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Brandanschlag in Essen: Ein versuchter Femizid – keine Familientragödie

Nach einem Wohnungsbrand in Essen und einem Angriff auf einen Gemüseladen gibt es mehrere Verletzte. Eine „reine familientragische Geschichte“ soll zu der Tat geführt haben. Tatsächlich handelte es sich um einen versuchten Femizid, der auch als solcher benannt werden muss! – Ein Kommentar von Clara Fischer.

Am vergangenen Samstagabend standen zwei Wohnhäuser in den Essener Stadtteilen Altenessen und Stoppenberg in Flammen. Innerhalb weniger Minuten war in beiden Gebäuden Feuer ausgebrochen. Von den 31 verletzten Personen schweben zwei kleine Kinder in Lebensgefahr. Ein 41-jähriger Mann wird dringend verdächtigt, das Feuer gelegt zu haben. Die Nachbar:innen reagierten schnell und selbstlos, in dem sie bereits Leitern aufstellten, als die Feuerwehr eintraf.

Der Tatverdächtige wurde festgenommen, nachdem er mit einem Lieferwagen in zwei Geschäfte in Essen-Katernberg gefahren war, wo er die Anwesenden mit einem Messer und einer Machete bedrohte. Anwesende hielten den Mann vor Ort fest, bis die Polizei ihn in Handschellen abführen konnte. Nun sitzt er seit Sonntag in Untersuchungshaft.

Kein „Familiendrama“!

Zu dem Motiv äußerte sich der Anwalt des Mannes: „Eine reine familientragische Geschichte“ sei der Auslöser gewesen, der seinen scheinbar psychisch kranken Mandanten zu der Tat getrieben habe. NRW-Innenminister Herbert Reul spricht von einem Mann, der die Trennung seiner Ex-Frau möglicherweise nicht verkraftet habe.

Diese Trennung liegt bereits drei Jahre zurück. Damals musste die Frau mit ihren Kindern Schutz vor ihrem Ex-Mann in einem Frauenhaus suchen. In der Vergangenheit soll es bereits Streit um das Umgangsrecht der Kinder gegeben haben. Am vergangenen Samstag kam es mit den Brandanschlägen zur Zuspitzung der Aggression des Mannes. Der Anschlag richtete sich gezielt gegen seine Ex-Frau, ihre Unterstützer:innen und sogar die gemeinsamen Kinder. Von einem „Familiendrama“ oder einem Mann, der eine Trennung nicht „verkraftet“ habe, kann hier nicht mehr die Rede sein. Es handelte sich um das höchste Ausmaß patriarchaler Gewalt – einen versuchten Femizid.

Femizide sind die höchste Form patriarchaler Gewalt

Femizide sind Morde an Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts verübt werden. Häufig handelt es sich dabei um partnerschaftliche Gewalt. Dahinter steckt keine vermeintliche „Ehekrise“, kein sogenannter „Rosenkrieg“ oder der Liebeskummer eines verlassenen Partners. Einem Femizid liegen patriarchale Strukturen und Rollenvorstellungen zugrunde. Die Unterdrückung von Frauen findet in einem Femizid ihren schrecklichen Höhepunkt.

Diese grausamen Taten zeigen, mit welcher Intensität Frauen im Patriarchat in ihrer Selbstbestimmung gehindert werden. Im schlimmsten Fall werden Frauen, die ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einfordern, ermordet. In patriarchalen Ideologien wird Männern ein Besitzrecht an Frauen zugesprochen. Frauen hingegen haben in dieser Weltanschauung ihr klassisches Rollenbild zu erfüllen, indem sie sich ihrem Mann unterordnen und gehorchen. Diese Denkmuster können Femiziden als häufigstes Tatmotiv zugrunde gelegt werden, wenn Frauen aus diesem System ausbrechen wollen, zum Beispiel indem sie sich gegen eine gewaltvolle Beziehung entscheiden.

Mediale Verharmlosung ignoriert systemische Gewalttaten

Viele Berichterstatter:innen, Politiker:innen und weitere Akteur:innen der Öffentlichkeit trauen sich selten, von Femiziden zu sprechen. Femizide haben in der mehrheitlichen Berichterstattung kaum einen Platz, weil sie der Beweis dafür sind, dass das Patriarchat eine Lebensgefahr für Frauen darstellt – weil das Gesellschaftssystem, in dem wir leben, Schuld an diesen Gewalttaten trägt.

Femizid in Bad Emstal: Weder Liebes- noch Familiendrama

Stattdessen werden Frauenmorde als individuelle Familientragödie dargestellt, wie es unter anderem der Anwalt des Tatverdächtigen formulierte. Es werden beschönigende und sogar romantisierende Begriffe wie „Liebesdrama“ verwendet. Von ihren Frauen verlassene Männer hätten aus lauter Liebeskummer gehandelt. Diese Formulierungen sorgen dafür, dass Femizide immer wieder verharmlost werden. Das Ausmaß der Gewalt, unter der die Frauen durch ihre Männer gelitten haben, psychische sowie häusliche Gewalt, rückt dabei häufig in den Hintergrund oder kommt überhaupt nicht zur Sprache. Beinahe schon wird Mitleid mit dem Täter hergestellt, der aus tiefer Trauer heraus gehandelt hätte, wie es NRW-Innenminister Herbert Reul beschreibt. Fast ließe sich heraushören, der Täter hätte vor lauter Liebe nicht anders gekonnt. Diese Form der Berichterstattung ist nicht akzeptabel. Sie ignoriert das Problem und beabsichtigt nicht, patriarchale Gewalt zu erkennen und zu bekämpfen.

Instrumentalisierung für rassistische Hetze

Nicht nur wird der Femizid nicht als solcher anerkannt. Auch nutzen rechte Medien den Brandanschlag, um ihn für ihre rassistische Hetze zu instrumentalisieren: Der mutmaßliche Täter sei Syrer, so die Angaben der Polizei. Er selbst würde sich als Palästinenser bezeichnen.

Taten, die von Migranten verübt werden, werden von Rechten genutzt, um rassistische Inhalte zu propagieren. Kurz nach der Tat tauchten YouTube-Videos auf rechten Kanälen auf, welche die Herkunft des Täters in den Fokus rückten und direkt mit den Brandschlägen in Verbindung brachten. Die Rede ist beispielsweise von einem islamistisch motivierten Amoklauf. Ganz klar ist aber: Es geht nicht um die Herkunft des mutmaßlichen Täters, sondern um Gewalt an Frauen, die in unserer frauenunterdrückenden Gesellschaft jeden Tag vorkommt.

Auf die Straße gegen patriarchale Gewalt und mediale Beschönigung

Um auf diesen versuchten Femizid aufmerksam zu machen, hat die Internationale Jugend Ruhr am Montag eine Kundgebung auf dem Katernberger Markt in Essen abgehalten. Gemeinsam mit dem Solidaritätsnetzwerk Essen gab es viele Redebeiträge. Diese thematisierten patriarchale Gewalt an Frauen und einen Femizid, der im vergangenen Jahr in Duisburg verübt wurde. Rund 10-15 Personen kamen zu der Kundgebung und hörten den Redner:innen zu. Während der Vorträge waren auch Zwischenrufe von Faschist:innen aus den Reihen der Zuhörer:innen zu vernehmen.

Aktionen wie diese sind unerlässlich, damit Femizide in der breiten Öffentlichkeit als das erkannt werden, was sie sind. Frauen, die ihr Leben selbstbestimmt gestalten wollen, Beziehungen beenden und ihre Stimme für sich erheben, lassen traditionelle Geschlechterrollen bröckeln. Ihre Unterdrückung endet in einem Femizid, der ihnen ein selbstbestimmtes Leben verweigert. Femizide sind keine Einzelfälle, sondern ein Symptom einer frauenfeindlichen Gesellschaft und müssen auch als solche benannt werden. Solange dies nicht geschieht, werden Frauen, die selbstbestimmt leben wollen, niemals sicher sein.

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