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    Wahlen in Frankreich: RN rückt näher an Regierungsverantwortung

    Bei der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich konnten sowohl die Rechten als auch das sozialdemokratische Lager gewinnen. Wie ist das Wahlergebnis einzuordnen?

    Am Sonntag hat in Frankreich die erste Runde der Wahlen zur Nationalversammlung stattgefunden. Diese hatte Präsident Emmanuel Macron drei Wochen zuvor angesetzt, nachdem sein Wahlbündnis bei der EU-Wahl nur 14,6 Prozent der Stimmen für sich verbuchen konnte. Der rechte „Rassemblement National” (RN) ging dagegen mit 31,37 Prozent als klarer Sieger aus der Wahl hervor.

    Macrons Kalkül hinter seiner Entscheidung dürfte gewesen sein, den französischen Wähler:innen eine „historische Entscheidung“ gegen rechts an der Wahlurne aufzuzwingen und dabei selbst in der ersten Reihe gegen Marine Le Pens Rassemblement National zu stehen.

    Rassemblement National weiter im Aufwind

    Offenbar entwickelte sich diese Idee nun aber zum Bumerang. Nicht nur erreichte der RN erneut über 30 Prozent der Stimmen (33 – 34,2 Prozent), auch das binnen weniger Wochen zusammengezimmerte sozialdemokratische Wahlbündnis „Nouveau Front Populaire“ („Neue Volksfront”) erreichte ersten Schätzungen zufolge zwischen 28,1 und 29,1 Prozent der Stimmen. Macrons Wahlbündnis musste sich mit ungefähr 20 Prozent der Stimmen zufrieden geben. Mit ungefähr 67 Prozent lag die Wahlbeteiligung für französische Verhältnisse relativ hoch.

    Der Ausgang der Wahlen ist dabei jedoch weiterhin offen. Gewählt wird in Frankreich nämlich in jedem der 577 Wahlkreise jeweils ein:e Abgeordnete:r für die Nationalversammlung. In der ersten Wahlrunde setzt sich hier durch, wer eine absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen kann. Kann keine:r der Kandidat:innen das erreichen, treten in der zweiten Wahlrunde noch einmal alle Kandidat:innen an, die mindestens 12,5 Prozent der Stimmen erhalten hatten, mindestens aber die zwei Bestplatzierten.

    Die Nationalversammlung hat in Frankreich allerdings nicht den gleichen Stellenwert in der bürgerlichen Politik wie der Bundestag in Deutschland. So hat der Präsident größere Befugnisse, kann etwa über Auslandseinsätze zunächst allein entscheiden und in Krisensituationen am Parlament vorbei regieren.

    Ausweglose Lage für Macron

    Gibt es eine Parlamentsmehrheit gegen den Präsidenten, spricht man von einer „Cohabitation“ – einem „Zusammenleben” von zwei entgegengesetzten politischen Lagern in Form einer semipräsidentiellen Regierung. Diese droht nun ganz konkret, sollte der RN die absolute Mehrheit erreichen. Dann würde die ultrarechte Partei mit Jordan Bardella wahrscheinlich auch ihren Vorsitzenden als Premierminister nominieren. Es wäre davon auszugehen, dass Bardella und Macron einander in erster Linie Kompetenzen absprechen und sich gegenseitig blockieren würden.

    Bis zum letzten Atemzug: Arbeiter:innen in Frankreich wehren sich gegen die Ausbeutung im Alter

    Andererseits scheinen sich das liberale Lager um Macron und die verschiedenen sozialdemokratischen Parteien in der „Neuen Volksfront“ darauf geeinigt zu haben, drittplatzierte Kandidat:innen zurückzuziehen und in der zweiten Runde gemeinsam anzutreten.

    In einem Artikel der deutschen kapitalfreundlichen Wirtschaftswoche mit dem Titel „Es wird der Anfang von Macrons Ende sein“ kommen verschiedene Ökonomen zu Wort, die das sich abzeichnende Ergebnis der Wahlen aus Sicht des deutschen Kapitals beurteilen. Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl werde es keine neuen Initiativen aus Paris geben, danach drohe Frankreich zum „Blockadefaktor“ innerhalb der EU zu werden, vergleichbar mit Viktor Orbans Ungarn oder Melonis Italien.

    Ebenso sei nicht damit zu rechnen, dass Macrons Sparpakete weiterhin das Parlament durchlaufen würden, so Ulrich Hege von der „Toulouse School of Economics”. Gleichzeitig könnte eine Koalition mit Macron für die sozialdemokratische „Neue Volksfront” auch eine willkommene Entschuldigung sein, die eigenen Versprechen (Absenkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre, Anhebung der Steuerlast für Reiche, Wiedereinführung einer gleitenden Lohnskala etc.) wieder zu verraten. So wie es das Bündnis im Wahlkampf etwa von Dominique Strauss-Kahn, dem ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützt, der in aller Welt für neokoloniale Sparpakete verantwortlich zeichnet.

    Klassenkämpferische Organisationen melden deshalb auch Zweifel an der Glaubwürdigkeit der „Neuen Volksfront” an und rufen eher dazu auf, die Wahlen zu boykottieren, anstatt in einer vermeintlichen Entscheidungsschlacht gegen den Faschismus an der Wahlurne für ein anderes politisches Lager des Kapitals zu stimmen.

    RN auf Regierungskurs

    Ein anderer Grund dafür dürfte auch sein, dass es fraglich ist, ob das Rassemblement National tatsächlich als erste Amtshandlung die Demokratie abschaffen würde. Stattdessen ist eher davon auszugehen, dass es sich in Richtung der Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni entwickelt, an der Einbindung in EU und NATO festhält und einen langfristigen autoritären Staatsumbau betreibt, wie er schon unter Macron begonnen wurde. In neurechten Kreisen in Deutschland wird dieses Phänomen schon als „Melonisierung“ beschrieben.

    Dahinter steckt eine Strategie der „Entdämonisierung“, bei der bestimmte radikal-faschistische Positionen verworfen werden – etwa der Aufbau eines eigenen europäischen Machtblocks jenseits von den USA auf der einen und China oder Russland auf der anderen Seite – um in Regierungsverantwortung eine schärfere Abschiebepolitik, wirtschaftliche Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse, Gesetzesverschärfungen im Bereich der „inneren Sicherheit“ und anderes durchzudrücken.

    Wie richten sich die rechten Parteien Europas geopolitisch aus?

    Dass das RN diesen Kurs eingeschlagen hat, hat sich zuletzt in den Diskussionen um den AfD-Spitzenkandidaten bei der EU-Wahl Maximilian Krah gezeigt. Das RN brach offen mit der AfD, die keine Orientierung an den USA verfolgt, um künftig als noch seriösere Option für die Regierung wahrgenommen zu werden. Beispielsweise dürfte eine Koalition mit den konservativen Republikanern so einfacher werden. Um eine realistische Regierungsoption für das französische Kapital zu werden, hat man sich auch vom Investmentbanker François Durvye in programmatischen Fragen beraten lassen, um „die Finanzmärkte nicht zu verunsichern“, wie die Wirtschaftswoche zu berichten weiß.

    Die Optionen, die nach der Wahl in Frankreich auf dem Tisch liegen, haben dabei aber eines gemeinsam: Die Arbeiter:innenklasse wird nicht profitieren und wird das politische Geschehen so oder so durch Druck von unten beeinflussen müssen.

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