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    „Wir brauchen eine klassenkämpferische Organisierung in den Betrieben!“

    In den letzten Monaten fanden im öffentlichen Dienst, im Nahverkehr und bei der Deutschen Bahn große Arbeitskämpfe statt, auch die Bäuer:innen protestierten. Wir haben mit Eric Hausmann vom Netzwerk „Betriebskampf“, einem Zusammenschluss von klassenkämpferischen Arbeiter:innen, über das „Super-Streikjahr 2024“, über eine Einschätzung der aktuellen Auseinandersetzungen, die mediale Hetze gegen Streikende und die drohende Einschränkung des Streikrechts gesprochen.

    Es wird immer wieder von einem Super-Streikjahr gesprochen. Wie schätzt ihr die Streikverläufe 2024 bisher ein?

    Grundsätzlich positiv ist, dass über das Thema Streik durch die aktuellsten Arbeitskämpfe wieder mehr gesprochen wird. Wir merken auch anhand der heftigen Reaktionen im Lager des Kapitals, den pro-kapitalistischen Medien und der Politik, dass bereits jetzt ein wunder Punkt getroffen wurde und die Maßnahmen ihre Wirkung zeigen.

    Allerdings müssen wir auch sehen, dass viele Tarifabschlüsse am Ende hinter dem zurückgeblieben sind, was möglich, und vor allem was notwendig gewesen wäre. Zwar scheinen Abschlüsse um die 10% oder mehr auf den ersten Blick tolle Erfolge zu sein, doch sie müssen im Kontext der weiterhin andauernden Inflation der letzten zwei Jahre betrachtet werden. Lange Laufzeiten schmälern die Ergebnisse noch weiter, sodass in den allermeisten Fällen Reallohnverluste erzielt wurden. Nichtsdestotrotz haben vor allem die Kolleg:innen der Deutschen Bahn gezeigt: Wenn wir kämpfen, können wir gewinnen!

    Wie hat sich Betriebskampf in die verschiedenen Streiks und Proteste eingebracht? Und wie habt ihr die Stimmung wahrgenommen?

    Wir waren gegen Ende letzten Jahres bei den Streiks im Rahmen der Tarifrunde der Länder (TdL) und haben auch in einigen Städten eigene Aktivitäten dazu entfaltet, in Form von regelmäßigen Stammtischen oder kämpferischen Streikbeteiligungen. Andere Aktionen, wie die Proteste der Bäuer:innen, die Streiks bei der DB und im ÖPNV haben wir von außen unterstützt, waren vor Ort bei den Streikposten und haben den Kolleg:innen unsere Solidarität ausgesprochen und sie in ihrem Kampfgeist bestärkt.

    Zusätzlich verteilten wir zum Beispiel Flugblätter an Zugreisende, um darauf hinzuweisen, dass die Streiks der Lokführer:innen gerechtfertigt sind und wir letztendlich als gesamte Klasse davon profitieren. Die Stimmung war vielerorts positiv und durchaus kämpferisch. Die Kolleg:innen ließen sich keineswegs von den medialen Hetzkampagnen gegen sie einschüchtern. Auch bei den Bauernprotesten wurden unsere Unterstützung und unsere klassenkämpferischen Standpunkte häufig positiv aufgenommen.

    Bahn, ÖPNV, Lufthansa: Die Streiks gehen weiter

    Gibt es tatsächlich mehr Streiks als in den letzten Jahren? Woran liegt das?

    Dazu muss man zuerst einen Blick auf die rechtliche Situation in Deutschland werfen: Gestreikt werden darf hier nur während einer Tarifauseinandersetzung. Diese beginnen mit dem Auslaufen eines Tarifvertrags und dem Ende der sogenannten „Friedenspflicht“.

    Ob und wann wir Arbeiter:innen besonders viel streiken wollen, können wir uns also zunächst gar nicht aussuchen, sondern wir sind dabei jeweils auf die Rahmenbedingungen der Tarifrunden angewiesen. Ein Vergleich mit Ländern wie z.B. Frankreich hinkt unter anderem, weil es dort auch ein politisches Streikrecht gibt, etwa für ein niedrigeres Renteneintrittsalter.

    Verglichen mit den letzten Jahren in Deutschland können wir jedoch einerseits einen deutlichen Anstieg der Konfliktintensitätsehen. Dabei geht es um die Summe aller genutzten Konflikthandlungen in einer Tarifrunde. Sie zeigte 2023 den höchsten Wert seit dem Jahr 2000.

    Auf der anderen Seite können wir auch in den ersten Monaten diesen Jahres eines der höchsten Eskalationsniveaus der letzten Jahre sehen. Das heißt wenn es zu Tarifrunden kam, dann wurde auch oft und intensiv gestreikt. Die breite Resonanz in der Öffentlichkeit liegt natürlich auch unter anderem daran, dass ein Streik von einigen wenigen Lokführer:innen, Straßenbahnfahrer:innen und Flughafenpersonal eine viel wahrnehmbarere Auswirkung hat als im Einzelhandel, wo seit über einem Jahr ein bundesweiter Flickenteppich an Tarifverträgen verhandelt wird und es immer wieder zu kaum wahrnehmbaren Streiks kommt.

    Insgesamt muss diese Entwicklung natürlich im Rahmen der seit 2019 anhaltenden Wirtschaftskrise gesehen werden. Wir als Arbeiter:innen sehen immer noch, wie im Supermarkt die Preise steigen, die Unternehmen Rekordgewinne einfahren und die Politiker:innen ihre Diäten jedes Jahr aufs Neue erhöhen. Nur unsere Löhne bleiben niedrig und das motiviert die Leute auch für vergleichsweise hohe Forderungen in den Streik zu treten.

    Deutschland streikt sich warm – und das ist gut so!

    Die meisten Streiks werden durch die DGB-Führungen initiiert. Kannst du ausführen, wie ihr die Rolle der DGB-Gewerkschaften seht?

    Es wäre an dieser Stelle zu einfach, den DGB-Gewerkschaften ausschließlich oder einseitig eine bremsende Rolle zuzuschreiben. Vielmehr werden die Arbeiter:innen in die falsche Richtung vorangetrieben.

    Schauen wir uns das mal am Beispiel der Tarifrunden im öffentlichen Dienst an. Zu Beginn wird großflächig die Werbetrommel gerührt. Durch angeblich objektive Umfragen und eine plötzlich gesteigerte Aktivität der Gewerkschaftsfunktionär:innen in den Betrieben wird ein demokratischer und kämpferischer Wille suggeriert.

    In den ersten Verhandlungsrunden stoßen sogenannte „Maximalforderungen“ („So viel hat man ja noch nie gefordert“) auf fehlende Angebote der Gegenseite. Darauf aufbauend werden einzelne wütende Warnstreiks organisiert. Groß, bunt mit lauter Popmusik, Gratisessen und am besten einer Busfahrt zu einer zentralen Streikaktion.

    So weit, so kämpferisch geht es dann in die letzte Verhandlungsrunde, wo man ein kompliziertes Kompromissergebnis aushandelt, das in verschiedensten Rechenbeispielen als Sieg der Gewerkschaft präsentiert wird. Kleingedruckt gibt es dann noch die Laufzeit und welche anderen Ziele leider nicht erreicht werden konnten.

    Somit ist die Tarifrunde mit einem Reallohnverlust beendet, bevor es überhaupt zu einem unbefristeten Streik kommt. Die Konzerne hatten wenig Ausfälle, den Arbeiter:innen wird „das beste Ergebnis aller Zeiten“ verkauft und die Kassen der Gewerkschaft klingeln durch die vielen tausend Mitglieder, die sich die drei Warnstreiktage zahlen lassen wollten und jetzt als passive Mitglieder weiterhin ihren monatlichen Beitrag zahlen.

    Die DGB-Gewerkschaften inszenieren sich also durchaus als treibende Kraft in einer Auseinandersetzung, doch lenken sie dann die Kämpfe schnell und kontrolliert in seichte Gewässer und schaffen eine Win-Win-Situation für Kapital und ihre Funktionär:innen. Dass sie sich allerdings auch mal sehr aktiv bremsend in den Weg stellen können, haben wir zuletzt im April gesehen, als ver:di in der Tarifrunde Nahverkehr in NRW den Schlichtungsvorschlag annahm, obwohl zuvor 97% der Arbeiter:innen für einen unbefristeten Streik gestimmt hatten.

    Trotz 97% Zustimmung zu unbefristetem ÖPNV-Streik: Ver.di akzeptiert Schlichtung in NRW

    Das sind nur einige Beispiele dafür, dass der DGB für eine versöhnlerische Sozialpartnerschaft steht und daher in den letzten Jahren insbesondere den Burgfrieden der Konzertierten Aktion zwischen Regierung, DGB-Führung und Unternehmerverbänden mit getragen hat.

    Das zeigt uns: Wir dürfen uns nicht einfach auf die Funktionär:innen der DGB-Gewerkschaften verlassen. Es benötigt eine Vernetzung klassenkämpferischer Kräfte mit und ohne Gewerkschaftsbuch, die konsequent für unsere Interessen einstehen wollen und im Zweifelsfall unsere Interessen auch gegen die Gewerkschaftsfunktionär:innen verteidigen. Als Betriebskampf wollen wir dazu einen Beitrag leisten.

    Es wurde immer wieder gegen Streiks in den Medien gehetzt. Was, denkt ihr, kann dagegen gemacht werden?

    Die effektivste Antwort darauf können nur wir selbst als Klasse liefern. An unserem Arbeitsplatz, aber auch überall anders, wo wir leben, im Stadtteil, der Schule, der Uni oder im Sportverein müssen wir in Diskussionen mit unseren Klassengeschwistern treten und die Hetze der Medien entlarven.

    Wir müssen aufzeigen, dass wir als Klasse ein gemeinsames Interesse daran haben, wenn einzelne Teile erfolgreiche Arbeitskämpfe führen, indem das allgemeine Lohnniveau gehoben wird. Doch wir müssen dabei den Blick auch über den Tellerrand hinaus richten und die Frage stellen, in welchem Interesse die bürgerlichen Medien arbeiten und welches System sie verteidigen.

    Wir müssen unseren Kolleg:innen vor Augen führen, dass ihre Hetze uns genauso treffen würde, wenn wir in unserem Betrieb konsequent in den Streik treten würden und erst recht wenn wir klar machen würden, dass wir eigentlich gar kein Interesse daran haben, weiterhin im Kapitalismus als Lohnarbeiter:innen ausgebeutet zu werden.

    Es wurde und wird auch laut über eine weitere Einschränkung des Streikrechts in Deutschland nachgedacht.

    Wir sagen ganz klar: Die Arbeiter:innen können und müssen sich dagegen wehren! Das Streikrecht bewegt sich in Deutschland bereits in einem sehr engen Korsett und darf auf keinen Fall noch weiter eingeschränkt werden. Doch ohne eine ernsthafte politische Interessenvertretung sind die Möglichkeiten, die man einer solchen Einschränkung entgegen halten kann, natürlich sehr begrenzt.

    Zum Glück gibt es aber auch eine Vielzahl an kreativen Formen des Arbeitskampfs, die außerhalb des tariflichen Streikspektrums liegen und mit denen wir uns endlich ein umfassendes Streikrecht in Deutschland erkämpfen können; dazu muss natürlich auch der Kampf um den politischen Streik gehören.

    Effektive Streiks tun weh!

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