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    Bildungsreform in Baden-Württemberg – Rückkehr zu G9

    Am 30. April hat die Grün-Schwarze Regierung in Baden-Württemberg eine Reihe von Schulreformen beschlossen. Die Wiedereinführung von G9 und verbindliche Grundschulempfehlungen sind dabei ein Ausdruck der komplexen Lage am Arbeitsmarkt. – Ein Kommentar von Anna Müller.

    Die Wiedereinführung von G9 ab 2025/26, Ganztagsgrundschulen an „Brennpunkten“, die Abschaffung des Werkrealschlussabschlusses, verbindliche Grundschulempfehlungen: Die von der Grün-Schwarzen Koalition in Baden-Württemberg beschlossenen Reformen im Bildungswesen könnten kaum umfangreicher sein.

    Zuvor hatte die Koalition aus Grünen und CDU gemeinsam mit SPD und FDP eine „Bildungsallianz“ gebildet, um einen gemeinsamen Fahrplan in der Bildungspolitik zu erstellen. Nach Kritik der Opposition an dem Entwurf erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), dass „die Bildungsallianz hier endet“ und „entweder unterschreibt die Opposition das vorliegende Papier oder eben nicht“. Kretschmann kritisierte SPD und FDP, da diese keine eigenen Vorschläge eingebracht, sondern durch Verfahrensfragen den Prozess aufgehalten hätten.

    Entlastung der Schüler:innen und Lehrkräfte?

    G8 wurde in Baden-Württemberg im Schuljahr 2003/2004 eingeführt und hatte das Ziel, die Schüler:innen international wettbewerbsfähiger zu machen. Im gleichen Zeitraum wurde auch an den Universitäten mit der Bologna-Reform versucht, den Ausbildungsprozess zu verkürzen und Jugendliche schneller für den Arbeitsmarkt bereit zu machen.

    Die G8-Reform habe aber vor allem dazu geführt, dass die Kinder unter permanenter Überforderung leiden, sagt Anja Plesch-Krubner von der Elterninitiative „G9 jetzt“. Daher starteten Eltern schon vor Jahren die Initiative für eine Rückkehr zum 9-jährigen Gymnasium in Baden-Württemberg. In mehreren Volksanträgen an den Landtag, die durch zehntausende Unterschriften unterstützt wurden, versuchten sie, Druck auf die Landesregierung auszuüben.

    Doch mehrmals wurden die Gesetzesentwürfe der Initiative abgelehnt. Laut der Kultusministerin Schopper sei der Entwurf „nicht geeignet, das vielschichtige und komplexe Großvorhaben gut und zielführend aufs Gleis zu setzen“. Nun hat die Regierung eine schrittweise Rückkehr ab dem Schuljahr 2025/26 beschlossen. Doch unter anderem von Gewerkschaften kommt Kritik an dem Vorhaben. Die GEW fordert eine Lockerung der Schuldenbremse, da „ohne ordentliche Investitionen die Vorhaben wie die Reformen an Gymnasien sowie in Kitas und Grundschulen nicht erfolgreich sein werden“.

    Denn was es momentan bräuchte sind mehr Zuschüsse, um unter anderem den Mangel an Lehrkräften und die chronische Unterfinanzierung anderer Bereiche des Schulwesens zu beheben. Im Bundeshaushalt für 2024 stieg der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung um mickrige 24 Millionen Euro – bei einem Gesamtumfang von über 21 Mrd. Euro. Unter anderem durch die hohe Inflation führt das zu einer faktischen Kürzung der Ausgaben – und fehlenden Geldern im Bildungsbereich.

    Auch 2025 müssen vermutlich alle Bereiche außer dem Militär mit radikalen Kürzungen rechnen. Dabei haben Finanzminister Christian Lindner (FDP) und weitere Politiker:innen immer wieder klar gezeigt, dass neben Sozialleistungen und dem Gesundheitssektor vor allem das Bildungswesen am meisten unter dem Sparkurs leiden werden. Dem Bildungsministerium soll 2025 im Zuge des Sparkurses 1 Mrd. Euro gestrichen werden. Eine Entlastung durch mehr Lehrkräfte und kleinere Klassen scheint also unrealistisch.

    Bundeshaushalt 2025: Die nächsten Kürzungen werden kommen

    Anpassung an den Arbeitsmarkt

    Der Widerspruch zwischen einer kürzeren Ausbildungszeit und den steigenden psychischen Belastungen für Schüler:innen führt zu einem hin und her Schwanken der Bundesländer in ihrer Bildungspolitik. Mehrere Länder wie Bayern haben G9 bereits wieder eingeführt, andere Länder wie Sachsen halten weiter an G8 fest. Eine einheitliche Linie, wie die Arbeitskraft der Jugend am produktivsten genutzt werden kann, gibt es also nicht.

    Die Abschaffung des Werkrealschlussabschlusses soll zudem die Komplexität des Bildungssystems verringern. Zudem hört man von Politiker:innen in Baden-Württemberg, dass sie das Gymnasium erleichtern wollen, indem durch die längere Schulzeit den Schüler:innen der Stress ein Stück weit genommen wird. Damit die Gymnasien dann aber nicht von G9-begeisterten Schüler:innen „überrannt“ würden, bräuchte es jedoch die verbindliche Grundschulempfehlung.

    Die verbindliche Empfehlung dient jedoch vor allem den komplexen und teils widersprüchlichen Bedürfnissen des Arbeitsmarkts. Einerseits benötigen Berufe im Sozial- und Gesundheitsbereich, in denen der Mangel besonders groß ist, keine gymnasiale Ausbildung. Stattdessen sollen Jugendliche dazu bewegt werden, einen niedrigeren Schulabschluss zu machen, um schneller in die Ausbildung starten zu können. Gleichzeitig steigen auch in diesen Bereichen die Anforderungen an die Arbeitskräfte und es wird immer mehr Wissen beispielsweise in technischen Bereichen gefordert, weshalb letztendlich auch mehr Abiturient:innen benötigt werden.

    Eine Lösung der Probleme wird die Kehrtwende der Schwarz-Grünen Regierung nicht bringen. Denn die chronische Unterfinanzierung der Schulen, sowie sinkende Reallöhne in Bereichen wie der Pflege und steigende Lebenshaltungskosten werden den Konkurrenzkampf unter Jugendlichen nur weiter verschärfen – und damit auch die psychische Belastung nicht verringern.

    • Autorin bei Perspektive seit 2024. Schülerin aus Oberfranken, interessiert sich für Klassenkämpfe weltweit und die Frauenrevolution. Denn wie Alexandra Kollontai damals schon erkannte: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau – ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus!

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