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    2 Tage Krieg zwischen Aserbaidschan und Armenien – was verbirgt sich dahinter?

    In der Nacht zu Dienstag begannen erneut Kämpfe zwischen zwischen Armenien und Aserbaidschan, am Mittwochabend wurde ein erneuter Waffenstillstand verkündet. Erst 2020 führten beide Länder rund vierzig Tage lang Krieg. Um die Folgen einer erneuten Eskalation beurteilen zu können und gleichzeitig zu verstehen, warum dieser Krieg hier “im Westen“ kaum Beachtung findet, muss die Vorgeschichte und die geopolitische Bedeutung des Konflikts geklärt sein. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko

    Ein sinnvoller Beginn bei der Betrachtung der oft vernachlässigten Region des Kaukasus wäre das Ende der Sowjetunion 1991/92: Sowohl Armenien als auch Aserbaidschan waren eigenständige Sowjetrepubliken mit klar festgelegten Grenzen.

    Auch einige der heute umkämpften Gebiete (Nagorno-Karabach, Nachitschewan, etc.) hatten teilweise autonome Strukturen und waren von beiden Ethnien – den Christen und Muslimen – bewohnt. Auch heute noch ist die bergige Grenzregion nicht ausschließlich von einer Ethnie bewohnt, die reale Grenzziehung verändert sich dynamisch mit dem Frontverlauf.

    Berg-Karabach (arm. Nagorno-Karabach) ist ein mehrheitlich armenisch bewohntes Territorium, das gänzlich von aserbaidschanischem Gebiet umschlossen ist, auf das Armenien ursprünglich noch offiziell Anspruch erhoben hatte.

    Die aserbaidschanische Enklave Nachitschewan ist durch armenisches Gebiet vom Rest Aserbaidschans abgetrennt. Dieser komplexe Grenzverlauf ist unter anderem die Folge des Kriegs von 1992 bis 1994, bei dem sich ein pro-armenischer Staat auf dem umstrittenen Gebiet unabhängig machen wollte.

    2020 entbrannte der Krieg von Neuem, als aserbaidschanische Truppen Armenien überfielen. Rund vierzig Tage dauerte dieser Krieg, bei dem ca. 9.000 Menschen getötet wurden und Aserbaidschan große Teile Berg-Karabachs erobern konnte. Unter Vermittlung Russlands wurde damals ein Waffenstillstand ausgehandelt, mit der Bedingung, dass russische „Friedenstruppen“ in Berg-Karabach stationiert werden.

    Geostrategische Hintergründe und fremde Interessen

    Im Zeitalter eines kapitalistischen Systems, das den ganzen Globus umspannt, in dem ein Weltmarkt existiert und die Wirtschaften aller Länder über Liefer- und Produktionsketten aufs engste miteinander verbunden sind, gibt es keine Kriege mehr ohne die Einflussnahme von imperialistischen Mächten.

    Die Region des Kaukasus ist nicht nur eine Grenzregion zwischen Europa und Westasien, sie bildet auch Russlands Süd-West-Grenze und die Nord-Ost-Grenze der Türkei, die NATO-Mitglied ist und zugleich versucht, eine eigenständige Politik in der Region zu entwickeln. Auch der Iran grenzt im Nord-Westen an die Region.

    Dementsprechend geostrategisch bedeutend ist die ölreiche Grenzregion. So kam es bereits 2008 zum Krieg zwischen der ehemaligen Sowjetrepublik Georgien und Russland, der mit einer Annexion zweier Territorien durch Russland endete. Damals entsandten die USA bereits ihre Kriegsflotte ins Schwarze Meer, und die Anspannung zwischen den beiden imperialistischen Blöcken war auf einem zwischenzeitlichen Höhepunkt. Dies war jedoch nichts im Vergleich zur heutigen Situation mit dem Krieg in der Ukraine.

    Bei Armenien handelt es sich um ein Mitglied des von Russland geführten militärischen Bündnisses „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS), das jedoch bisher nicht in den Krieg eingriff.

    Aserbaidschan ist kein Teil eines offiziellen Bündnisses, unterhält jedoch sehr gute Beziehungen zur Türkei – und somit indirekt zur NATO. Sowohl Russland als auch die Türkei fungieren in diesem Konflikt als Vermittler und gleichzeitig als Waffenlieferanten. Bemerkenswert ist, dass Russland sich bisher offenbar nicht in der Lage sieht oder nicht willens ist, Aserbaidschan militärisch und politisch Grenzen zu setzen.

    Geht es gegen die Arbeiter:innenklasse, wird man sich schnell einig

    Als Anfang 2022 ein spontaner Volksaufstand im Nachbarland Kasachstan die Profite russischer und westlicher Monopolkonzerne gleichermaßen bedrohte, zögerte Russland keinen Tag, den Aufstand blutig niederzuschlagen. Aus dem Westen gab es damals nur milde Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen.

    Eine Intervention wie in der Ukraine passierte nicht, so waren auch europäische und amerikanische Konzerne Gegner der kasachischen Arbeiter:innen, welche diese bestreikten. Klar ist: wenn der Einfluss Aserbaidschans auf Kosten Armeniens wächst, dann wächst auch der Einfluss der Türkei und somit der NATO. Die EU und die USA halten sich – mit Ausnahme der üblichen folgenlosen Verurteilungen von Menschenrechtsverletzungen – zurück.

    Das Kalkül hinter Aserbaidschans Angriff

    Aserbaidschan scheint die durch den Ukrainekrieg begrenzte Reaktionsfähigkeit Russlands ausnutzen zu wollen, um bei neuen Verhandlungen über den Grenzverlauf unumstößliche Tatsachen zu schaffen.

    Die Bilanz des zweitägigen Kriegs lautet: 150 Tote, 100 auf armenischer Seite, 50 auf Seiten Aserbaidschans. Außerdem habe Aserbaidschan 50 Quadratkilometer armenischen Territoriums besetzt.

    Übrig bleibt nur, dass die Arbeiter:innen und armen Massen beider Länder den Tribut für die Machenschaften ihrer bürgerlichen Regierungen und der Imperialisten zahlen müssen. Gewinnen tun sie hierbei nichts.

    • Sächsischer Perspektiveautor seit 2022 mit slawisch-jüdischem Migrationshintergrund. Geopolitik, deutsche Geschichte und der palästinensische Befreiungskampf Schwerpunkte, der Mops das Lieblingstier.

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