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    Rondenbarg-Prozesse: „Es sollen Einzelne kollektiv in Haftung genommen werden“

    Vor mittlerweile fast 7 Jahren fand begleitet von großen Protesten der G20-Gipfel in Hamburg statt. Unter anderem im Gewerbegebiet Rondenbarg kam es zu massiver Polizeigewalt – und im Nachhinein zu unzähligen Prozessen gegen Demonstrierende. Perspektive Online hat mit Nils Jansen über sein laufendes Verfahren im „Rondenbarg-Prozess“ gesprochen.

    Warum hast du ursprünglich gegen den G20-Gipfel protestiert?

    In den G20-Gipfeln konzentrieren sich sozusagen alle Themen, zu denen tausende Menschen aus verschiedenen Bewegungen schon weltweit aktiv sind. Die G20-Staaten sind die größten Kriegstreiber und die größten Verfechter von Militarismus und Aufrüstung weltweit. Der absolute Großteil der Kriege in den letzten Jahrzehnten ging von den G20-Staaten aus, von Afghanistan über Irak bis zur Ukraine. Da ist auch Deutschland ganz aktiv mit dabei, mit NATO-Atomwaffen auf deutschem Gebiet, mit Waffenlieferungen in alle Welt und auch ganz direkt mit Soldaten in Afghanistan und Libyen. Der G20-Gipfel war deshalb ein Anziehungspunkt für die Friedensbewegung.

    Gleichzeitig betreiben viele G20-Staaten eine Abschottungspolitik gegenüber den Menschen, die vor diesen Kriegen und vor Armut und Elend fliehen. Allen voran Deutschland und die EU, die in den letzten Jahren das Asylrecht immer weiter ausgehöhlt und Europa zur Festung gemacht haben. Der G20-Gipfel war deshalb ein Anziehungspunkt für die Bewegungen, die sich für die Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen einsetzen.

    Die G20 sind die größten Umweltverschmutzer und Klimasünder, der absolute Großteil der weltweiten CO2 Emissionen kommt aus den G20-Staaten. Mit Trump war in Hamburg sogar ein offener Klimawandel-Leugner dabei. Die G20 behaupten zwar, dass sie diese Probleme angehen wollen, konnten sich in Hamburg aber nicht mal auf das Pariser Klimaabkommen einigen. Die G20-Gipfel sind deshalb auch ein Anziehungspunkt für Bewegungen in Sachen Umwelt- und Klimaschutz.

    Die deutsche Regierung traf sich beim G20-Gipfel mit offenen Frauenhassern und Patriarchen. Nicht nur Trump war dabei, sondern auch Vertreter aus Saudi Arabien – wo nicht nur Frauen, sondern Schwule, Lesben, Trans-Leute brutal unterdrückt werden. Die G20-Gipfel sind deshalb ebenso für die feministische Bewegung ein wichtiges Thema.

    In vielen G20-Staaten, von Deutschland bis USA, von Indien bis Brasilien sind rechte und faschistische Kräfte in den letzten Jahren erstarkt oder sogar Teil der Regierung. Mit Saudi-Arabien sitzt auch eine waschechte faschistische Diktatur am Tisch, wo Journalist:innen und überhaupt alle kritisch denkenden Menschen massiv verfolgt werden. Die G20-Gipfel sind deshalb gleichermaßen Anziehungspunkt für alle diejenigen, die sich in Deutschland und weltweit für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.

    Und insgesamt sind die G20 schlicht die wirtschaftlich mächtigsten Länder, und sie beziehen diese wirtschaftliche Vormachtstellung eben auf Kosten des Rests der Welt, auf Kosten der wirtschaftlich abhängigen Länder. Sie stehen für eine neokoloniale Politik der Ausbeutung und des Abhängig-Machens anderer Länder, für eine Globalisierung, die Banken und Konzernen nützt und unter der Millionen Menschen leiden müssen. Die G20-Gipfel sind deshalb – last but not least – Anziehungspunkt für diejenigen Bewegungen, die für Internationale Solidarität und globale soziale Gerechtigkeit kämpfen.

    Die Vielfalt dieser Proteste und die Solidarität über die verschiedenen Teilbewegungen hinaus sind genau die Stärke dieser Gipfelproteste. All diese Punkte – Frieden, die Rechte von Geflüchteten, Umwelt- und Klimaschutz, Feminismus, Demokratische Grundrechte, Soziale Gerechtigkeit – all diese Themen haben in Hamburg 100.000 Menschen zusammen auf die Straße gebracht. Und das waren auch die Gründe, warum ich nach Hamburg gefahren bin.

    Aber ich war, wie viele andere Menschen auch, in Hamburg zusätzlich für grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen auf der Straße: Die G20 stehen eben nicht allein. Die G20 sind für mich nur die Spitze eines ganzen Systems der Ausbeutung, die Spitze dieses globalisierten Kapitalismus, unter dem die Mehrheit der Weltbevölkerung zu leiden hat. Ich war in Hamburg deshalb auch auf der Straße für grundsätzliche Alternativen zum Kapitalismus.

    Was geschah dann im Gewerbegebiet Rondenbarg?

    Am Morgen des 7. Juli wurde breit aufgerufen, die Zufahrtswege zum G20-Gipfel zu blockieren. Aber für viele bestand dazu kaum Gelegenheit: Der Demonstrationszug am Rondenbarg wurde nach nur 20 Minuten von gepanzerten und schwer bewaffneten Polizist:innen, außerdem zwei Wasserwerfern eingekesselt, angegriffen und innerhalb von Sekunden vollständig zerschlagen. Wer nicht rechtzeitig wegkam, bekam den Schlagstock zu spüren. Das war keine „Festnahme”. Aus der Berichterstattung ergibt sich das Bild eines regelrechten Überfalls der Polizei auf die Demonstration. Es waren acht Rettungswagen nötig, um die 14 teils schwer verletzten Demonstrant:innen ins Krankenhaus zu bringen.

    Über sechs Jahre Rondenbarg – Über sechs Jahre Polizeigewalt, Grundrechtsentzug und Heuchelei

    Im Anschluss kam es zur Anklage gegen viele Menschen. Vielleicht kannst du kurz zusammenfassen, wie sich seitdem die Prozesse entwickelt haben.

    Über 80 Menschen wurden angeklagt. Der Großteil wurde direkt vor Ort festgenommen, ein Teil im Rahmen einer haarsträubenden Öffentlichkeitsfahndung im Nachhinein „ermittelt“. Schlagzeilen gemacht hat zunächst das Verfahren gegen den jungen italienischen Azubi Fabio V. – dieser saß über fünf Monate in U-Haft. Sein Verfahren ist dann geplatzt, weil die Richterin in Mutterschutz ging. Das nächste Verfahren gegen die damals noch minderjährigen Angeklagten platzte wegen Corona. Unsere Verfahrensgruppe ist also die erste, in der voraussichtlich ein Urteil gesprochen wird. Ein wichtiger Testballon also für die Staatsanwaltschaft in Bezug auf die noch kommenden Verfahrensgruppen.

    Gab es auch Anklagen gegen Polizist:innen?

    Trotz der dokumentierten Polizeigewalt wurde nach wie vor keine:r der beteiligten Beamt:innen der Berliner BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten) und der Polizeisondereinheit „Blumberg“ angeklagt. Auch aus keiner anderen Einheit vor Ort.

    Nun steht die dritte Runde der Verfahren an. Wie bewertest du den Beginn des Verfahrens?

    Gleich zu Beginn wies die Vorsitzende Richterin Sonja Boddin einen Großteil der Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft zurück: Sie lehnte den Vergleich der Demonstration mit einem Hooligan-Aufmarsch – in Referenz auf ein BGH-Urteil von Mai 2017 – ab und erkannte an, dass es sich bei der Demonstration am Rondenbarg grundsätzlich um eine Versammlung im Sinne des Grundgesetzes handelte. Unklar sei, ob sich das im Laufe der Demo geändert habe. Das nimmt für uns Angeklagte einen Teil des Drucks, politisch ist die Gefahr damit aber noch nicht gebannt. Denn auch jetzt öffnet die Argumentation der Staatsanwaltschaft die Tür für Kollektivstrafen auf Demonstrationen.

    Zwei Mitangeklagte haben einen “Deal” der Staatsanwaltschaft angenommen – warum du nicht?

    Wir alle kritisieren die von der Staatsanwaltschaft geforderten Auflagen. Manche Angeklagte haben das Angebot trotzdem notgedrungen angenommen: viele müssen weite Strecken zurücklegen, sind gesundheitlich beeinträchtigt und erleiden berufliche und finanzielle Einbußen. Die Entscheidung, das Angebot abzulehnen, ist mir entsprechend nicht leichtgefallen. Natürlich wünsche ich mir ein schnelles Ende des Verfahrens, aber die Auflagen der Staatsanwaltschaft sind aus meiner Sicht eine Täter-Opfer-Umkehr. 14 Demonstrierende wurden am Rondenbarg von Krankenwagen abgeholt, kein einziger Polizeibeamter wurde verletzt. Wann distanzieren sich die verantwortlichen Polizeibeamt:innen, wann die verantwortlichen Politiker:innen und die Stadt Hamburg von ihrem Gipfel der Gewalt?

    Wie schätzt du die Bedeutung der Prozesse heute ein, wo doch an so vielen anderen Stellen „die Welt brennt”?

    Gerade heutzutage ist dieses Verfahren brandgefährlich. Es sollen Einzelne, denen keine individuellen Straftaten vorgeworfen werden, kollektiv in Haftung genommen werden, wenn Demonstrationen unfriedlich verlaufen. Allein die Möglichkeit, schon für die bloße Teilnahme an einer Demonstration vor Gericht zu landen, kann schon heute abschrecken, überhaupt noch an Versammlungen teilzunehmen. Potenziell betroffen sind damit alle, die sich an Demonstrationen, Kundgebungen oder Streiks beteiligen wollen – jetzt oder in Zukunft. Beim Rondenbarg-Prozess geht es nicht um uns Angeklagte, sondern um das Recht auf freie Versammlung überhaupt.

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