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    Chemieindustrie: Freier Tag extra für Gewerkschaftsmitglieder als Belohnung für den Verzicht auf Streiks

    In den aktuellen Tarifverhandlungen der Chemieindustrie kam es zu einer raschen Einigung. Doch die erreichte Lohnerhöhung schwindet in Zeiten von Preissteigerung und Inflation dahin. Außerdem sollen Gewerkschaftsmitglieder in der Industrie fortan einen freien Tag extra genießen dürfen – was außergewerkschaftliche Arbeitskämpfe erschweren wird.

    Bereits vor dem Ablauf der „Friedenspflicht“ einigte sich die „Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie” (IGBCE) mit den Kapitalist:innen der Chemieindustrie auf einen neuen Tarifvertrag. Eine Neuheit: Für die Mitglieder der Gewerkschaft gibt es als Bonus mindestens einen freien Tag pro Jahr extra.

    Reallohnverlust statt fette Steigerung

    Die IGBCE kam den Wünschen der Industrie auf eine schnelle Einigung ohne jegliche Streiks nach und willigte vor dem Ablauf der „Friedenspflicht”, also bevor überhaupt Warnstreiks möglich gewesen wären, in die Angebote der Kapitalseite ein. Als Ergebnis wurde dabei eine Lohnerhöhung von 6,85% innerhalb des nächsten Jahres für die rund 550.000 Arbeiter:innen in der Chemie- und Pharmaindustrie erreicht.

    Die 6,85% Lohnerhöhung werden den Chemiearbeiter:innen von beiden Seiten als gutes Ergebnis verkauft. Weil aber bereits die Abschlüsse 2020 und 2022 schwach waren, wird zum Ende der Tariflaufzeit Anfang 2026 über die Jahre gerechnet eine Reallohnsenkung von mehreren Prozent stehen. Ein grober Überschlag reicht, um das zu verdeutlichen: Mit durchschnittlichen Inflationsraten von 6,9% (2022) und 5,9% (2023) sowie der erwarteten Inflationsrrate von durchschnittlich weiterhin um rund 2% in 2024 und 2025 schmelzen die Lohnerhöhungen von 6,5% im Oktober 2022, die Einmalzahlung von 3.000 Euro ebenfalls in 2022 sowie die jetzt verhandelten Erhöhungen von wieder 6,85% über die nächsten 20 Monate schnell dahin.

    Das Kapital weiß die IGBCE zu schätzen

    Als besonderen Bonus für eingetragene und beitragszahlende Gewerkschaftsmitglieder wurde außerdem ein freier Tag extra pro Jahr ausgehandelt. Für langjährige Mitglieder stehen sogar zwei oder mehr Tage Extra-Urlaub in Aussicht. IGBCE-Chef Oliver Heinrich bezeichnete diesen Deal als „neues Kapital in der Tarifpolitik”.

    Tatsächlich stellt diese Sonderbehandlung von Gewerkschaftsmitgliedern ein Novum dar – ein Ausdruck von besonderer Liebe für das ehrenamtliche Engagement der Arbeiter:innen, die sich in der IGBCE organisieren, ist der freie Tag allerdings wohl kaum: Vielmehr haben sowohl die Gewerkschaft als auch die Kapitalseite der Chemieindustrie etwas von dem in Aussicht stehenden Bonus: Der IGBCE winkt ein Zulauf von Mitgliedern und Beiträgen sowie ein Ausbau ihrer Macht in den Betrieben – außergewerkschaftlicher Protest, so die Rechnung, lohnt sich dann eben noch weniger.

    Für die Kapitalist:innen bleibt es im Zuge dessen weiterhin angenehm: Sie stärken mit der IGBCE eine Gewerkschaft, die aktiv daran mitarbeitet, Streiks zu verhindern, und die als selbsternannter „Chemie-Sozialpartner“ das Wohl der Industriebosse im Blick behält. Während andere Gewerkschaften wie die GdL zumindest vorgemacht haben, wie mit vehementerem Arbeitskampf auch bessere Kompromisse durchgedrückt werden können, schafft die IGBCE genau die angenehmen Bedingungen, die sich die Chemiekapitalist:innen in Deutschland immer wieder wünschen.

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