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      NRW-Wahlbeteiligung auf historischem Tiefpunkt – Koalitionsgeschacher steht bevor

      Bei der Landtagswahl in NRW sind am Sonntag nur 55,5 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gegangen – so wenige Menschen wie noch nie. Statt über Misstrauen in die Demokratie zu sprechen, finden schon jetzt diverse Farbenspiele mit möglichen Koalitionen zwischen Wahlgewinner CDU und Grünen sowie Wahlverlierern FDP und SPD statt. Die AfD schafft es nur knapp in den Landtag, die Linke ist in existenzieller Krise.

      Die Zahl des Wahlsonntags in NRW ist 55,5 Prozent. Nur 7,2 Millionen der knapp 13 Millionen wahlberechtigten Menschen sind am Sonntag zur Wahl gegangen. Das ist noch weniger als beim bisherigen Tiefpunkt im Jahr 2000 und damit die schlechteste Wahlbeteiligung seit in NRW Landtagswahlen nach dem zweiten Weltkrieg stattgefunden haben. Noch einmal rund ein Prozent haben ungültig gewählt.

      Für die Tagesschau ist dieses Misstrauensvotum in die Bedeutung von Wahlen noch nicht mal eine eigene Präsentations-Folie wert. In den 20-Uhr-Nachrichten wird die niedrige Wahlbeteiligung nur im Übergang von den amtlichen Endergebnissen zu möglichen Koalitionen erwähnt. Darum drehte sich auch bei den politischen Parteien die Auswertung an diesem Abend.

      CDU ist Wahlgewinner, FDP stürzt ab

      Die bisher regierende CDU konnte ihr Wahlergebnis um 2,8 Prozentpunkte auf 35,7 Prozent steigern. Der Partei war es gelungen, nach dem Wahldesaster bei der Bundestagswahl den Übergang vom CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet zum stramm konsverativen Hendrik Wüst relativ geräuschlos zu organisieren. Zudem hatte ihn die Parteiführung immer wieder öffentlich präsentiert, zuletzt im Zwist zwischen Ländern und Bund in der Corona-Politik. Hinzu kommt, dass die CDU gerade bei Älteren weiterhin beliebt ist – eine Gruppe die traditionell viel zur Wahl geht.

      Ihr bisheriger Koalitionspartner in NRW, die rechtsliberale FDP verlor derweil fast die Hälfte ihrer Stimmen und schaffte mit 5,9 Prozent nur knapp den Einzug in den Landtag. Die FDP-Führung gab sich regional wie bundesweit zerknirscht – man habe die „Erfolge“ der Landesregierung nicht für sich verbuchen können. Bürgerliche Kommentatoren erwarten nun, dass sich die FDP in der bundesweiten Ampelkoalition versuchen könnte, stärker gegenüber SPD und Grünen zu profilieren und offener Koalitionsstreitigkeiten auszutragen.

      SPD auf historischem Tief, Grüne verdreifachen

      Die SPD erhielt in ihrer ehemaligen Hochburg NRW ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Rund fünf Prozentpunkte verlor sie und kam auf nur noch 26,7 Prozent. Im Wahlkampf hatte sie zum einen auf den Bundeskanzler als Zugpferd gesetzt und zum anderen auf traditionalistische Wahlplakate wie „Hier wählen wir SPD“. Offenbar wird dies in vielen Arbeiter:innenvierteln nicht mehr so gesehen.

      In sozialen Medien machte sich derweil Spott über den SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert breit. Anstatt das historisch schlechte Ergebnis anzusprechen ordnete er die Wahl so ein, dass die CDU-FDP-Koalition abgewählt worden sei, und die Menschen sich in Wahlumfragen zuvor Rot-Grün mehrheitlich gewünscht hätten – obwohl dies die aktuellen Wahlergebnisse jetzt gar nicht hergeben.

      Die Grünen gelten derweil als großer Wahlgewinner. Sie konnten ihr Wahlergebnis von 6,4 Prozent bei der letzten Wahl auf 18,2 Prozent bei diesem Mal fast verdreifachen. Wie Zahlen zeigen, hat im Wahlkampf nicht die weitgehend unbekannte Spitzenkandidatin Mona Neubaur eine Rolle gespielt, sondern insbesondere die Grünen-Bundespolitik. Ihr Gesicht sind insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock.

      Ihr Kurs der Lieferung schwerer Waffen im Stellvertreterkrieg um die Ukraine wird dabei insbesondere von den Wähler:innen der ehemaligen Pazifistenpartei mitgetragen. 80 Prozent der Grünen-Wählenden befürworten Waffenlieferungen an die Ukraine – so viele wie bei keiner anderen Partei. Auch bei Wähler:innen mit schlechter wirtschaftlicher Situation sind die Grünen ähnlich unattraktiv wie die FDP.

      AfD nur knapp im Landtag, Linke in existenzieller Krise

      Die AfD schaffte derweil nur knapp den Einzug in den Landtag. Gegenüber ihrem Ergebnis von 7,4 Prozent bei der letzten Wahl erreichte sie dieses mal nur 5,4 Prozent der abgegebenen Stimmen. Es ist die zweite Wahlniederlage nachdem sie zuletzt in Schleswig-Holstein aus dem Landtag geflogen war.

      Laut ZDF sei in NRW ihr Ergebnis insbesondere unter „Angestellten, Selbstständigen und Rentnern“ schlecht. Ihre Stimmen kämen in NRW fast nur aus der „Arbeiterschaft“, wo sie auf 17 Prozent gekommen sei. Innerhalb der Partei schwelen derweil die internen Kämpfe weiter. Nachdem der rechte Politiker Meuthen kürzlich abgesägt worden war, drängen nun die ganz offen faschistischen Kräfte auch an die Führungsspitze.

      Die Linkspartei droht derweil in der – zumindest für die bürgerliche Polit-Landschaft – Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Schon bei der letzten Wahl hatte sie knapp den Einzug in den Landtag nicht geschafft, nun erreichte sie gerade mal 2,1 Prozent der Stimmen. Landessprecherin Nina Eumann erklärte dazu: „Wir stehen vor einer existenziellen Umbruchsituation, vor einem wichtigen Bundesparteitag, mitten in einer Strategie- und Strukturdebatte.“

      Erst vor kurzem war die Linke in eine offene Führungskrise geraten als eine Vorsitzende zurückgetreten war. Im Juni soll ein komplett neuer Vorstand gewählt werden. Ob die Partei, die in zentralen politischen Fragen wie der Pandemie, dem Krieg oder der Klimafrage oft vollständig entgegengesetzte Positionen in sich vereint, sich mit einer internen Neuwahl neu aufstellen kann, bleibt offen.

      Bei den „Sonstigen“ Parteien erhielten die Satirepartei „Partei“ 1,0 Prozent der Stimmen, „die Basis“ 0,8 Prozent, die „Freien Wähler“ 0,7 Prozent, „Volt“ 0,6 Prozent, die „Piraten“ 0,3 Prozent. Linke Parteien wie die MLPD und DKP lagen etwa gleichauf mit jeweils etwas mehr als 3000 Zweitstimmen (0,0%).

      Koalitionsgeschacher steht bevor

      In bürgerlichen Politikbetrieb stehen nun die Hinterzimmergespräche für Koalitionsverhandlungen bevor. Rein rechnerisch möglich sind für eine Regierungsmehrheit:

      • eine CDU-Grüne-Koaltion
      • Eine “Ampel-Koalition” aus SPD, FDP und Grüne
      • Eine “große Koalition” aus SPD und CDU

      ARD-Kommentator Jörg Schönenborn nannte jedoch bereits nur „zwei Koalitionsmöglichkeiten“ nämlich eine schwarz-grüne und eine Ampel-Koalition. Zu Unbeliebt sind in der Bevölkerung schwarz-rote Koalitionen.

      Faktisch werden damit die Grünen zum „Königsmacher“. Entweder sie treten als Juniorpartner mit der CDU in eine Koalition und dürften damit ihren Rechtsschwenk noch weiter fortsetzen. Insbesondere die Grünen-Kritik am in NRW eingeführten neuen Versammlungsgesetz unter FDP und CDU dürfte dann schnell in der Versenkung verschwenden. Oder aber sie setzt die Ampel-Koalition der Bundesebene auch in NRW fort.

      Klar ist jedoch, dass sich die Parteien schnell zusammenraufen dürften. In den grundsätzlichen Fragen sind sich alle vier zu Koalitionsverhandlungen bereitstehenden Parteien weitgehend einig.

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