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    Repression gegen ESP kurz vor Wahlen in der Türkei

    Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen geht die türkische Staatsanwaltschaft hart gegen Oppositionelle vor. Betroffen sind pro-kurdische Politiker:innen ebenso wie Sozialist:innen. Zuletzt richtete sich eine Verhaftungswelle gegen die Partei der Unterdrückten (Ezilenlerin Sosyalist Partisi, ESP). Nach den Festnahmen wurden nun sieben Haftbefehle erlassen. Debatten um Wahlpositionierung halten an.

    In der Nacht zum Donnerstag ist in Istanbul und Eskişehir gegen sieben Sozialist:innen Haftbefehl erlassen worden. Gegen sie wird im Zusammenhang mit zwei verschiedenen Ermittlungsverfahren gegen die Sozialistische Partei der Unterdrückten (Ezilenlerin Sosyalist Partisi, ESP) ermittelt.

    Es handelt sich dabei unter anderem um den Ko-Parteivorsitzenden Şahin Tümüklü, sowie eine Person aus dem Vorstand der Istanbuler ESP, Selvinaz Göçmez. Darüber hinaus wurde noch gegen Aktivist:innen der Jugendorganisation der ESP (SGDF) , Kalender Polat, Sinem Çelebi und Adnan Özcan ermittelt, sowie gegen die Journalistin Nadiye Gürbüz (Redakteurin der Nachrichtenagentur ETHA und den Kandidaten der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP) bei der Parlamentswahl in Eskişehir, Müslüm Koyun.

    Zusätzlich wurden Maßnahmen gegen weitere Personen verhängt. Darunter fallen elektronisch überwachter Hausarrest gegen sieben Personen, sowie ein Ausreiseverbot und polizeiliche Meldeauflagen gegen sechs Personen. Drei weitere Personen wurden festgenommen, kamen jedoch ohne Auflagen wieder frei.

    Festnahmen am Sonntag

    Die Betroffenen waren am vorangegangenen Sonntag festgenommen worden. Damals war es in der Türkei zu Razzien in fast einem Dutzend Städten gegen ESP-Aktivist:innen gekommen.

    Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu gab indes bekannt, dass es sich um „Anti-Terror-Operationen“ gegen die MLKP (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) handeln soll. Die Ermittlungsakten wurden jedoch sowohl in Istanbul als auch in Eskişehir umgehend mit einer Geheimhaltungsverfügung belegt. Zudem wurde ein 24-stündiges Anwaltsverbot verhängt.

    Betroffene der Repression bezeichnen die Tatvorwürfe, die in den Haftbefehlen nun genannt werden, als „bizarr“. Im Ermittlungsverfahren in Eskişehir soll sich laut den Informationen der Anwälte einer der Betroffen auf „inkriminierte Aktivitäten der ESP-Jugendorganisation SGDF bezogen werden.

    Dabei handelt es sich unter anderem um einen Besuch des Jugendkulturhaus “Polen”, dass im Juli 2022 im Gedenken an die 33 Opfer des IS-Anschlags in Suruç eröffnet wurde. Darüber hinaus wird einigen Verhafteten vorgeworfen, sich an Pride-Paraden, Demonstrationen zum 1. Mai und im November am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen beteiligt zu haben.

    Die Tatvorwürfe gegen die Betroffenen in Istanbul decken sich zum Teil mit denen aus Eskişehir. Hinzu kommt, dass Teilen der Betroffen vorgeworfen werden soll, sich an Protesten gegen den Einsatz von geächteten Chemiewaffen durch das türkische Militär gegen die Guerilla in Südkurdistan beteiligt und eine Presseerklärung dazu veröffentlicht zu haben.

    Positionierung der ESP

    Die ESP ist ebenso wie die die Demokratische Partei der Völker (HDP) und die Grüne Linkspartei (YSP) Teil des Oppositionsbündnisses für Arbeit und Freiheit. Sie selbst wertet die Verhaftungen als gezielten Versuch, die Partei im Vorfeld der anstehenden Präsidentschaftswahlen, die am 14. Mai in der Türkei stattfinden, zu schwächen.

    In den letzten Wochen sind in der Türkei hunderte, vor allem kurdische Oppositionelle festgenommen worden. Dabei handelt es sich um ein breites Spektrum an Betroffenen: von Journalist:innen über Gewerkschafter:innen und Politiker:innen bis hin zu Aktivist:innen aus dem Umfeld der Grünen Linkspartei.

    Die ESP ist wie die Demokratische Partei der Völker (HDP) und die YSP Teil des Oppositionsbündnisses für Arbeit und Freiheit. Innerhalb des Bündnis und der linken Bewegung haben sich unterschiedliche Positionen im Umgang mit der Wahl herausgestellt. So stellt das Bündnis als Ganzes etwa keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten auf, was auf eine implizite Unterstützung des CHP-Kandidaten Kemal Kılıçdaroğlu hinaus läuft.

    Kritik an Kılıçdaroğlu-Unterstützung

    Diese Positionierung wird etwa von der MLKP kritisiert. Speziell nach dem verheerenden Erdbeben sei ein starker Widerspruch und Bruch zwischen Staat und Volk entstanden. Die türkische Bourgeoisie verbreite “Illusionen über einen Abgang Erdogans durch Wahlen, und weite Teile unserer linken werktätigen Bewegung scheinen ebenfalls von diesem Strom mitgerissen worden zu sein, worauf sie ihren gesamten Aktionsplan an den begrenzten Horizont von “Erdogan muss weg!” gebunden haben”, heißt es in einer Erklärung von Anfang April.

    Der mit Erdogan konkurrierende bürgerliche Block um den “Sechser-Tisch”, der von der CHP geführt wird, werde “keine bürgerliche Demokratie etablieren”. Stattdessen würde “die faschistische Ordnung mit ihr unter dem Begriff ‘gestärktes parlamentarisches System’ restauriert werden”.

    Die linke werktätige Bewegung handele in der “einseitigen Voraussicht”, dass die “Beseitigung des faschistischen Chefregimes eine politische Atempause” verschaffen werde, weshalb sie offen oder stillschweigend implizit Kemal Kılıçdaroğlu unterstütze.

    Laut Meinung der MLKP müsse sich jedoch die linke werktätige Bewegung auf die “Wut nach dem Erdbeben orientieren, an der Entschlossenheit der Frauen, die die faschistischen Verbote am 8. März durchbrachen, an dem Mut der Frauen von Samandağ, an dem Geist und der Auferstehungskraft von Newroz. Sie muss handeln, organisieren und den Kampf gegen den Faschismus verstärken, indem sie an der Kraft unserer Völker festhält.”

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