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    Sexualisierte Gewalt in der High Society der USA – der Fall Diddy

    Dem Rapper „Diddy” wird vorgeworfen, seit 1991 im unternehmerischen Stil sexualisierte Gewalt an Frauen organisiert und durchgeführt zu haben. Doch die meisten Betroffenen machen keine Aussage, schließlich wird ihnen oft nicht geglaubt. Nun steht Diddy aber vor Gericht. – Ein Kommentar von Marceline Horn.

    Der US-amerikanische Rapper und Unternehmer Sean „Diddy“ Combs wurde am 16. September in New York festgenommen. Angeklagt wurde er wegen organisierter Kriminalität und sexualisierter Gewalt, darunter Sex-Handel und Vergewaltigungen. Inzwischen haben 120 Menschen gegen Combs ausgesagt, wobei die tatsächliche Zahl der Betroffenen und das Ausmaß seiner Taten vermutlich noch deutlich größer sind und im Verlauf des Prozesses vermutlich Weiteres ans Licht kommen wird. – Stimmen die Anschuldigungen, so könnte es sich hier um einen der größten „MeToo”-Skandale der Pop-Industrie handeln.

    Dabei sind diese Taten keine Neuheit, denn die Klagen reichen von den frühen 90ern bis 2024. Schon seit Beginn seiner Karriere soll der inzwischen 54-jährige Rapper demnach sexualisierte Gewalt gegen minderjährige Mädchen und Frauen ausgeübt haben und ist damit bis jetzt davon gekommen.

    „Freak Off“ Partys von Diddy – Drogen, Sex, Patriarchat

    Im Kontext mit den Vorwürfen gegen Combs wird immer wieder von sogenannten „Freak Off“-Partys berichtet, in denen Kapitalist:innen, Promis, bekannte Rapper und andere Teile der High Society massiv Drogen konsumiert und große Sexorgien veranstaltet haben sollen. Wenig überraschend beziehen sich Anklägerinnen auch auf diese Partys, wenn sie von der Gewalt berichten, die ihnen angetan wurde.

    Gängiges Mittel soll dabei das „spiken“ gewesen sein, also das absichtliche Versetzen von Getränken der Betroffenen mit Drogen. Teils soll den oft jungen Mädchen und Frauen auch ein Eintritt in die Musikkarriere versprochen sein worden, wenn sie dafür „nur“ ihren Körper bereit stellen. Oft geht diese patriarchale Machtausübung Hand in Hand. So ist es auch nicht anders in anderen Fällen wie zum Beispiel auf der Dating-Plattform „My Sugar Daddy“, bei der ebenfalls ein „sozialer Aufstieg“ gegen Sex mit reichen Männern angeboten wird.

    Erpresst, manipuliert und unter Drogen sollen die Betroffenen entweder offen missbraucht oder in Hotelzimmern geschlagen und vergewaltigt worden sein. Die Mädchen und Frauen wurden scheinbar buchstäblich als Ware zwischen ihren Unterdrückern hin und her geworfen, im Austausch für „connections“, die in der Industrie wichtig sind, um sich ein solches Unternehmensimperium mit Modefirmen, Fernsehsendern und sonstigen Plattformen aufzubauen – wie es eben auch Combs tat.

    Alles keine Einzelfälle!

    Somit handelt es sich natürlich auch nicht um einen „Einzelfall“, wie manche es vielleicht nennen würden. Viel eher steckt hinter derartigen Partys vermutlich ein ganzes Netz an Verstrickungen und Hinterpersonen, die entweder selbst an der Gewalt beteiligt sind, oder vom Erfolg der Unterdrücker-Firmen profitieren. So weisen andere Fälle von Menschenhändlern und Vergewaltigern wie Andrew Tate und die lange Liste um Jeffrey Epstein ähnliche Vernetzungen auf.

    Die lange Liste an Anschuldigungen gegen Combs kam vor allem mit der Klage der Sängerin Cassandra Ventura im November letzten Jahres ins Rollen. Der Rapper bestritt sie zunächst: sie seien „voller haltloser und ungeheuerlicher Lügen“. Als dann weitere Klagen gegen ihn aufkamen, wies er auch diese zurück. Erst als dann im Mai 2024 ein Video einer Überwachungskamera veröffentlicht wurde, in dem er Ventura schlug, trat und anschließend durch den Hotelflur zog, kam ein lächerlicher Versuch der Schadensbegrenzung.

    So „entschuldigte“ er sich in einem Video auf Instagram, meinte, er sei angewidert gewesen, dass er es tat, dass er sich professionelle Hilfe gesucht habe und in eine Entzugsklinik ginge. Dass er davon kein Wort ehrlich meinte, ja, dass diese „Vorhaben“ allein schon unverhältnismäßig und lächerlich sind, sollte dabei nicht übersehen werden. Jetzt bestreiten er und sein Anwalt vor Gericht, dass er wirklich schuldig sei und meinten, dass er zwar „kein perfekter Mensch, aber kein Krimineller“ sei. Am absurdesten ist dabei der Fakt, dass – neben den zahlreichen, deckungsgleichen Vorwürfen gegen ihn – bei einer Razzia in einer seiner Wohnungen 1.000 Flaschen Babyöl und Gleitgel gefunden worden sind.

    Solidarität mit den Betroffenen leben!

    Über 30 Jahre konnte der Rapper so scheinbar ungestört leben und hinter den Kulissen diese „Freak Offs“ veranstalten. Wie einfach so etwas tatsächlich geht, wird klar, wenn man weiß, dass in den USA nur knapp jede dritte Vergewaltigung überhaupt zur Anzeige gebracht und nur ein verschwindend kleiner Teil der Täter überhaupt verurteilt wird. Selbst wenn sie verurteilt werden, müssen die Betroffenen die traumatisierenden Übergriffe offenlegen und werden dazu befragt – und hinterfragt: Für konkrete und belastbare „Beweise“ bedeutet das nämlich oft, dass erst ein bloßstellendes Video auftauchen und veröffentlicht werden muss, bei dem man geschlagen, getreten und oder vergewaltigt wird – nur, damit einem überhaupt geglaubt wird.

    Darüber hinaus werden die betroffenen Frauen dabei – oft unabhängig vom Ergebnis – großen Hetzkampagnen ausgesetzt, was die Entscheidung, es überhaupt vor Gericht zu bringen, bei solch geringen „Erfolgschancen“  für zwecklos erscheinen lässt und vielleicht noch traumatisierender wirken könnte. Besonders im Bereich von Promis haben die Unterdrücker mit ihren Netzwerken und finanziellen Ressourcen extrem viel Macht über die Betroffenen: sie können sie damit erpressen, ihnen alles wegzunehmen, sie bloßzustellen oder gar direkt physische und psychische Gewalt anzuwenden, wenn sie irgendetwas „ausplaudern“.

    Gewalt an Frauen: “Ein Angriff auf eine ist ein Angriff auf alle von uns.”

    Die #MeToo-Bewegung hat unter diesem Hashtag im Jahr 2017 versucht, verstärkt Aufmerksamkeit auf sexualisierte Gewalt zu lenken und Frauen zu ermutigen, gegen ihre Täter auszusagen. Die Bewegung konnte erfolgreich etwas mehr Bewusstsein und Solidarität unter den Frauen schaffen, ließ aber die systemischen Ursachen für derartige Gewalt in der Gesellschaft – den Kapitalismus und das mit ihm verwobene Patriarchat – weitestgehend unberührt­.

    Der Fall von Diddy, bei dem erst nach einer ersten Anzeige in kürzester Zeit über 100 weitere folgten, zeigt allerdings, wie viel Angst immer noch damit verbunden ist, sexualisierte Gewalt aufzudecken. Gerade deshalb ist es so wichtig, solidarisch mit den Betroffenen zu sein und ihnen zu vertrauen – besonders in Zeiten, in denen Faschismus und patriarchale Gewalt zunehmen, darf dieser Kampf keinesfalls in den Hintergrund geraten.

    • Perspektive-Autorin seit 2024. Sie lebt und studiert in Freiburg und schreibt besonders über Frauen- und LGBTI+ Kämpfe. Photographie-Fan und Waschbären-Liebhaberin.

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