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    Interview: CSD in Bernau – LGBTI+ kämpfen in der Kleinstadt

    Auch außerhalb von Großstädten gibt es LGBTI+-Personen, die für ihre Rechte kämpfen. Wir waren auf dem Christopher Street Day in Bernau und haben mit Ezra aus dem Organisationteam gesprochen.

    Was wollt ihr erreichen?

    Das Ziel ist die Sichtbarkeit von LGBTI+-Personen allen Alters. Wir haben diesmal ein bunt gemischtes Organisationsteam von 15 bis in die 50er. Dadurch sind viele verschiedene Wahrnehmungen aufeinandergetroffen. Wir fordern eine bessere medizinische Anbindung für LGBTI+. Im Bereich Bernau gibt es keine spezialisierten Mediziner:innen für Trans-Personen. Beispielweise kenne ich den Fall eines Trans-Manns, bei dem es zu einer ungewollten Schwangerschaft kam.

    Ihm wurde medizinische Behandlung verweigert, weil allen Ärzten im Umkreis die Kenntnisse fehlen über den Umgang mit schwangeren Menschen, die Testosteron nehmen. Das ist hier ein große Baustelle, deshalb fordern wir, dass Zugang für LGBTI+-Personen zu medizinischer Hilfe gewährleistet ist. Außerdem wollen wir klare Kante gegenüber den hier starken rechten und faschistischen Kräften zeigen.

    Warum ist es wichtig, CSDs auch außerhalb von Großstädten zu veranstalten?

    Vor kurzem war der CSD in Eberswalde, wohin über 1.000 Menschen kamen. Letztes Jahr hatten wir hier in Bernau mit 80 Menschen gerechnet und es kamen über 300. Dieses Jahr waren es schon ca. 400 Leute. Ich finde es besonders wichtig, nicht nur in den Metropolen sichtbar zu sein. LGBTI+ leben nicht nur in Berlin, Köln und anderen Großstädten, sondern überall, und dazu gehören auch kleinere Städte.

    Es ist nicht nur wichtig, rechten und konservativen Menschen zu zeigen, dass wir laut sind, sondern vor allem auch unseren LGBTI+-Geschwistern zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Es gibt zu viele Menschen, die sich nicht trauen sich zu outen, weil ihre Familie und ihr Umfeld sie eventuell nicht mehr akzeptieren würden. Mobbing in der Schule ist vorprogrammiert, weil Lehrkräfte nichts dagegen tun und meist Teil des Problems sind. Wir wollen an die LGBTI+-Personen, die wir zum Teil noch nicht einmal kennen, ein Signal von Zusammenhalt zeigen: „Wir sind viele!“

    Gab es Gegenreaktionen?

    In den letzten Monaten kam es zu einigen Angriffen durch die faschistische Kleinstpartei Der Dritte Weg und die AfD. Zum Beispiel wurden an das Jugendzentrum gesprüht: „Wir sind mehr, kommt doch ihr …“. Auch heute, als wir vom Bahnhofsvorplatz losgingen, riefen uns einige Leute zu: „Fühlt ihr euch nicht peinlich?“ Ich beobachte viele LGBTI+-feindliche Angriffe, körperlich sowie psychisch. Letztes Jahr war der erste CSD in Bernau. Da gab es z.B. einen Drohbrief, der im Namen eines queeren Cafes verfasst wurde, aber in Wahrheit von einer faschistischen Jugendorganisation geschrieben worden war. Die Cafébetreiber:innen waren sehr erschüttert, als das ans Licht gekommen ist. Heute sind zum Glück nur wenige Zwischenfälle und keine körperlichen Angriffe passiert. Das hat mich positiv überrascht.*

    Es gab in Bernau auch sehr hohe Stimmzahlen bei der Europawahl für die AfD und Freie Wähler. Im Jugendclub kamen Jugendliche zu uns, die geweint haben, weil sie nicht wissen, wie sie mit den Wahlergebnissen umgehen sollen. Der Rechtsruck ist hier schon deutlich zu spüren.  Was Angriffe gegen uns angeht, bleibt es aber bisher meist bei Drohungen. Trotzdem müssen wir diese auch ernst nehmen. Nicht zuletzt ist auch das eine Form psychischer Gewalt gegen uns LGBTI+ und linke Menschen, die wir selbstverständlich entschlossen ablehnen.

    Der CSD in Bernau untersagt Parteifahnen und setzt auf selbstorganisierte Vernetzung. Ist das für euch ein wichtiger Unterschied zu den großen kommerziellen CSDs?

    Wir haben bei der Organisierung des CSD mit Parteien gesprochen, aber den Anspruch an sie gestellt, keine Werbeveranstaltung daraus zu machen. Natürlich haben wir im Vorhinein aussortiert. Die AfD hätte eher das Mikrofon an den Kopf geworfen bekommen, statt eine Rede halten zu dürfen.

    Insgesamt finde ich es problematisch, wenn sich Parteien wie die CDU den Einsatz für LGBTI+ auf die Fahne schreiben, in der Realität aber eine uns gegenüber feindliche Politik machen. Die CDU hat sich aber auch nicht gemeldet.

    Dass wir hier selbstorganisiert zusammenkommen, am Nachmittag noch im Jugendclub vernetzen und nur zusammen unterwegs sind, ist sehr viel familiärer. So können wir uns auch gegenseitig deutlich machen, worum es eigentlich geht, ohne dass der politische Aspekt in einer Feier untergeht.

    Der CSD geht geschichtlich auf die Stonewall-Aufstände in New York zurück, wo sich LGBTI+ staatlicher Repression zur Wehr setzten. Inwiefern spielt ein kämpferischer Charakter auch heute noch eine Rolle?

    Uns ist es sehr wichtig, dass der CSD selbstverständlich ein Ort ist, um glücklich zu sein und sich wohlzufühlen. Genauso wichtig ist es uns aber immer wieder zu betonen, dass es nicht nur eine Party ist.

    Vorhin hat eine Person Cannabis geraucht. Das haben wir verboten, weil wir wollen, dass es eine politische Veranstaltung bleibt. Natürlich sollen die Leute gemeinsam Spaß haben und glücklich sein, aber sie sollen nicht vergessen. warum sie hier sind. Für unsere Geschwister, die früher die Stonewall-Aufstände geführt haben, wäre es eine Schande, wenn wir daraus einfach eine Party machen. Zumal wir von wirklicher Geschlechterbefreiung noch weit entfernt sind. Wir haben eine Botschaft, und zwar unsere Rechte wie medizinischen Zugang für alle zu erkämpfen, Faschist:innenn zu bekämpfen und uns gemeinsam als LGBTI+-Personen zu stärken.

    Was braucht, es um LGBTI+-Personen zu befreien?

    Ich denke, wir müssen LGBTI+-Menschen zuhören in Zeiten, wo sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Vor meinem Outing war meine Oma noch der Meinung, Schwule sollten ihre sexuelle Orientierung in der Öffentlichkeit nicht „raushängen lassen“ und sich beispielweise küssen. Heute stellt sie sich laut im Supermarkt einem 50-jährigen Mann entgegen, der mich als psychisch krank bezeichnet, weil ich trans bin.

    Es ist mir auch klar, dass wir nicht jede:n überzeugen können uns zu akzeptieren, aber ich denke, dass gegenseitiges Zuhören und Voneinander-Lernen sehr bedeutend ist. Es gibt Menschen, die auch mit der Zeit verstehen, dass es nicht darum geht, andere Menschen schwul oder trans zu „machen“, und dass wir für sie keine Bedrohung darstellen. Aber, wenn uns Menschen als eine Bedrohung sehen, können wir auch das sein, wenn wir wie heute auf einem CSD zusammenkommen. Auf den Punkt gebracht ist das Motto also: „Respect my Existance or expect my resistance!“ („Respektiert meine Existenz oder erwartet meinen Widerstand!“)

    * Zu einem Zeitpunkt nach dem Interview kamen Faschist:innen zum Gelände des Jugendzentrums Dosto, dem Vernetzungstreffpunkt nach der Demonstration. Sie beleidigten Menschen LGBTI+-feindlich, weshalb entschieden wurde, in großen Gruppen den Ort zu verlassen.

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