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    Im Schatten der Zeitenwende: Tarifrunde Metall und Elektro 2024

    Die Tarifverhandlungen für knapp 4 Millionen Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie beginnen Mitte September. Welche Rolle die Verhandlungen im Schatten der Zeitenwende einnehmen und welche Forderungen wir aufstellen müssen. – Ein Kommentar von Mario Zimmermann.

    Die Metall- und Elektroindustrie befindet sich im Umbruch: Bei dem Versuch, sich von russischem Gas unabhängig zu machen, waren die Gas- und Strompreise massiv in die Höhe geschnellt und ließen Rufe nach einem subventionierten Industriestrompreis laut werden – der dann auch folgte. Thyssenkrupp verringert seine Produktionskapazitäten in der Stahlproduktion in Duisburg und plant weitreichende Umstrukturierungen in der Stahlsparte. Der strategische Umbau auf alternative Energieträger erfolgt und wird aus unseren Steuergeldern bezahlt.

    Währenddessen schließen zahlreiche Autozulieferer ihre Standorte, da sie aufgrund von Überproduktion und der Umstellung auf Elektro-Antriebe keine Zukunft mehr für sich sehen. Tausende Arbeiter:innen verlieren ihre Jobs und müssen sehen, wo sie bleiben. Weitere Kürzungen von tausenden Arbeitsplätzen – wie bei ZF – stehen noch bevor.

    Solche „Herausforderungen“, die anhaltende wirtschaftliche Stagnation und andere Krisenerscheinungen des Kapitalismus werden in der kommenden Tarifrunde von Seiten der Kapitalist:innen als Legitimation benutzt werden, damit die Arbeiter:innen die nächste Reallohnsenkung stillschweigend hinnehmen. Denn diese wird längst vorbereitet.

    Dass ein komplette Deindustrialisierung oder ähnliches nicht bevorsteht, sollte dabei klar sein: Deutsche Industriemonopole mischen weiterhin unter den stärksten der Welt mit und machen regelmäßig Rekordgewinne. Mit dem Gesetzespaket der „Wachstumsinitiative” von Seiten der Ampelregierung werden die Rahmenbedingungen für das Kapital verbessert, und die Rüstungsindustrie wird aus den Taschen der Arbeiter:innen für den Krieg gerüstet.

    Fauler Kompromiss mit Ansage?

    Die Tarifkommission der IG-Metall fordert in der anstehenden Tarifrunde 7 Prozent Entgelterhöhung bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Für Auszubildende werden 170 Euro mehr verlangt, was als „Attraktivitätsturbo“ bezeichnet wird. Damit blicken wir auf eine Forderung, die nicht einmal die Reallohnverluste der vergangenen Jahre aufholen könnte, selbst wenn sie vollständig erfüllt werden würde.

    Die geforderte Lohnerhöhung kann zusammen mit den erfolgten Lohnerhöhungen vom Juni 2023 und Mai 2024 von 5,3% und 3,3% bei weitem nicht die Reallohnsenkungen seit 2018 aufholen. Von 2018 bis Juni 2023 gab es für die Arbeiter:innen der Metall- und Elektroindustrie keine tabellenwirksamen Entgelterhöhungen, sondern nur Einmalzahlungen. Die Preissteigerungen im gleichen Zeitraum betrugen jedoch 19%. Während die aktuellen Inflationszahlen und Prognosen mit 2-3% zwar wieder niedriger sind als in den vergangenen Jahren, könnten die verhandelten Lohnerhöhungen kaum mehr als die aktuelle Inflation aufholen.

    Hinzu kommt, dass bei einem Großteil der Tarifabschlüsse die geforderten 12 Monate Laufzeit so gut wie nie erreicht wurden. Entgelterhöhungen kamen somit immer verzögert und über 2 Jahre verteilt an, während die Preissteigerungen weiter fortgeschritten. Der Reallohnverlust seit 2018 wird damit immer tiefer in Stein gemeißelt.

    IG Metall fordert 7% mehr Lohn – reicht das?

    Wer profitiert?

    Von solchen Tarifkämpfen auf Sparflamme profitieren vor allem die Konzerne der Metall- und Elektroindustrie. Durch die Sozialpartnerschaft der DGB-Gewerkschaften und konzertierte Aktionen – also Absprachen über ein gemeinsames Vorgehen – bleiben ihnen lästige Arbeitskämpfe erspart. Die durchgeführte Absenkung des Lohnniveaus mithilfe der Inflation trägt dazu bei, die Produktionsbedingungen am Industriestandort Deutschland günstig zu halten. Und das wird von Jahr zu Jahr wichtiger.

    Im globalen Wettrüsten für einen dritten Weltkrieg ist es notwendig, wichtige Industrien wie z.B. die Produktion von Chips und anderen Technologien, sowie von Stahl und vor allem Rüstungsgütern in der eigenen Hand zu behalten. Die Auslagerung von immer größeren Teilen der Produktion wird dadurch verhindert.

    Im Zeichen der Zeitenwende

    Die anstehenden Tarifverhandlungen berühren die Interessen der von der Aufrüstungskampagne Deutschlands Betroffenen massiv: Zu den tarifgebundenen Belegschaften zählen auch diejenigen von Rüstungskonzernen wie Rheinmetall, Renk, Krauss-Maffei Wegmann, Thyssenkrupp und vielen weiteren. Hinzu kommen die Belegschaften der Zulieferer. Mit der Verhandlung über ihre Löhne wird auch über die Kosten der Aufrüstung Deutschlands und die Fähigkeit verhandelt, sich im Kriegsfall mit Kriegsmaterial kostengünstig selbst zu versorgen.

    Gleichzeitig schaffen der Boom des Rüstungsgeschäfts und der schnelle Ausbau der Produktionskapazitäten eine hohe Nachfrage von Arbeitskräften. Von einem „erheblichen und langfristigen Personalbedarf“ und „breiten Rekrutierungskampagnen“ ist in den Geschäftsberichten von Rüstungskonzernen zu lesen. Für die Waffenproduzenten ist klar: Während die Löhne nicht zu stark steigen dürfen, damit die Produktionskosten nicht zu hoch werden, muss neues qualifiziertes Personal gewonnen werden.

    Die Umstrukturierung der Autoindustrie kommt da gelegen, so dass Rüstungskonzerne auf dort „freigestellte” Arbeiter:innen hoffen können. So gab es Absprachen zwischen Continental und Rheinmetall zur Vermittlung entlassener Arbeiter:innen aufgrund Continentals Umstrukturierung. Auch aus anderen Branchen dürften bei Bedarf Arbeitskräfte abgeworben werden können. Im Vergleich zu anderen Branchen sind die Tarife der Elektro- und Metallindustrie weiterhin nicht die schlechtesten.

    Schnelle Einigung – oder heißer Herbst?

    Die Aussichten auf einen dynamischen Arbeitskampf für eine Verbesserung der Löhne und Ausbildungsvergütungen sind denkbar schlecht: Selbst mit der Startforderung der IG Metall ist ein Reallohnverlust quasi unausweichlich. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bereitet mit #standortstärken seiner vermutlichen Blockade ideologisch bereits den Boden. Die Stagnation der Industrieproduktion soll als Vorwand dienen, den Lebensstandard der Metallarbeiter:innen noch weiter abzusenken.

    Dass die IG Metall diesen Einschüchterungsversuchen mehr als einen halbherzigen Arbeitskampf entgegenstellen wird, ist unwahrscheinlich. Der Mitgliederschwund der Gewerkschaften, der nach den Nullrunden in den letzten Jahren verzeichnet wurde, könnte die IG Metall zwar zu etwas kämpferischeren Worten bis hin zu ein paar Warnstreiks zwingen. Am Ende wird einer Einigung unter den Sozialpartnern der DGB-Gewerkschaften und der Rüstungskonzerne jedoch wenig im Wege stehen, wenn es nicht wir Arbeiter:innen es selbst tun.

    Gründe zu kämpfen haben wir Beschäftigten genug: Unsere Rechnungen explodieren weiter, wenn auch nicht mehr ganz so schnell wie die letzten Jahre. Wechselschichten im vollkontinuierlichen Betrieb erschweren die Lebensplanung und machen nachweislich krank. Hinzu kommen regelmäßige Umstrukturierungen durch Manager:innen, für die man nicht mehr als eine Nummer ist – von den befristeten Verträgen der Leiharbeiter:innen ganz zu schweigen.

    Vor diesem Hintergrund müssen wir gemeinsam aktiv werden: Wenn unsere Stimmen nicht gehört werden – verschaffen wir uns Gehör! Wenn die IG Metall nur Forderungen aufstellt, mit denen die Monopole und Gesamtmetall bequem leben können, entwickeln wir unsere Forderungen selbst: Lohnerhöhung jetzt – keine Geschenke an Gesamtmetall! Frieden und Sicherheit statt Zeitenwende und Leiharbeit!

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