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      „Ökogas-Lüge“: Correctiv-Recherchen decken falsche Versprechen der Gaskonzerne auf

      Klimaneutrales Erdgas? Das Recherchenetzwerk Correctiv hat die klimaschädliche Realität hinter vermeintlich grünen Gastarifen aufgedeckt. Dabei wurde offengelegt, dass ein Großteil der versprochenen Kompensationen keinen effektiven Beitrag zum Klimaschutz darstellt.

      Millionen von Haushalten heizen in Deutschland mit Erdgas. Im Jahr 2023 waren das insgesamt fast die Hälfte aller Wohnungen. Dabei kommt es immer häufiger vor, dass Gasanbieter:innen mit vermeintlich klimaneutralen und ökologischen Versprechen locken und es so schaffen, ihre Konzerninteressen in ein grüneres Licht zu rücken. So soll auch in Zeiten des gestiegenen Bewusstseins gegenüber Klimaschutz sichergestellt werden, dass die fossilen Energie-Unternehmen weiterhin Milliardenprofite einfahren können.

      Gelockt werden die Verbraucher:innen mit sogenannten Kompensationen. Dabei sollen „klimaschädliche Emissionen, die in Deutschland entstehen, an einer anderen Stelle ausgeglichen“ werden. Doch hinter diesen Versprechungen stecken laut Correctiv in den meisten Fällen keine wirklichen Umweltschutzmaßnahmen, sondern lediglich käuflich erworbene CO2-Gutschriften, welche in der Regel keine positiven ökologischen Effekte implizieren. So konnten die Correctiv-Journalist:innen insgesamt 116 deutschen Gasversorger.innen nachweisen, „in den vergangenen 13 Jahren CO2-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten genutzt“ zu haben, bei denen keinerlei positive ökologische Auswirkungen festgestellt wurden.

      „Klimaneutrales“ Erdgas in Form von „Phantom-Gutschriften“

      Das Prinzip hinter den Ausgleichen ist simpel. Wenn fossile Unternehmen, wie bspw. Shell oder auch lokale Energieanbieter:innen, negative klimatische Auswirkungen verursachen, kann durch die Förderung von ökologischen Projekten dieser negative „Fußabdruck“ wieder „ausgeglichen“ werden. Doch in den meisten Fällen finden laut den Recherchen keine tatsächlichen ökologischen Ausgleiche statt. Vielmehr werden von den Verkäufern der Zertifikate falsche oder undurchsichtige Angaben gemacht. In anderen Fällen wären die klimaschützenden Projekte auch ohne die finanziellen Zuschüsse zustande gekommen.

      So werden den Verbraucher:innen falsche Versprechungen unterbreitet und das Gefühl vermittelt, einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, obwohl ihre Zusatzzahlungen in der Realität kaum positive Auswirkungen zeigen. Dieses Phänomen beschreibt auch die Biologin und Kompensationsexpertin Jutta Kill gegenüber Correctiv. Auf dem Markt gebe es „kaum ein Kompensationsprojekt, das plausibel nachweisen kann, dass CO2-Emissionen dauerhaft reduziert oder eingespart wurden“, so Kill.

      Bei 116 deutschen Gasunternehmen konnten sogenannte „Phantom-Zertifikate“ nachgewiesen werden. Unternehmen haben dabei CO2-Zertifikate aus Indien erworben. Dort boomt das Geschäft mit den fragwürdigen Gutschriften. Riesige Bauprojekte, wie beispielsweise der Karcham Wangtoo-Damm im Nordwesten des Landes verkauften zwischen 2011 und 2022 Gutschriften in Millionenhöhe. Doch bereits 2011 zeigten Wissenschaftler:innen der Uni Heidelberg, dass das Bauprojekt nicht auf die deutschen Zuschüsse in Form der Zertifikate angewiesen war und auch ohne die finanziellen Hilfen hätte fertiggestellt werden können.

      „Phantom-Zertifikate“-keine Erfindung der Erdgasindustrie

      Das Prinzip hinter diesen Gutschriften ist jedoch keineswegs ein Novum innerhalb der fossilen Infrastruktur. Auch Erdölgigant Shell vermittelt bereits seit einigen Jahren sogenannte „Emissionsminderungsgutschriften“ an Verbraucher:innen. So wurden laut eigenen Angaben im Jahr 2022 fast neunzigtausend Tonnen CO2 kompensiert. Doch kürzlich gab der Konzern bekannt, seine Klimaziele bis 2035 stark zu reduzieren. So reagiere das Unternehmen laut eigenen Angaben auf eine stark gestiegene Nachfrage. Ursprünglich sollte die Kohlenstoffbelastung um 45 Prozent vermindert werden. Im Fokus der Konzernleitung stehen stattdessen höhere Gewinnmargen.

      Statt der versprochenen Einsparungen setzte Shell seine Ziele neu und gab an, die Gesamtemissionen von Ölprodukten wie Benzin und Flugkraftstoff bis 2030 im Vergleich zu 2021 um 15 bis 20 Prozent zu senken. Auch an seinen langfristigen Klimazielen hält der Erdölgigant fest. Die noch bestehenden Klimaziele möchte der Konzern vorrangig über CO2-Zertifikate erreichen. Dabei setzt Shell nicht selten auf Ausgleiche durch den Handel mit Zertifikaten aus Waldschutzgebieten. Für diese werden jedoch zumeist lediglich grobe Prognosen aufgestellt, die in der Regel viel Spielraum für Anpassungen im Interesse der Unternehmen lassen.

      Diese fragwürdigen Methoden in der Bewertung der Zertifikate führten laut Recherchen der Zeit, der britischen Tageszeitung Guardian und des britischen Reporterpools SourceMatrial dazu, dass „Millionen Klimaschutz-Zertifikate verkauft wurden […], die es gar nicht hätte geben dürfen.“ So wird ein Großteil der angegebenen Emissionen tatsächlich gar nicht eingespart. Eine Tatsache, die starke Parallelen zu den Analysen des Correctiv-Teams aufweist – nicht zuletzt durch die exzessiven Greenwashing-Kampagnen der fossilen Konzerne, die den Handel mit den vermeintlich grünen Zertifikaten als progressiven Klimaschutz inszenieren.

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