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    Historischer Hafenstreik in den USA: Druck auf Unternehmen massiv

    Am Dienstag haben zehntausende Hafenarbeiter:innen an der Ost- und Golfküste der USA mit einem historischen Streik begonnen. Er hat das Potential, großen Druck auf die Hafenunternehmen auszuüben und sie zum Verhandeln zu zwingen. Währenddessen machen sich Konzerne und Regierung jedoch mehr Gedanken um ihre Profite und die kommenden Präsidentschaftswahlen als um die Bedürfnisse der Streikenden.

    Ein Streik, der die Stärke in sich trägt, ein historisches Ausmaß für die USA anzunehmen, hat am Dienstag begonnen: Zum ersten Mal seit fast über 50 Jahren legten am 1. Oktober über 47.000 Hafenarbeiter:innen zusammen mit ihrer Gewerkschaft, der International Longhoremen’s Association (ILA), in Häfen an der Ost- und Golfküste in den USA ihre Arbeit nieder.

    Davon betroffen sind über 36 Häfen, darunter auch zentrale Schlüsselhäfen für den internationalen Containertransport wie in Baltimore, Houston, New York oder New Jersey als drittgrößter Hafen im Land. Der Handel mit Öl, Erdgas, Kohle und Militärgütern sowie der Betrieb von Kreuzfahrtschiffen wird jedoch nicht betroffen sein.

    In einem Statement am Montag sagte der Präsident der ILA, Harold Dagget, zu den Verhandlungen: „We are very far apart. Mark my words, we’ll shut them down October 1 if we don’t get the kind of wages we deserve.“ („Wir sind sehr weit voneinander entfernt. Merken Sie sich meine Worte: wir werden Sie am 1. Oktober bestreiken, wenn wir nicht den Lohn bekommen, den wir verdienen.“)

    Drohende Streiks in US-Häfen

    Grund für den Streik ist der am 30. September ausgelaufene Tarifvertrag zwischen der ILA und der United States Maritime Alliance (USMX), einem Zusammenschluss aus Containerunternehmen und Hafenverbänden an der Ost- und Golfküste. Seit dem Frühsommer sind die beiden Verhandlungsparteien nicht mehr in Gesprächen zusammengekommen.

    Massive Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westküste

    Die USMX sind den Forderungen der ILA nicht nachgekommen, diese hatte eine Lohnerhöhung von 77 Prozent über die nächsten sechs Jahre gefordert. Die USMX bot jedoch nur 40 Prozent. Zudem gibt es einen massiven Lohnunterschied zwischen der Ost- und Westküste.

    Während gewerkschaftlich organisierte Hafenarbeiter:innen an der Ost- und Golfküste einen Stundenlohn von 39 Dollar bekommen, erhalten ihre Kolleg:innen an der Westküste 54,85 Dollar. Dieser Satz soll mit dem neuen Tarifvertrag für die Westküste 2027 noch einmal um sechs Dollar erhöht werden. Auf das Jahr hochgerechnet bedeutet das einen Unterschied von 35.000 Dollar (Jahreslohn Westküste: 116.000, Jahreslohn Ostküste: 81.000).

    Dieser Jahreslohn klingt auf den ersten Eindruck für deutsche Verhältnisse vielleicht hoch. Schaut man sich aber die durchschnittlichen Jahresausgaben eines Haushalts in den USA an (ca. 77.000 US-Dollar), ist eine Lohnerhöhung mit der gestiegenen Inflation der letzten Jahre bitter nötig. „Die United States Maritime Alliance (USMX) weigert sich, eine halbes Jahrhundert lange Lohnunterdrückung anzugehen, in der die Gewinne der Reedereien von Millionen auf Megamilliarden Dollar schossen, während die Löhne der ILA an Häfen unverändert blieben“, sagte die ILA am Sonntag.

    Nicht im selben Boot: Reederei-Kartelle fahren mit Lieferengpässen Rekordgewinne ein

    Neben einer Lohnerhöhung gehört aber auch der Kampf gegen drohende Stellenkürzungen zu den zentralen Forderungen der streikenden Hafenarbeiter:innen: Sie sehen ihre Arbeitsplätze angesichts der steigenden Automatisierung in der Hafenindustrie, also des Einsatzes von moderner Technologie und Robotern, bedroht und fordern ein Totalverbot für die Automatisierung an Häfen – Kräne, Tore und das Be- und Entladen von Frachten betreffend.

    Ob Automatisierung und der wachsende Einfluss von Technologie wirklich zu Entlassungen führt, ist zwischen Unternehmen und Hafenarbeiter:innen umstritten. Unternehmensverbände verneinen einen Zusammenhang von Entlassungen und Automatisierung. Doch gibt es bereits klare Beispiele aus dem Arbeitsalltag: So existieren an immer mehr Häfen fahrerlose Fahrzeuge, die Container über den gesamten Kai transportieren können, riesige Kräne, die Container mit nur minimalem menschlichem Eingriff stapeln können oder sogenannte „auto gates“, die zur schnelleren Abfertigung von Lastkraftwagen dienen.

    Heftige Ausmaße des Streiks möglich

    Um die Ausmaße des jetzigen Streiks begreifen zu können, reicht der Blick auf einige Zahlen: In den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 wickelten die zehn größten Häfen an der Ost- und Golfküste mit 50,8 Prozent die Hälfte der US-amerikanischen Gesamtimporte ab. Die Häfen an der Ostküste sind mit Handelsrouten verbunden, die circa 16,2 Prozent der weltweiten TEU-Meilen-Container verschiffen (TEU = Twenty-foot Equivalent Unit, zu deutsch: Zwanzig-Fuß-Standardcontainer – eine international standardisierte Einheit zur Zählung von ISO-Containern und zur Beschreibung der Ladekapazität von Schiffen). Damit machen sie fast zwei Drittel der US-Exporte aus. Circa 3,2 Milliarden US-Dollar an Wert werden allein an der Ost- und Golfküste pro Tag umher geschifft.

    Effektive Streiks tun weh!

    Wirtschaftsanalytiker:innen und Unternehmen stellen jedoch erneut primär die potentiellen wirtschaftlichen Schäden eines Streiks in den Vordergrund und sprechen davon, dass die Gewerkschaft die amerikanische Ökonomie als „Geisel“ behandle. Doch seit der Corona-Krise und der Blockade des Suez-Kanals durch einen festsitzenden Frachter haben sich die Unternehmen mittlerweile auf Lieferengpässe vorbereitet und ihre Lagerräume deutlich ausgebaut. Tatsächlich würden sie also ohne größere Schäden davonkommen und die entstehenden Lieferverzögerungen verkraften, sofern der Streik nicht allzu lange andauert.

    Sorge um Wahlkampf – Demokraten verlieren an Rückhalt bei den Gewerkschaften

    Regierung und Medienhäuser wittern nicht nur aufgrund der potentiellen Profit-Verluste eine unberechenbare Krise. Auch wegen der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am 5. November erhoffen sich Regierungskreise und die beiden konkurrierenden Parteien der Republikaner und der Demokraten ein ruhiges, krisenfreies Wahlspektakel – ohne um ihre Wähler:innenschaft bangen und zusätzlich potentielle Versorgungsengpässe oder Preissteigerungen erklären zu müssen. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren und während der Amtszeit von Präsident Joe Biden spielen schon jetzt eine große Rolle im aktuellen Wahlkampf.

    Theoretisch besäße Joe Biden aufgrund des Taft-Hartley-Gesetzes von 1947 die Befugnis, den Streik unter scheinheiligen Vorwänden – z.B. eine Bedrohung der nationalen Sicherheit oder der Volksgesundheit – verbieten zu lassen. Doch die Demokraten sind historisch und traditionsbedingt schon immer auf die gewerkschaftliche Unterstützung im Wahlkampf angewiesen.

    Mit der International Brotherhood of Teamsters (IBT) haben sie erst vor kurzem die Unterstützung einer der größten Gewerkschaften in den USA und der Welt (1,3 Millionen Mitglieder) verloren. Es ist das erste Mal in fast drei Jahrzehnten, dass die Gewerkschaft der Transportarbeiter:innen keinen Demokraten als Präsidenten befürwortet. Doch auch in Donald Trump (Republikaner) sieht die Gewerkschaft keinen akzeptablen Vertreter für die Arbeiter:innen. Begründet wird dies mit einer Entscheidung des US-Kongresses im Jahr 2022, rund 10.000 Eisenbahner:innen einen unsozialen Tarifvertrag aufzuzwingen.

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