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    Das „sicherste Volksfest der Welt“?

    Auch dieses Jahr ist mit dem Oktoberfest der ganze Stolz Süddeutschlands wieder auf dem Weg, Rekordwerte zu erzielen: 3,6 Millionen Besucher:innen zur Halbzeit und gestiegene Bierkonsumwerte – sowie eine Studie, die besagt, dass drei von vier Servicekräften sexuell belästigt werden.

    Das Oktoberfest in München – mundartlich d’Wiesn – ist das weltweit größte Volksfest. Es wird seit dem Jahr 1810 jährlich auf der Münchner Theresienwiese veranstaltet. Lediglich Kriege oder Pandemien reichten bisher als Gründe für eine Absage. 2023 strömten um die 7,2 Millionen Menschen auf d’Wiesn – ein Besucherrekord, der dieses Jahr voraussichtlich noch überboten wird.

    Seinen historischen Ursprung hat das gigantische Volksfest in einem von der Münchner Bürgerwehr am 17.10.1810 veranstalteten Pferderennen zu Ehren des damaligen Kronprinzen Ludwig von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Internationale Bekanntheit erlangte das Oktoberfest erstmals in den 1950er Jahren.

    Seit 1819 liegt die Organisationsverantwortung bei der Stadt München, daran hat sich bis heute nichts geändert. Dem Referat für Arbeit und Wirtschaft (RAW), dessen Leiter der CSU-Politiker Clemens Baumgärtner ist, kommt dabei eine besondere Verantwortung hinzu. Dieser wurde erst vor ein paar Monaten als Kandidat des Bezirksvorstands der CSU München ins Rennen um die Oberbürgermeister-Kandidatur 2026 geschickt.

    In erster Linie ein Drogenfest

    Neben dem Zelebrieren von Bayerischer Kultur in Form von allerlei Umzügen, Volksliedern und Trachten widmet sich das Volksfest in erster Linie dem Konsum – vor allem von Alkohol. Im letzten Jahr allein tranken 7,2 Millionen Besucher:innen ungefähr 6,5 Millionen Maß (Liter) Bier.

    Wie der Zweite Bürgermeister der Stadt München Dominik Krause schon einmal treffend sagte: „Wir leben in der Stadt mit der weltweit größten offenen Drogenszene, nämlich dem Oktoberfest.“. Am ersten Tag des Oktoberfests 2024 mussten 649 Patient:innen durch die Sanitäter:innen der Aicher Ambulanz behandelt werden, bei etwa einem Drittel lautet die Diagnose: Intoxikation, also Alkoholvergiftung.

    Massiver Umsatz für Betriebe und die Stadt München

    Laut einer repräsentativen Umfrage des Münchner RAW sowie der Oktoberfest-Pressestelle, die Anfang September 2024 veröffentlicht wurde, betrug der Wirtschaftswert des Oktoberfestes 2023 1,49 Milliarden Euro. Dieser errechnet sich nicht allein aus dem Umsatz, sondern auch aus anderen Faktoren wie Marktpotenzial, Wettbewerbspositionen und der Qualität des Geschäftsmodells.

    Die Wirte sowie Brauereien dürfen sich über den gestiegenen Bierkonsum (7 bis 8 Prozent) im Verhältnis zum Vorjahr freuen, die viel kritisierten Preiserhöhungen scheinen zumindest darauf wenig Einfluss zu haben. Diese Aussicht dürfte den Braubetrieben und den führenden Wiesn-Wirt:innen, diee wohl die Hauptprofiteure am gehobenen Bierpreis sind, gefallen – denn trotz teilweiser Preissteigerung um einen ganzen Euro aufs Maß scheinen die Oktoberfestgäste weiterhin munter Bier trinken zu wollen.

    Die 7,2 Millionen Besucher:innen aus dem Vorjahr gaben rund 618 Millionen Euro auf dem Volksfest auf der Theresienwiese direkt aus. Auswärtige Besucher:innen ließen für Verpflegung, ÖPNV sowie Taxifahrten weitere rund 315 Millionen Euro in der Stadt München. Hinzu kommen noch Ausgaben derselben Personengruppe für Gastronomie und Übernachtungen, welche sich auf etwa 559 Millionen Euro beliefen. Außerdem sei noch noch der alljährliche Passagier-Boom für den Flughafen in München zu nennen, der im Festzeitraum um etwa 15 Prozent steigt.

    Der Arbeitsalltag macht krank

    Des weiteren ist das Oktoberfest – also eigentlich die Stadt München – ein riesiger Arbeitgeber. Jährlich werden etwa 8.000 Festanstellungen und 5.000 befristete Arbeitsverhältnisse für d’Wiesn registriert. Die Arbeitsbedingungen für beispielsweise Servicekräfte sind sehr hart. Kellner:innen streichen auch keineswegs ein reguläres Gehalt vom Festzeltbetreiber ein, für den sie arbeiten – lediglich die verkauften Maße dienen als Messlatte für den Lohn, plus Trinkgeld.

    Dementsprechend ist man dazu angehalten, möglichst viel Bier zu verkaufen – allein um das eigene Gehalt gewährleisten zu können. Insbesondere von Frauen wird im Service erwartet, dass sie sich möglichst gut „verkaufen“ und sich an patriarchale Muster halten. Wenn man also als Kellnerin möglichst viel über sich ergehen lässt, kann man mit möglichst viel Umsatz rechnen – wovon am Ende auch wiederum der Festzeltbetreiber profitiert. Eine Kellnerin berichtet in einem Interview, dass sie dauerhaft Medizin und Vitaminpräparate im Vorhinein nehme, um möglichst nicht krank zu werden und auszufallen.

    Massive Polizeipräsenz auf der Wiesn

    Mit Blick auf das Sicherheitskonzept sehen sich die Polizei und die Behörden laut eigener Angaben vor Ort gut gerüstet. Einsatzleiter Christian Huber vom Polizeipräsidium München erklärte das diesjährige Oktoberfest gar zum „sichersten Volksfest der Welt“. Man könne zwar nie von „hundertprozentiger Sicherheit“ ausgehen, bemühe sich aber möglichst nah heranzukommen.

    Gelingen soll dies mit rund 600 Polizist:innen auf dem Oktoberfest selbst, sowie 1.500 eingesetzten Ordner:innen der Stadt. Zum ersten Mal wurden auch stichprobenartig beim Einlass Hand- und Metalldetektoren verwendet. Außerdem ist um die Theresienwiese herum ein erhöhtes Aufgebot der Bundespolizei unterwegs, um gerade in Stoßzeiten den Hauptbahnhof und auch die Hackerbrücke zu sichern.

    Nach Anschlag von Solingen – Politik und Staat bereit für den Ausbau der Repression

    Damit reiht sich das Oktoberfest also ein in öffentliche Veranstaltungen, die den staatlichen Behörden formal ermöglichen, möglichst viel Einfluss und Präsenz im Alltag der Menschen zu zeigen. Diese Maßnahmen passen zu der Tendenz der deutschen Behörden, seit dem islamisch-fundamentalistischen Anschlag in Solingen den Überwachungsstaat unter Vorwand der Terrorbekämpfung auszuweiten.

    Statt den Männern sollen die Frauen ihr Verhalten anpassen

    Wie wird aber mit dem viel diskutierten Problem der sexuellen Belästigung von weiblichen Servicekräften umgegangen? Im Vorfeld wurde stringente Strafverfolgung bei Vergehen gegen die sexuelle Selbstbestimmung angekündigt. Wie das in der Realität aussieht, bleibt noch abzuwarten. Videos vom Wiesn-Fahrgeschäft „Teufelsrad“ sorgten letztens im Netz für Aufsehen, da dort regelmäßig den Frauen unters Dirndl gefilmt wurde.

    Oftmals landeten solcherart Videos im Internet. Das Ganze ist nicht nur abscheulich, sondern auch eine Straftat in Deutschland. Als Erstmaßnahme verleiht die Betreiberin nun Radlerhosen an Besucher:innen des Teufelrads. Das stellt aber lediglich auch nur eine Art Symptombekämpfung dar, die keineswegs eine Dauerlösung sein kann: die Verantwortung wird erneut auf die Frauen abgeschoben, statt bei dem Verhalten der männlichen Täter anzusetzen.

    187 Jahre Tradition: Frauen- und LGBTI-Feindlichkeit auf dem Oktoberfest

    Die Zahl der Sexualdelikte auf dem Oktoberfest 2022 belief sich auf 58, im letzten Jahr 2023 waren es sogar 73, davon 6 Vergewaltigungen – eine Verdopplung zum Vorjahr. Auch dieses Jahr gibt es jedoch die 2003 ins Leben gerufenen Aktion Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen* auf dem Oktoberfest: Über das Gelände patrouillieren Helfer:innen der Aktion, und es gibt einen zentralen „Safe-Space“. Bereits rund 180 Frauen und Mädchen suchten (Stand 30.09.24) genau diesen Safe Space auf.

    Anfassen erlaubt?

    Dass derlei Konzepte leider nur einen Tropfen auf dem heißen Stein sein können, zeigt die Arbeit „Anfassen erlaubt? Wahrnehmung und Umgang mit sexuellen Belästigungen gegenüber Festzeltbedienungen auf dem Münchner Oktoberfest“ der Münchner Touristikmanagement-Absolventin Maren Schulze-Vemede. Da für sexuelle Belästigung von Angestellten beim Oktoberfest noch keinerlei wissenschaftliche Forschungsgrundlage besteht, nahm Schulze-Vemede sich ihrer selbst an. Das Ergebnis der Umfrage in ihrer Studie ist ernüchternd: Von allen befragten Kellner:innen gaben 76 Prozent an, schon einmal sexuelle Belästigung auf dem Oktoberfest erfahren zu haben.

    „Obwohl ein Großteil davon betroffen ist, meldet nur ein kleiner Teil der Bedienungen Vorfälle bei Vorgesetzten. Stattdessen greifen viele auf eigene Bewältigungstrategien zurück, die je nach Schwere des Vorfalls variieren.“ Schulze-Vemede arbeitete selbst als Kellnerin auf dem Oktoberfest. Sie betont: „Es ist unglaublich wichtig, auf die Problematik der sexuellen Belästigung auf dem Oktoberfest aufmerksam zu machen.“ Denn nur diese Aufmerksamkeit könne zu konsequenteren Maßnahmen führen, sowie zu einer veränderten Grundhaltung in der Gesellschaft.

    Das „Schottenhamel”-Festzelt reagierte am schnellsten auf die Ergebnisse der Studie und führte diverse Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz vor sexueller Belästigung ein. Diese umfassten das Schaffen einer „SafeNow-Zone“ für akute Betroffene, einer kostenlosen Hilfe-App für Gäste und Mitarbeitende mit einem Notruf samt Standortübermittlung, die direkt an das Security-Personal übermittelt wird. Hinzu kommt noch ein Service-Handout mit allen wichtigen Anlaufstellen und Beratungsangeboten.

    Der verantwortliche Wiesn-Wirt Christian Schottenhamel fordert eine offenere Thematisierung des Problems, zudem mehr Aufklärung und Sensibilisierungsarbeit im Vorfeld. Ob diese Konzepte und Entwürfe ausreichen, um ein derartig gewaltiges Problem zu lösen, bleibt wohl abzuwarten.

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