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    Schleichender Stellenabbau: Das deutsche Modell der Massenentlassung

    Deutsche Unternehmen bauen tausende Arbeitsplätze ab. Die Reaktionen darauf fallen betont ruhig aus. Das liegt auch an den konkreten Bedingungen in Deutschland – Ein Gastkommentar.

    Im Tesla-Werk in Grünheide dürfte sich Ernüchterung breitmachen: Statt der geplanten Werkserweiterung und Neueinstellungen steht zunächst der Abbau von 700 Arbeitsplätzen auf der Tagesordnung, 300 davon betreffen Leiharbeiter:innen. Der sinkende Absatz im Vergleich zum Vorjahr und das Erstarken der chinesischen Konkurrenz machen dem Unternehmen zu schaffen. Doch damit steht es nicht alleine.

    Ob internationale Monopole oder eine Reihe mittelständischer Zulieferer-Unternehmen: In der Autoindustrie wie auch in anderen Branchen kommt es gerade zur massenhaften Streichung von Arbeitsplätzen und Standortschließungen beziehungsweise deren Ankündigung. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass viele in Deutschland gefertigte Autoteile wie z.B. Getriebe beim Umstieg auf Elektroautos entfallen. Schätzungen zufolge könnte bis 2030 jeder vierte der aktuell 270.000 Arbeitsplätze bei den Auto-Zulieferern wegfallen.

    Dazu zählt auch der weltweit agierende Technologiekonzern ZF Group. Der Vorstand von ZF hat informiert, dass ein Abbau von 12.000 der 50.000 Arbeitsplätze in Deutschland möglich sei. Allein 10.000 könnten schon bis 2028 gestrichen werden. Bereits im Dezember wurde angekündigt, das Werk in Gelsenkirchen mit 190 Arbeiter:innen bis Ende 2024 zu schließen. Ende 2025 wird zudem der Standort im nordrhein-westfälischen Eitorf zugemacht, in dem 690 Arbeiter:innen beschäftigt sind.

    Die Programme für den Stellenabbau ziehen sich in vielen Fällen scheibchenweise über Jahre. Das geschieht auch, um den Widerstand gegen die Maßnahmen gering zu halten. So gehen Arbeiter:innen in den Ruhestand, neue werden nicht eingestellt, andere hoffen einfach, noch möglichst lange ihren Job zu behalten.

    Miele und Deutsche Bank: Stellenabbau in Deutschland weitet sich aus

    Probleme kommen selten allein

    Auch in der Baubranche kommt es zu Krisenerscheinungen: Immer mehr Aufträge werden storniert und Kapazitäten liegen brach. Trotz anhaltenden Wohnraummangels in den Großstädten kommt es zu einem Rückgang der Bautätigkeit. Steigende Kosten für Material und Personal sowie ein hoher Zins, der die Baukredite teuer macht, befeuern die Krise.

    Eine Überproduktion im Bereich der Bürogebäude wurde durch das Umschwenken vieler Unternehmen auf Home Office noch verstärkt. Das Zusammentreffen dieser Faktoren führt dazu, dass bis zu 10.000 Arbeitsplätze im Baugewerbe in nächster Zeit abgebaut werden. Die Krise wird einen massiven Einschnitt für viele Arbeiter:innen bedeuten: Betriebsräte, Tarifverträge und eine Sozialpartnerschaft haben sich in der Baubranche kaum durchgesetzt. Es winken also keine Abfindungen oder ähnliche Trostpflaster für den Jobverlust.

    Auch in der schnelllebigen Plattform-Ökonomie, genauer im Bereich der Lieferdienste kommt es im hart umkämpften Markt zu Umbrüchen, unter denen wie gewohnt vor allem die Arbeiter:innen leiden. Das Lieferdienst-Startup „Getir” mit Hauptsitz in Istanbul zum Beispiel zieht sich komplett aus Deutschland zurück. Betroffen sind 1.400 Arbeiter:innen. Ein weiterer Stern fällt vom Startup-Himmel.

    Was steht dahinter?

    Im Kapitalismus kommt es regelmäßig zu Überproduktionskrisen. Nach einer Ausweitung der Produktion in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, in der Hoffnung die Konkurrenz vom Markt zu drängen, kommt es zu Überproduktion und einem Abfall der Nachfrage. Die Monopole müssen Waren unter Wert verkaufen, vernichten und die Produktion herunterfahren. Die letzte Krise dieser Art ereignete sich 2019/2020 in Deutschland und gerade befinden wir uns mitten in der nächsten. Die übliche Erholung nach der Krise blieb dazwischen aufgrund von Lieferketten-Unterbrechungen, explodierenden Energiepreisen und einer sinkenden Umfrage weltweit weitgehend aus.

    Es ist wichtig zu beachten, dass in einer der weltgrößten Volkswirtschaften wie Deutschland, die über eine Vielzahl von großen Monopolen verfügt, wesentliche Krisenerscheinungen vom Staat abgemildert werden können: Beispielsweise kann über staatliche Investitionsprogramme und Steuergeschenke die Wirtschaft wieder angekurbelt werden. Für diese Geschenke müssen die Arbeiter:innen aufkommen, indem sie die Steuerlast und Wucherpreise tragen müssen und zudem noch Reallohnverluste im Zuge der Inflation erleiden.

    Die Schwere der Wirtschaftskrise und die ausbleibende Erholung machen Maßnahmen jenseits von Kurzarbeit nötig: So stellen manche Unternehmen teilweise ihre Produktion um, damit sie die veränderte Nachfrage größerer Industriemonopole bedienen können, andere, wie z.B. Miele, verlagern aufgrund der geringeren Lohnkosten weitere Teile ihrer Produktion nach Polen. Das geht zu Lasten von 700 Beschäftigten, die ihren sicher geglaubten Job verlieren. Auch der Umbau der Produktion auf erneuerbare Energieträger fordert weiterhin viele Monopole so heraus, dass sie an anderer Stelle ihre Produktion zusammenstreichen.

    Bei diesen Einschnitten ist es eine Besonderheit in Deutschland, dass sich in der Industrie – die sich im festen Griff der Sozialpartnerschaft von DGB-Gewerkschaften, Unternehmensvorständen und Staat befindet – sozialer Frieden erkauft werden kann: Mit Rekord-Abfindungen, Anreizen zum Arbeitsplatzwechsel sowie Altersteilzeit lassen sich Massenkündigungen über Jahre vergleichsweise geräusch- und kampflos strecken. Dank der Kooperation mit den Arbeitsämtern wird für die jüngeren Beschäftigten ein neuer, wenn auch schlechter bezahlter Arbeitsplatz gefunden.

    In einigen Branchen werden die Auswirkungen von Entlassungsprogrammen auf die Beschäftigten zudem durch einen weiterhin starken Arbeitskräftemangel abgemildert: Das heißt, die Arbeiter:innen finden dort verhältnismäßig schnell neue Jobs.

    Arbeitsmarkt: Stellenabbau und Fachkräftemangel

    Jenseits von Standortlogik und Ellenbogen

    Mit Blick auf die aktuelle Krise, aber auch die Krisen der Vergangenheit wird klar, dass Arbeitsplätze im Kapitalismus nie sicher sind und wir Arbeiter:innen permanent von Kündigungen, Ausgliederungen ganzer Abteilungen und systematischer Absenkung unseres Lebensstandards bedroht sind.

    Bei einem konsequenten Kampf um den Erhalt unserer Arbeitsplätze ist auf die DGB-Gewerkschaften kaum Verlass. Die enge Zusammenarbeit mit den Unternehmensvorständen in der geräuschlosen Abwicklung ganzer Standorte beweist das immer wieder. Nur vereinzelt wird der Widerstand aufgenommen.

    Einen konsequenten Kampf gegen die Übel, die Kapital und Sozialpartnerschaft für uns Arbeiter:innen bereit halten, können wir nur entwickeln, wenn wir uns klassenkämpferisch organisieren: Das heißt, klar Partei zu ergreifen – für uns selbst, unsere Kolleg:innen, für die Leihbelegschaft, für alle Arbeiter:innen hier, in Polen, China und überall auf der Welt. Lassen wir uns nicht spalten und durch Standortpatriotismus gegeneinander ausspielen!

    Arbeitskampf im Betrieb: Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft

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