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    Ob Rondenbarg oder PKK: Kollektive Bestrafung wird Normalität

    Schon die Anwesenheit bei einer Demonstration, bei der es zu Straftaten kommt, soll nun für eine Verurteilung wegen Beihilfe ausreichen. Das entschied das Landgericht Hamburg in den ersten Urteilen zu den Rondenbarg-Prozessen rund um den G20-Gipfel. Damit verlässt es die bisher gültige Rechtsprechung – mit weitreichenden Folgen für die Versammlungsfreiheit. – Ein Kommentar von Alexandra Baer.

    Frühmorgens am 7. Juli 2017, vor über sieben Jahren, zog ein Protestzug mit überwiegend schwarz gekleideten G20-Gegner:innen vom Protestcamp im Altonaer Volkspark in Richtung Hamburg Innenstadt. In der Straße Rondenbarg wurden die Demonstrierenden von zwei Polizeieinheiten umstellt, 85 von ihnen festgenommen und zahlreiche von der Polizei zusammengeschlagen. 14 davon wurden so schwer verletzt, dass sie mit offenen Knochenbrüchen ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten.

    Vor Gericht wurde nun jedoch nicht diese massive Polizeigewalt verhandelt, sondern es ging um Straftaten, die im Rahmen der Demonstration verübt wurden – Taten, die sogar die Vorsitzende Richterin in der Urteilsverkündung als „Peanuts“ bezeichnete. So wurden aus dem Protestzug heraus drei Bauzäune und ein paar Müllcontainer auf die Fahrbahn gezerrt – ohne einen Stau zu verursachen – und im hinteren Bereich der Demonstration wurden Gehwegplatten und ein Fahrplanhalter aus Plastik beschädigt, sowie eine „No-G20“-Parole gesprayt.

    Gericht: Deichmann-Schuhe implizieren Gewaltbereitschaft

    Zwei der festgenommenen Demonstrierenden wurden aufgrund dieser Taten am 3. September 2024 zu jeweils 90 Tagessätzen wegen Landfriedensbruchs sowie Beihilfe zu versuchter gefährlicher Körperverletzung, zu tätlichem Angriff und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie Sachbeschädigung verurteilt. Bei 80 weiteren Angeklagten steht der Prozess noch aus.

    Das Landgericht Hamburg konnte den Beschuldigten zwar nicht nachweisen, dass sie die zur Anklage gestellten Taten eigenhändig begangen haben. Dennoch sah es in dem Verhalten der beiden Festgenommenen eine Hilfeleistung, weswegen sie wegen Beihilfe nach §27 StGB bestraft wurden. Der Vorwurf: Durch ihre schwarze Kleidung und das geschlossene Auftreten hätten sie Straf­tä­te­r:in­nen in ihrem Handeln bestärkt und es ihnen ermöglicht, in der Masse unterzutauchen. Die Richterin sah den Beweis dafür in der „Vermummung” sowie den schwarzen Schuhen mit weißer Sohle von Deichmann, die viele Demonstrierende trugen: die Demonstrierenden hätten also gewusst, worauf sie sich einließen.

    Das Landgericht Hamburg stellt damit insbesondere zwei Sachverhalte fest, die auch für die Zukunft aller Demonstrierenden relevant sind:

    1. Die bloße Anwesenheit auf einer Demonstration reicht aus, um für Straftaten anderer Teilnehmer:innen bestraft zu werden. Dafür muss man weder von dem Tatplan gewusst haben, noch selbst irgendetwas getan haben.
    2. Vorsicht bei der Schuhauswahl.

    Rondenbarg-Prozess: Verurteilung ohne individuell begangene Straftat

    Interessant an dem Urteil des Hamburger Landgerichts sind jedoch nicht (nur) die wertvollen Mode-Tipps der Richterin, sondern vielmehr die Frage, ob das Urteil eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zu der Strafbarkeit der bloßen Teilnahme an einer Demonstration darstellt. Und, sollte das der Fall sein: setzt das Gericht mit diesem ersten Urteil in den Rondenbarg-Prozessen neue Maßstäbe für die strafrechtliche Verfolgung von Demonstrant:innen, die auch in der Zukunft auf andere Fälle anwendbar sind?

    Bisherige Rechtsprechung: Bloße Teilnahme im Schwarzen Block nicht strafbar

    Bisher gingen die Gerichte davon aus, dass die Begehung von Straftaten nicht pauschal die Versammlungsfreiheit der anderen Teilnehmer:innen einer Demonstration beeinträchtigt (sogenannter Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 96, 315). Ansonsten könne ja jede Großdemonstration pauschal verboten werden, wenn Einzelne möglicherweise Straftaten begehen könnten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die bloße Anwesenheit auf einer Demonstration, aus der heraus Straftaten begangen werden, für eine Verurteilung wegen Beihilfe zu diesen Straftaten ausreicht. Oder anders ausgedrückt: Wenn A einen Stein auf einen Polizisten wirft, macht sich B dann auch strafbar, weil er zwei Reihen hinter A stand?

    Die Strafgerichte gehen in der Praxis schon seit längerem davon aus, dass es für die Beihilfe zu einer Straftat ausreicht, wenn der oder die Gehilf:in nur „psychisch“ unterstützt. Das kann etwa durch eine „psychische Stärkung der Tatbereitschaft, Erleichterung der Tatausführung oder Übernahme von Abwehr- oder Warnfunktionen gegen mögliche Störungen“ geschehen. Dies wird allerdings von Teilen der rechtswissenschaftlichen Literatur anders gesehen, da der Wortlaut des §27 StGB eine solche Auslegung nicht hergebe.

    Eine Beihilfe durch bloße Anwesenheit haben die Gerichte jedoch bisher nur in einzelnen Fällen bejaht, etwa, wenn der oder die Täter:in (für den Gehilfen erkennbar) auf sich allein gestellt von der Tatbegehung zurückschrecken würde. Nach dem Obersten Strafgericht, dem Bundesgerichtshof (BGH), reicht die „bloße Billigung“ einer Straftat durch Anwesenheit nicht aus. Dies galt bisher auch für die Teilnahme in einem Schwarzen Block.

    Rondenbarg-Urteil zementiert neue Rechtsprechung – mit massiven Folgen

    Das Urteil im Rondenbarg-Prozess ist also nicht nur wegen der massiven Polizeigewalt und Verfolgungsbereitschaft deutscher Behörden angesichts geringer Straftaten kritisch zu betrachten. Es ebnet auch den Weg, zukünftig Demonstrant:innen wegen Beihilfe zu Straftaten zu verurteilen, auch wenn sie nur anwesend waren. Die Staatsanwaltschaft forderte ursprünglich sogar, die Angeklagten im Rondenbarg-Prozess als Täter:innen zu verurteilen, obwohl ihnen keinerlei Tatbeitrag und keine Kenntnis von der Begehung der Straftaten nachgewiesen werden konnte. Dies widerspricht jeglicher Rechtsprechung zur Mittäterschaft, wonach jemand nur als Mittäter:in bestraft werden darf, wenn die Person auch einen eigenen Beitrag zur Tat geleistet hat und von dem Tatplan wusste.

    Sollten sich die Gerichte in Zukunft von der Ansicht der Staatsanwaltschaft beeinflussen lassen, wäre es bei zukünftigen Demonstrationen möglich, jede:n Teilnehmer:in für jeden geworfenen Stein oder jede angesprühte Wand durch jemand Anderen als Täter:in zu bestrafen. Dies würde den deutschen Ermittlungsbehörden Tür und Tor für Repressionen gegen Aktivist:innen öffnen und die Versammlungsfreiheit ganz erheblich einschränken. Man könnte sogar sagen, dass eine solche Änderung der Rechtsprechung das Aushebeln der Versammlungsfreiheit bedeuten könnte. Denn wer wird noch auf Versammlungen gehen, wenn man jederzeit befürchten muss, kriminalisiert zu werden, nur weil man vor Ort ist?

    Über sechs Jahre Rondenbarg – Über sechs Jahre Polizeigewalt, Grundrechtsentzug und Heuchelei

    Rondenbarg-Urteil oder BKA-Gesetz – Verschärfung der Repression

    Das Urteil im ersten Rondenbarg-Prozess reiht sich ein in die allgemeine Entwicklung von ausgeweiteter Überwachung, Einschränkung von Grundrechten und weitreichenden Repressionen vornehmlich gegen linke Strukturen – seien es die kollektive Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung wie im §129b-Prozess um Kenan Ayaz, die Verschärfung des Berliner Hochschulgesetzes oder die anstehende Änderung des BKA-Gesetzes, welches das heimliche Betreten von Wohnungen und die Installation von Staatstrojanern ermöglichen soll.

    Trauriges Fazit: Der deutsche Staat setzt verstärkt auf Überwachung und weitreichende Befugnisse für Polizei und Verfassungsschutz und geht nun deutlich härter gegen linke Bewegungen vor – auch, um der Zerschlagung zukünftiger fortschrittlicher Bewegungen den Weg zu bereiten.

    Änderung des BKA-Gesetzes: Mehr Befugnisse, mehr Überwachung

    • Autorin Seit 2023. Angehende Juristin, interessiert sich besonders für Migration und Arbeitskämpfe. Alexandra ist leidenschaftliche Fußballspielerin und vermisst die kalte norddeutsche Art in BaWü.

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