zur erleichterten Sperrung von Accounts erst mal durch, dann kann es viel einfacher erweitert werden. Und wenn wir uns die Geschichte deutscher Gesetze wie des Paragraphen 129a, aber auch die neuen Polizei- und Versammlungsgesetze ansehen, dann registrieren wir, dass sie vor allem gegen fortschrittliche politische Kräfte und weniger gegen die Rechten eingesetzt werden, die sie vorgeblich auch oder vor allem ins Visier nehmen wollten.

    Femizide: Warum Frauen sterben müssen

    Wenn wir im Gegensatz zu den deutschen Politiker:innen nicht bloß leere Phrasen dreschen, sondern Femizide tatsächlich verhindern wollen, dann können wir nicht einfach Symptom-Behandlung betreiben, sondern müssen uns statt dessen mit den Ursachen auseinandersetzen.
    Wir leben in einer Gesellschaft, in der Frauen immer noch nicht als gleichwertig angesehen werden, in einer Gesellschaft, in der wir im Privaten sowohl Haushalt als auch Familie schmeißen und, wenn wir aus der Arbeiter:innenklasse kommen, gleich mehrfach ausgebeutet werden: als Frau und als Arbeiterin. In einer Gesellschaft, in der wir – wenn wir arbeiten – häufig zu den Beschäftigten im Niedriglohnsektor gehören, wir einfacher kündbar sind, wir weniger verdienen und uns oft die Aufstiegschancen fehlen. In einer Gesellschaft, in der wir damit immer mehr in die ökonomische Abhängigkeit von Männern gedrängt werden und im Alter am häufigsten von Armut betroffen sind.

    Und diese Unterdrückung zeigt sich nicht nur ökonomisch, sondern eben auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen: unsere Väter, Partner, Freunde werden zu unseren Unterdrückern und im Extremfall zu unseren Mördern. Denn wo soll es enden, wenn uns schon von Kind an beigebracht wird, dass Frauen weniger wert sind? Und wir das unser Leben lang bestätigt bekommen, ob zu Hause oder auf der Arbeit?

    Wer Femizide konsequent bekämpfen will, der muss der Tatsache ins Auge blicken, dass es sie in einem System, das auf der Unterdrückung anderer Menschen und besonders von Frauen fußt, immer weiter geben wird. Denn der Kapitalismus braucht das Patriarchat. Er braucht es, denn nichts drückt die Löhne so sehr wie die Tatsache, dass reproduktive Arbeit (Haushalt, Kindererziehung etc.) in großen Teilen unbezahlt und privat erledigt wird. In diesem Sinne kann es niemals eine Lösung des Patriarchats vom Kapitalismus geben, denn eine Gleichstellung wäre buchstäblich unbezahlbar.

    In Fällen, in denen ein Gesellschaftssystem Unterdrückung benötigt, um zu funktionieren, erfüllt Gewalt immer auch eine Funktion, und zwar diejenige, Unterdrückte unterdrückt zu halten. Gäbe es keine Gewalt, dann wäre das Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnis schlichtweg unhaltbar. Somit wird Gewalt gegen Frauen im Kapitalismus unabdingbar.

    Diese Tatsache sorgt dafür, dass für uns als Frauen der Arbeiter:innenklasse der Kapitalismus ganz objektiv untragbar wird. Denn wir sind es, die ausgebeutet werden, wir sind es, die leiden und die sterben.

    Patriarchat bekämpfen – wo führt uns das hin?

    Einen Kampf gegen Morde an Frauen zu führen bedeutet also, Tag für Tag gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen, nicht erst dann, wenn sie in einen Mord gegipfelt ist. Wenn das System, in dem wir gerade leben, Morde an unserem Geschlecht quasi einfordert, zumindest bedingt, und auf makabre Weise sogar von ihnen und unserer Ausbeutung profitiert, dann kann es nicht unser System sein.

    Im Kapitalismus bedeutet das für uns, dass wir eine proletarische Frauenbewegung brauchen! Denn für uns ist die Lösung nicht, dass wir in irgendwelche Managerinnen-Positionen aufrücken und selbst zu Unterdrückerinnen werden. Sondern für uns kann es nur eine solidarische, eine gemeinsame Lösung mit unseren Klassenschwestern geben.

    Und diese Lösung liegt im Kampf für eine Gesellschaftsform, in der unserer Unterdrückung die ökonomische Grundlage entzogen wird. In der die reproduktive Arbeit vergesellschaftet und somit aus dem Privaten herausgelöst wird. In der wir z.B. nicht mehr neben unserer Lohnarbeit noch mehrere Stunden am Tag unbezahlt Haus- oder Care-Arbeit erledigen müssen. Und wir zu gleichberechtigten Mitgliedern der Gesellschaft werden, einer Gesellschaft, in der wir in Form von Räten wirklich mitbestimmen können und uns selbst organisieren. Ein konsequenter Kampf gegen Femizide kann nur ein antikapitalistischer, ein sozialistischer Kampf sein.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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