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    Keine Perspektive im Kampf gegen Finanzkriminalität in diesem Staat

    Die Chefermittlerin im Cum-Ex-Skandal, die Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker aus Köln, hat ihre Kündigung eingereicht. Sie kritisiert die systematischen Versuche der Finanzbranche, sich vor Gericht Vorteile zu verschaffen und sieht außerhalb des Staats eine bessere Perspektive im Kampf gegen Finanzkriminalität. – Ein Kommentar von Paul Gerber.

    „Ich bin nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird. Da geht’s oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz; und dann kommt es oft dazu, dass sie sich aus den Verfahren schlicht rauskaufen können.“

    Mit diesen Worten begründet Anne Brorhilker im Interview mit dem WDR, warum sie ihre Stelle als Chefermittlerin im sogenannten „Cum-Ex-Skandal” aufgeben will – und das lässt tief blicken: Denn wenn jemand wissen muss, wie effektiv Steuerbetrug- und Steuerhinterziehung durch die Finanzbranche in Deutschland verfolgt werden, dann wohl die Frau, die über 11 Jahre die Cum-Ex-Ermittlungen gegen 1.700 Beschuldigte geführt hat, um ihnen nachzuweisen, dass sie sich illegalerweise Steuergelder angeeignet haben.

    Nun hat sie offenbar genug davon und ist zur Überzeugung gekommen, dass sie außerhalb des Staatsapparats mehr im Kampf gegen dieses Betrugsmodell erreichen kann. Im Interview kritisiert sie, dass von der Politik kein echter Schwerpunkt auf die Aufklärung des Skandals gelegt wurde, bei dem mindestens Steuergelder im zweistelligen Milliardenbereich gestohlen wurden.

    Pikant ist dabei unter anderem, dass der Cum-Ex-Skandal zugleich offenbar eine der größten Leichen in Bundeskanzler Olaf Scholz’ Keller ist. Offiziell besteht zwar gegen den ehemaligen Oberbürgermeister von Hamburg kein Anfangsverdacht, direkt in den systematischen Betrug verwickelt gewesen zu sein. Dennoch hat er sich nachweislich mehrmals mit dem Chef der Hamburger Warburg-Bank getroffen, die bis zum Hals in den Skandal verwickelt ist. Vor diversen Untersuchungsausschüssen musste Scholz dann immer wieder Gedächtnislücken anführen, um zu rechtfertigen, dass er nichts zum konkreten Inhalt der Gespräche sagen wolle.

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    Das Grundproblem charakterisiert Ex-Oberstaatsanwältin Brorhilker dabei so, dass eine zu schlecht ausgestattete und zersplitterte Justiz Täter:innen mit sehr viel Geld und sehr viel Einfluss gegenüberstehe. Im heutigen Zustand habe die Justiz gegen Täter:innen mit den besten Anwaltskanzleien auf ihrer Seite kaum eine Chance.

    Glaubwürdig ist, dass die Juristin aus Köln persönlich an den Verhältnissen und ihrer Aufgabe verzweifelt ist. Sie hat nun angekündigt sich der NGO Finanzwende anzuschließen und verknüpft damit nach eigenen Angaben drei Ziele:

    1. Die Justiz soll im Kampf gegen die Finanzkriminalität besser aufgestellt werden. 2. Die Finanzlobby muss zurückgedrängt werden. 3. Und es dürfe nicht weiterhin so sein, dass zum Beispiel Sozialhilfe-Betrüger:innen weiter deutlich härter bestraft würden als Personen, die Millionen und Milliardensummen stehlen.

    All das sind sicher lobenswerte Ziele. Doch es sind durchaus Zweifel darüber angebracht, wie leicht es beispielsweise sein dürfte, die „Finanzlobby“ einfach so zurückzudrängen. Schließlich beschreibt Brorhilker ja selbst, dass die Reichen beste Kontakte hätten – man könnte auch sagen: sie regieren in diesem Land. Um sie wirklich zurückdrängen zu können, müssen wir die Verhältnisse im ganzen Land auf den Kopf stellen. NGO-Arbeit reicht dafür nicht.

    • Paul Gerber schreibt von Anfang bei Perspektive mit. Perspektive bietet ihm die Möglichkeit, dem Propagandafeuerwerk der herrschenden Klasse in diesem Land vom Standpunkt der Arbeiter:innenklasse aus etwas entgegenzusetzen. Lebensmotto: "Ich suche nicht nach Fehlern, sondern nach Lösungen." (Henry Ford)

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