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    Der deutsche Einheitsbrei

    In seiner Regierungserklärung kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz unter anderem an, straffällige Geflüchtete wie den Attentäter aus Mannheim künftig schneller abzuschieben. Ebenfalls solle das Abfeuern deutscher Waffen auf russisches Gebiet künftig erlaubt werden. In der Aussprache versuchten alle Parteien, ihre eigene Abschiebepolitik als die konsequenteste darzustellen. Die Debatte zeigt: Alle Parteien handeln im Interesse des deutschen Imperialismus. Außer Repression und hohlen Phrasen haben sie den Menschen nichts zu bieten. – Ein Kommentar von Jens Ackerhof

    Am 6. Juni gab Bundeskanzler Olaf Scholz eine Regierungserklärung zur Sicherheitslage Deutschlands ab. Dabei ging es viel um den jüngsten Messerangriff auf den Faschisten Michael Stürzenberger, bei dem ein Polizist getötet wurde, und um die Frage, wie der deutsche Staat reagieren solle. Scholz und die folgenden Redner:innen malten dabei das Bild eines freien und friedlichen Deutschlands, das von außen angegriffen wird. „Wer unsere Freiheit angreift und unseren Frieden stört, der hat mich, der hat die Bundesregierung, und der hat unseren Rechtsstaat als seinen entschiedenen Gegner“, so Scholz. Als hätte er sich eine Scheibe vom „war on terror“ des Ex-US-Präsidenten George W. Bush abgeschnitten, verkündigte Scholz auch: „Terror sagen wir den Kampf an“.

    Wie soll dieser Kampf gegen den Terror aussehen? Abschiebungen scheinen für Scholz und die anderen Politiker:innen ein Hauptmittel zu sein. Das Bundesinnenministerium arbeite bereits daran, Abschiebungen nach Afghanistan zu ermöglichen, die nach der Übernahme der fundamentalistischen Taliban in Afghanistan vorzeitig ausgesetzt wurden. Rigorosere Abschiebungen soll es nicht nur für Gewalttaten, sondern auch Äußerungen geben: „Wer Terrorismus verherrlicht, wendet sich gegen alle unsere Werte und gehört auch abgeschoben“.

    Die Parteien des Bundestags – geeint im Abschiebewahn

    Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU, beklagt, dass nicht schon längst eine Regelung für Abschiebungen nach Afghanistan gefunden wurde. Dass dem Attentäter überhaupt ein Pflichtverteidiger gestellt wurde, kritisiert Merz als „Abschiebehindernis“. Man dürfe das Tor nicht weiter öffnen „für Menschen, die in unserem Land eigentlich keinen Platz haben dürfen.“

    So harte Worte fand Britta Haßelmann von den Grünen nicht, bekräftigte aber dennoch, dass straffällige Geflüchtete abgeschoben werden sollten. Verschärfungen der „Rückführregeln“ seien bereits beschlossen, und sie erwarte nun von den Ländern, dass diese umgesetzt werden. Über die von Scholz angekündigten Abschiebungen nach Afghanistan zeigte sich Haßelmann skeptisch, da sie nicht wisse, wie mit einem Terrorregime wie der Taliban verhandeln könne. Ihr Parteikollege Omid Nouripour sieht die „Barbaren“ der Taliban auch als das primäre Abschiebehindernis und macht einen kruden Vergleich: „Das ist ‘ne Terrororganisation, die Landstriche besetzt und Terror ausübt, das macht die Hamas in Gaza auch. Würden wir mit der Hamas reden wollen? Nein, ganz sicher nicht.“

    Christian Dürr von der FDP setzte neben Abschiebungen auch darauf, überhaupt erst weniger Menschen aufzunehmen und Deutschland zu einem weniger attraktiven Land für Geflüchtete zu machen. Er bemängelte, dass nach dem jetzigen Europarecht zu viele Geflüchtete in Deutschland unter „subsidiärem Schutz” stehen. Dies bezieht sich auf Menschen, die bei der Rückkehr in ihr Herkunftsland mit „ernsthaftem Schaden“ wie Folter oder Tod zu rechnen hätten. Ganz im neoliberalen Duktus forderte er von der Europakommission einen Vorschlag, „wie das Recht auf subsidiären Schutz auf ein angemessenes Maß reduziert werden kann“.

    Wenig überraschend kommen die härtesten Worte gegen Geflüchtete von der AfD und ihrer Vorsitzenden Alice Weidel. Sie spricht von „importiertem islamistischen Extremismus und seinen linksextremen Schlägern“ und fordert das Schließen der Grenzen. Doch hört man Weidels Hassrede im Kontext der zweistündigen Bundestagsdebatte, entsteht der Eindruck, dass es zwischen den Parteien lediglich graduelle und vor allem rhetorische Unterschiede in der Migrationspolitik gibt – keine einzige Stimme gegen Abschiebungen war in diesem deutschen Einheitsbrei zu hören.

    Repression statt Ursachenbekämpfung

    Dabei wäre es doch eine berechtigte Frage, wem mit mehr Abschiebungen denn überhaupt geholfen wäre? Straftaten von rechter Seite sind im letzten Jahr stark angestiegen, doch die meisten dieser Gewalttäter:innen lassen sich wohl ebenso wenig abschieben, wie gewalttätige Islamist:innen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Und eine Politik, die Muslim:innen unter den rassistischen Generalverdacht stellt, antisemitische Demokratiefeinde zu sein, wird einen Aufstieg des Fundamentalismus nicht verhindern können. Schließlich erreichen fundamentalistische Gruppen wie Hizb-ut-Tahrir auch dadurch Menschen, indem sie sich als Initiativen gegen antimuslimischen Rassismus darstellen.

    Über die Ursachen von Flucht, Krieg, und Terror ging es in der Debatte kaum, spielten sich doch alle als die besten Symptom-Bekämpfer:innen auf. Insbesondere Merz hatte eine lange innenpolitische Wunschliste: Social Media solle stärker überwacht werden, die Polizei und der Bundesnachrichtendienst sollen enger zusammenarbeiten, und IP-Adressen sollen endlich einfach von Ermittler:innen gespeichert werden dürfen. An dieser Stelle erwähnte er auch das kürzlich gefasste RAF-Mitglied Daniela Klette und bemängelte, dass sie nicht viel früher gefunden wurde. Scholz wiederum erinnerte an die Stärkung der Bundespolizei durch tausend zusätzliche Beamt:innen. Er nannte auch das Verbot der Hamas, des palästinensischen Gefangenennetzwerks Samidoun und der faschistischen Hammerskins als Beispiele für das harte Durchgreifen des deutschen Staats.

    „Solidarität“, „Spaltung“ und andere leere Phrasen

    Die Worte „Freiheit“ und „Frieden“ fielen besonders häufig, ebenso „Solidarität“, die in Deutschland angeblich herrsche. Scholz und Co. beteuerten immer wieder, dass Deutschland sich „nicht spalten“ ließe. Aber woher kommt denn nun Spaltung? Wer würde denn ein so freies Land wie Deutschland je angreifen wollen? „Diese Spaltung macht sich daran fest, dass es die gibt, die in Frieden und Freiheit leben wollen, und dass es diejenigen gibt, die auf Gewalt, Fanatismus und auf Extremismus setzen, und die müssen wir gemeinsam bekämpfen“, so der SPD-Politiker Lars Klingbeil. Die Mehrheit in diesem Land seien nicht „die Lauten und die Schreihälse, die mit dem Megaphon auf der Straße oder im Netz unterwegs sind, die die Straße aufstacheln“, sondern „die Leisen, und die Fleißigen“.

    Spaltung erscheint der herrschenden Politik als etwas, das eine Minderheit an Agitator:innen betreibt, um eine ansonsten genügsame und solidarische Bevölkerung aufstachelt. Auch wir Sozialist:innen reden oft von Spaltung. Wir sprechen von einer Gesellschaft, die in Klassen gespalten ist, die stärkste unter ihnen die herrschende Kapitalist:innenklasse, und die unterdrückte Arbeiter:innenklasse. Wir sprechen auch von der Spaltung der Arbeiter:innenklasse anhand von Ethnie, Geschlecht, Religion oder anderen Eigenschaften. Eine Spaltung, die verhindern soll, dass wir uns im Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung zusammenschließen. Unsere wichtigste Waffe im Kampf dagegen? Solidarität. Während diese Begriffe im Vokabular von Sozialist:innen tatsächliche Bedeutung haben, sind sie in den Mündern von bürgerlichen Politiker:innen lediglich hohle Phrasen, die über die Ungleichheit dieser Gesellschaft hinwegtäuschen sollen.

    Imperialismus – ein Weltsystem, kein Politikstil

    Doch in der Regierungsansprache ging es nicht nur um Abschiebungen. Scholz bekräftigte auch das Recht der Ukraine, deutsche Waffen über die Grenze auf russisches Gebiet zu schießen. Auch Merz zeigt sich kriegsbegeistert, rügt aber Scholz für seine „Zögerlichkeit“ in der Unterstützung des ukrainischen Militärs. Im Kontext des Ukraine-Kriegs verwendet Scholz ein weiteres Wort, das Sozialist:innen nicht fremd ist, „Imperialismus”: „Russland versucht, der Ukraine ihr Land zu rauben. Würden wir diesen Imperialismus akzeptieren, dann und gerade dann geriete auch unsere Sicherheit in Gefahr und die Sicherheit von ganz Europa gleich mit. Weil sich dann ein gefährliches Prinzip wieder durchsetzen würde, das Europa jahrhundertelang ins Unheil gestürzt hat. Das Prinzip nämlich, Grenzen mit Gewalt zu verschieben, wenn man die Macht dazu hat.“.

    Scholz verurteilt den Angriff Russlands auf das ukrainische Charkiw, der vor allem unschuldige Zivilist:innen und Kinder treffe. „Imperialismus“ klingt hier wie ein Politikstil, den Länder wie Russland führen. Doch Staatsoberhäupter entscheiden sich nicht einfach über Nacht für den „Imperialismus“, vielmehr ist er ein Weltsystem. Er beruht auf der Macht der Weltmonopole und der Nationalstaaten, die ihre Profite sichern sollen. Dies tun sie durch Wirtschaftspolitik, koloniale Ausbeutung, aber auch durch Krieg.

    Wir sehen diese imperialistische Politik in Aserbaidschan, das einen Krieg gegen Armenien und führt und plant, sich dieses einzuverleiben. Wir sehen dies auch beim Genozid des israelischen Staats gegen die palästinensische Bevölkerung und den gezielten Angriffen gegen Zivilist:innen und Kinder – alles mit dem Ziel, sich ganz Palästina einzuverleiben. Scholz und Co. können dies aber nicht anerkennen. Schließlich gilt der Völkermord in Gaza laut Staatsräson des deutschen Staats immer noch als legitime Verteidigung Israels. Über den Angriffskrieg Aserbaidschans kann sich die herrschende Klasse auch nicht allzu sehr beschweren. Schließlich ist Aserbaidschan seit Beginn des Ukraine-Kriegs zu einem der wichtigsten Öl- und Gaslieferanten für Deutschland geworden.

    Über die Reihe an Themen, die in der Regierungsansprache vorkommen, sagte Scholz: „Diese Ereignisse und Entwicklungen mögen in keinem direkten Zusammenhang miteinander stehen. Aber sie beschäftigen uns alle, sie werfen Fragen auf, sie verunsichern.“ Für uns sollte der Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und Entwicklungen aber klar sein. Es ist der Kapitalismus im imperialistischen Stadium, der Kriege hervorbringt, Flucht verursacht, rassistische und fundamentalistische Ideologien schürt und nährt, und der durch seine Ausbeutung der Natur den Klimawandel vorantreibt. Dagegenhalten können wir nur mit echter Solidarität und Klassenkampf.

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