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    „Die Kämpfe zuspitzen, bis wir die Bildung bekommen, die wir verdienen!“ Ein Interview zu den Studierendenprotesten in Griechenland

    Seit Beginn des Jahres setzen sich die Studierenden in Griechenland in einer großen Protestbewegung gegen die Einführung privater Universitäten ein. Wir haben mit Ionas Aggelis gesprochen. Er studiert Ingenieurswesen an der Universität West-Attika in Athen und ist Mitglied der Jugend der Kommunistischen Befreiung (vKA).

    Danke, dass du dir Zeit für dieses Interview genommen hast. Könntest du deine Organisation unseren Leser:innen kurz vorstellen?

    Danke für die Möglichkeit, unseren Kampf in eurer Zeitung zu teilen. Ich bin Teil der vKA, einer unabhängigen Jugendorganisation der antikapitalistischen, revolutionären und kommunistischen Linken. Unsere weltanschaulichen Wurzeln liegen im militanten, revolutionären Marxismus. Den Arbeiter:innen, Studierenden und vom Kapitalismus Beeinträchtigten wollen wir diese Ideen nahe bringen und zum Kampf gegen das System beitragen. Wir beteiligen uns an jedem Kampf für die Verbesserung des Lebensstandards der großen Mehrheit – durch Basisgewerkschaften, Opposition gegen die degenerierten bürokratischen Gewerkschaften und ihre Führung, Hineinwirken in die Studierendenbewegung und den Zusammenhalt mit Migrant:innen, Arbeitslosen, LGBTQI+-Personen und allen Unterdrücken. Nur durch eine Kampfgemeinschaft können wir erfolgreich sein. Deshalb wollen wir sie in den Betrieben, Lehreinrichtungen und in der Nachbarschaft schaffen und dort eingreifen.

    In den letzten Wochen sind überall in Griechenland Studierendenproteste ausgebrochen. Wie ist es dazu gekommen und worum geht es den Demonstrierenden?

    In den letzten Jahrzehnten haben alle Regierungen versucht, private Universitäten einzuführen, obwohl Artikel 16 der griechischen Verfassung davon ausgeht, dass die höhere Bildung ausschließlich Aufgabe öffentlicher Körperschaften ist. Nach ihrem Wahlsieg will die unterdrückerische Regierung der Nea Demokratia die Verfassung mit einem einfachen Gesetz umgehen. Das ist ein Beispiel für den parlamentarischen Totalitarismus, mit dem uns die EU und die mit dem Kapital verstrickte Regierung seit dem Memorandum gebracht haben. Insbesondere seit der Nachkrisenzeit wollen sie in die private Bildung investieren. Für die Studierenden ist dieses Gesetz ein „casus belli” („Kriegsauslöser”, Anm. d. Red.), und wir werden es bekämpfen, bis die Privatisierung der Hochschulbildung endgültig vom Tisch ist.

    3 Dinge, die wir aus den Studierendenprotesten in Griechenland lernen können

    Der Versuch, die Gründung von Privat-Universitäten in Griechenland zu erlauben, kommt nicht aus dem Nichts. Kürzungen im öffentlichen Bereich haben die Universitäten in den letzten Jahren schon funktionsunfähig gemacht, Infrastruktur und Belegschaft reichen nicht. Wenn wir sagen, dass Hörsäle so voll sind, dass Studierende aus den Fenstern fallen, ist das keine Übertreibung. Neben der finanziellen Not der Universitäten gibt es außerdem Zugangsbeschränkungen in Form harter Prüfungen. Das ebnet den Privathochschulen den Weg, für die man eben nur einen Beitrag zahlen muss. Außerdem können die öffentlichen Universitäten nicht mit der „Schicki-Micki”-Infrastruktur der Privathochschulen konkurrieren. Mehr haben diese aber auch nicht zu bieten, weil sie keine Bildung, sondern Abschlüsse für Zahlungswillige verteilen.

    Deshalb ist für uns der Kampf gegen Privathochschulen auch mit dem für eine bessere Ausstattung der öffentlichen Unis verknüpft. Es ist sehr wichtig, das öffentliche Bildungswesen zu verbessern und keinen Raum für privates Profitinteresse zu lassen.

    Es sind nicht die ersten Proteste der griechischen Studierenden- und Arbeiter:innenbewegung. Wie bewertet ihr sie im Vergleich zu anderen Bewegungen der letzten Jahre?

    Die Studierendenbewegung hat über die Jahre bereits Reformen stoppen können. Allerdings ist die aktuelle Bewegung die Bedeutendste, zumindest in den letzten zehn Jahren. Selbst die optimistischsten Erwartungen konnten wir übertreffen: 30.000 Teilnehmer:innen bei einer Studierendendemonstration am 8. Februar in Athen, 1.000 Studierende in Vollversammlungen, in denen es 200 zur Beschlussfähigkeit braucht. Das zeigt auch, dass wir uns noch in den Frühphasen der Kämpfe befinden und die großen Siege noch kommen werden. Seit fünf Wochen sind wir auf den Straßen und entschlossen, die Kämpfe zuzuspitzen – nicht nur, bis das Gesetz weg ist, sondern bis wir die Bildung bekommen, die wir verdienen.

    In Deutschland gibt es keine vergleichbar starke Studierenden- und Arbeiter:innenbewegung. Könntet ihr vielleicht etwas über die großen und dauerhaften Erfolge in eurem Land berichten und wie ihr sie erkämpfen konntet?

    Seitdem der Aufstand an der Technischen Universität in Athen im November 1973 die Papadopoulos-Militärdiktatur gestürzt hat, stehen die Studierenden an der Spitze der sozialen und der Klassenkämpfe. Dieser Aufstand hat die Tradition einer militanten Studierendenbewegung begründet. Seine Flamme konnte bis heute nicht ausgelöscht werden und inspiriert die Studierenden in ihren Kämpfen auch heute noch. Die Studierendenbewegung ist heute imstande, unterdrückerischen Regierungen die Stirn zu bieten und allgemeine Aufstände auszulösen. Diese Angst treibt die herrschende Klasse auch zu ihrer wütenden Reaktion auf unsere Kämpfe.

    Einer unserer letzten Erfolge war, dass wir die Einführung einer Polizeieinheit für die Universitäten verhindern konnten. Die sollte die Uni beschützen, aber vor wem? Vor den Studierenden selbst, weil ihr Kampf eben als Bedrohung wahrgenommen wird.

    Wir haben das nicht zugelassen. Jeden Tag sind wir auf die Straßen gegangen, um den Unterdrückungsorganen den Zugang zum Campus mit allen nötigen Mitteln zu verweigern. Der Versuch der Regierung lief ins Leere, und sie musste die Einheit auflösen, bevor sie wirklich aufgestellt werden konnte.

    Griechenland: Studierende protestieren weiter gegen die Einführung von Privat-Universitäten

    Eine andere wichtige Erfahrung war der Kampf gegen die Verfassungsungsrevision von 2006/07, die auch die Einführung von Privat-Unis erlauben sollte – damals aber tatsächlich durch eine Änderung der Verfassung. Die will man ja derzeit umgehen, das Vorhaben von damals hat man aber nicht aufgegeben.

    Neben diesen großen Beispielen hat die Studierendenbewegung zahllose Siege in ganz Griechenland errungen. Sie hat gegen Kürzungen bei der Studierendenunterstützung gekämpft oder hat kostenlose Unterkunft und Essen für bedürftige Studierende durchgesetzt. All das wäre nie passiert ohne gezielte Anstrengungen, die Studierendengewerkschaften und ihre demokratischen Strukturen zu stärken.

    Zurück zu den aktuellen Protesten: Wie könnten sie sich weiter entwickeln und was wollt ihr in den nächsten Wochen erreichen?

    Die Aussichten für uns sind gut. Auch unabhängig von ihrem Ausgang werden die Proteste definitiv Spuren hinterlassen. Ende Februar soll über das Gesetz abgestimmt werden. Ich glaube, dass das unserer Bewegung einen klaren Fahrplan setzt: Wir brauchen eine Zuspitzung der Kämpfe und eine stärkere Verbindung zur Arbeiter:innenbewegung und den Bäuer:innenprotesten. Es ist entscheidend, dass die Bewegung Fortschritte macht und entschlossenere Kampfformen in ihr Platz finden, um auch echten Druck auf die Regierung machen zu können. Last but not least müssen die besetzten Unis aktiver werden: Die Koordinierungskomitees müssen zu Aktionen aufrufen, die die Studierendenschaft vereinen.

    Was können wir in Deutschland tun, um eure Bewegung zu unterstützen?

    Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich mich im Namen der vKA für die Initiative bedanken, die das Studierendenkollektiv an der Universität Leipzig ergriffen hat, um unsere Sache zu unterstützen. Aktionen wie diese helfen, auf unsere Sache aufmerksam zu machen und unser Engagement für kostenlose, öffentliche Bildung auch in Deutschland zu verbreiten. Die internationale Solidarität ist unsere Antwort auf alle Probleme, die der Kapitalismus verursacht. Wir brauchen jede Stimme in Europa, die gegen die Verbrechen protestiert, die am öffentlichen Bildungswesen in Griechenland verübt werden.

    Das kann man machen, indem man an den Universitäten und auf den Plätzen Texte verteilt, die unsere Situation erklären, indem man unseren Kampf mit anderen Organisationen teilt, die auch im Bildungsbereich aktiv sind und natürlich, indem man Demonstrationen an den Orten organisiert, wo es Hochschulen oder eine griechische Botschaft gibt. Aktuell wirken wir auch darauf hin, unseren Kampf zu einem Aktionstag hin zu entwickeln, an dem es in jedem Land Demonstrationen gibt, die unsere Sache unterstützen.

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