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    Verfassungsschutzbericht 2023 – der Feind steht links

    Wie jedes Jahr ist der neue Verfassungsschutzbericht für das Vorjahr erschienen. Besonders im Fokus stehen diesmal der Genozid in Palästina sowie die Klimabewegung. Es folgen Repressionen gegen Links und faules Geschwafel gegen Rechts. – Ein Kommentar von Phillipp Nazarenko

    Jährlich grüßt der Verfassungsschutz! In seiner regelmäßig erscheinenden Veröffentlichung zeigt der Inlandsgeheimdienst, worauf der besondere Fokus des deutschen Staats im eigenen Land liegt. Regelmäßig wiederkehrende Themen sind „Rechtsextremismus“, „Linksextremismus“, „auslandsbezogener Extremismus“, Islamismus sowie die Spionagetätigkeiten ausländischer Geheimdienste. „Reichsbürger und Selbstverwalter“ – eigentlich klassischer Teil der faschistischen Bewegung – werden gesondert gezählt. Auch die sogenannte „politisch motivierte Kriminalität“ bekommt ein eigenes Kapitel.

    Doch was ist der Hintergrund des Berichts? Es wäre wohl ziemlich naiv anzunehmen, der Geheimdienst würde hier seine weitreichenden Beobachtungen der Öffentlichkeit transparent darlegen. Besonders die weithin bekannte und beispielsweise im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex bereits belegte Involvierung des Verfassungsschutzes selbst in der faschistischen Bewegung wird hier bewusst ausgeblendet.

    Veröffentlichte NSU-Akten: Der Verfassungsschutz hat nicht “versagt”, er hat seine Arbeit gemacht

    So wie jedes Jahr verfolgt der Bericht eher propagandistische Ziele. Staatliche und private Medien, aber auch die politische Forschung, benutzen den Verfassungsschutzbericht gerne als vermeintlich seriöse Quelle. Auch bürgerliche Parteien und Stiftungen können sich auf die hier als Fakten dargestellte staatstragende Meinung berufen. Die Diffamierung von politischen Kräften, die dem kapitalistischen System in Deutschland feindlich gegenüber stehen, kann sicher als weitere Aufgabe des Berichts begriffen werden.

    Die Vermengung von „links“ und „rechts“ unter bedrohlichen – aber vagen – Kampfbegriffen wie „Radikale“ und „Extremisten“, sowie der Vorwurf der „Deligitimierung” der BRD, sind hier beliebte Mittel, um Revolutionär:innen auf dieselbe Stufe zu stellen wie Faschist:innen. Dass aber eben letztere dem Verfassungsschutz viel näher stehen als dieser öffentlich zugeben mag, lässt sich alleine schon an seinem letzten Präsidenten, dem Rechtsaußen-Politiker Hans-Georg Maaßen, nachweisen.

    Deutsche Staatsräson und Palästina

    Selbstverständlich durfte dieses Jahr der Vernichtungskrieg Israels gegen die Palästinenser:innen nicht unerwähnt bleiben. Jedoch überrascht es nicht, dass man hier noch mehr vom gewohnten Geschwafel bekommt: Die in deutschen Staats- und Privatmedien dominanten Narrative einer unverbrüchlichen Unterstützung Israels und seiner Gewalttaten ist auch hier leitendes Motiv.

    Besondere Besorgnis erregt bei den Geheimdienstler:innen die hohe Popularität der pro-palästinensischen Bewegung in Deutschland, besonders unter den Migrant:innen. So wird auch die Teilnahme von säkularen und revolutionär orientierten Organisationen wie z.B. der sozialistischen Jugendorganisation „Young Struggle” als negativ gewertet und mit den Beeinflussungsversuchen türkischer und islamistischer Faschist:innen auf eine Stufe gestellt. Besonders brüstet sich der Staat hier mit dem erfolgten Verbot des palästinensischen Gefangenenhilfsnetzwerks „Samidoun”, das aufgrund seiner ideologischen Nähe zur vormals revolutionären „PFLP” („Volksfront zur Befreiung Palästinas“) als besonders wichtiger Feind deutsch-israelischer Staatsräson wahrgenommen wurde.

    Bei den Leser:innen des Berichts soll dabei vor allem eines hängen bleiben: Israel führe keinen Genozid durch, sondern verteidige lediglich seine legitimen und gefälligst nicht zu hinterfragenden Interessen. Alle Palästinenser:innen und diejenigen, die sich mit ihnen und ihrem Befreiungskampf solidarisieren, seien primär von Antisemitismus angetrieben und gehören bekämpft. Und dieser „mutigen“ Aufgabe stellt sich der deutsche Staat mit Bravour!

    Sogenannter „Linxextremismus“ als erklärtes Feindbild

    Besonders revolutionäre, kommunistische und antifaschistische Strukturen und Organisationen sind dem Verfassungsschutz ein Dorn im Auge. Kein Wunder, stellen sie sich quasi schon per Definition gegen die in Deutschland herrschende kapitalistisch-patriarchale Ordnung. Wer sich in der BRD mit dem militanten Kampf gegen Faschismus, Kolonialismus, Imperialismus oder dergleichen solidarisiert, der kann sicher sein: der deutsche Staat sieht ihn oder sie als Feind.

    Neben dem bereits erwähnten Versuch, alle linken antizionistischen Kräfte generell unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen (besonders wenn sie migrantisch sind), bildet ein weiteres Hauptthema der sogenannte „Versuch von Linksextremisten, demokratische Diskurse und Bewegungen zu unterwandern“. Hier sind insbesondere die Klimabewegung sowie die Massenproteste gegen die AfD zu erwähnen.

    Relativ richtig erkennen die Verfassungsschützer:innen, dass Themen wie der kapitalismusgemachte Klimawandel und seine katastrophalen Folgen, aber auch die Bekämpfung des deutschen Faschismus, anschlussfähig für revolutionäre linke Perspektiven sind. Ein legitimes und ehrliches Interesse an den Themen wird den sogenannten „Linksextremisten“ grundsätzlich aberkannt. Besonders die zunehmende Erkenntnis in der Klimabewegung, dass der Kapitalismus nicht über simple Reformen oder gar durch das Wählen vermeintlich ökologischer Parteien besiegt werden kann, lässt den Staatsschutz schaudern.

    Aber wendet sich der Verfassungsschutz nicht auch gegen „Rechtsextremismus“?

    Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als ob der Verfassungsschutz hier auch Faschist:innen verschiedener Couleur (Nazis, Reichsbürger:innen, Graue Wölfe, Islamist:innen) ins Visier nehmen würde – doch das täuscht: Die bereits erwähnte tiefe Verstrickung mit der deutschen faschistischen Bewegung ist dem Geheimdienst weitgehend nachgewiesen.

    Auch zeigt es eine besondere Art von Arroganz und Ignoranz, wenn Innenministerin Nancy Faeser (SPD) darüber klagt, dass faschistische Kräfte Migrant:innen als Sündenböcke missbrauchten und gegen sie hetzen würden. Denn sind es nicht ihre Partei und ihre Regierung, die konsequent tausende schutzsuchende Menschen abschieben, die die Rechte von geflüchteten und Migrant:innen zunehmend weiter beschränken und niemals relevante Anstrengungen unternehmen werden, um gegen die stetig wachsende und gewalttätige faschistische Bewegung vorzugehen?

    Die vermeintliche Kritik gegen Rechts bleibt also, wie schon so oft, folgenlose Augenwischerei. Kein Wunder: am Ende ist der Staatsschutz eben zum Schützen des Staats da: diejenigen, die gegen die kapitalistischen Zustände rebellieren, gilt es zu unterdrücken – diejenigen, die das System in all seiner alltäglichen Barbarei unangetastet lassen, werden gedeckt und gefördert.

    • Sächsischer Perspektiveautor seit 2022 mit slawisch-jüdischem Migrationshintergrund. Geopolitik, deutsche Geschichte und der palästinensische Befreiungskampf Schwerpunkte, der Mops das Lieblingstier.

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