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    BSW: „Blackbox“, „rotbraun“ oder normale bürgerliche Partei?

    Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen konnte das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) sehr gute Ergebnisse erzielen und auch bisherige Nicht- oder AfD-Wähler:innen für sich gewinnen. Warum die neue Partei bislang drei Dinge richtig macht und trotzdem keine politische Alternative für die Arbeiter:innenklasse darstellt. – Ein Kommentar von Thomas Stark.

    Nach der Gründung in die Koalition? Am Donnerstag traf sich der thüringische CDU-Vorsitzende Mario Voigt in Berlin mit BSW-Namensgeberin und -Chefin Sahra Wagenknecht, um Möglichkeiten für ein gemeinsames Regierungsbündnis in seinem Bundesland auszuloten. Auch in Sachsen dürfte eine Regierung der Union mit Beteiligung des BSW alternativlos sein, sofern Michael Kretschmer (CDU) weiter nicht mit der AfD zusammenarbeiten will.

    Stimmen von Nichtwähler:innen und aus allen Parteien

    Die neue Partei, die Friedrich Merz nach den Landtagswahlen als „Blackbox“ und einige ausländische Tageszeitungen wahlweise als „rotbraun“ oder „putinfreundlich“ bezeichneten, ist aus dem Stand zu einem Machtfaktor in der bundesdeutschen Parteienlandschaft geworden: In Sachsen und Thüringen konnte das BSW zusammen knapp 60.000 Nichtwähler:innen mobilisieren und der AfD 34.000 Stimmen abjagen. Größte Verliererin zugunsten des BSW war jedoch Wagenknechts ehemalige Partei „Die Linke“, die mehr als 150.000 Stimmen an die neue Konkurrenz verlor. Ebenso gewann das BSW mehrere zehntausend Stimmen von CDU, SPD, Grünen und FDP.

    Ihre Stimmanteile sind zudem in Stadt und Land relativ ähnlich, was sie mit der CDU verbindet und von Linkspartei und AfD unterscheidet. Dass das BSW nicht zuletzt bei Arbeiter:innen erfolgreich sein würde, die bisher AfD oder Linke gewählt haben, hatte die Hans-Böckler-Stiftung bereits im Juni in einer Analyse vorhergesagt.

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    Drei Dinge richtig gemacht

    Auch wenn Wähler:innen bei Landtagswahlen häufiger mit neuen Parteien experimentieren — wir erinnern uns an Schill-Partei, Piraten, Freie Wähler und andere — ist der Erfolg des BSW vor allem darauf zurückzuführen, dass Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter:innen einige Dinge im Wahlkampf clever angestellt haben:

    Erstens hat das BSW verstanden, dass politische Mobilisierung über persönliche Beziehungen und Gesichter funktioniert. Dass die Partei den Namen von Sahra Wagenknecht trägt und auf ihre Person zugeschnitten ist, mag langfristig zwar zum Problem für sie werden. Kurzfristig nutzt sie damit aber ihre Bekanntheit als Gallionsfigur ideal aus. Wagenknecht ist seit über zwanzig Jahren Dauergast in deutschen Talkshows und hat sich dort als Gesicht einer vermeintlich konsequenten Opposition beim Publikum bekannt gemacht. Trat sie Anfang der 2000er Jahre noch als Mitglied der kommunistischen Plattform der PDS und DDR-Verteidigerin auf, wandelte sich die promovierte Ökonomin im Laufe ihrer Linkspartei-Karriere zu einer eher klassischen Sozialdemokratin, die gegen multinationale Konzerne, aber für „soziale Marktwirtschaft“ und den deutschen Mittelstand eintrat: Ihre in zahlreichen Büchern entwickelten Positionen bilden auch die Basis des BSW-Programms. Das Image aus fachlicher Kompetenz und politischer Konsequenz, das sie sich zielstrebig aufgebaut hat, lässt viele Menschen, die mit den politischen Verhältnissen unzufrieden sind, ihre Hoffnungen auf sie setzen und in sie hineinprojizieren. Dies gelingt in einem vergleichbaren Maße aktuell sonst nur Alice Weidel von der AfD.

    Zweitens ist es gerade deshalb klug, dass das BSW die AfD nicht mit reiner Antifa-Rhetorik angreift. Denn das Erstarken der AfD in Ostdeutschland, aber auch ihre Europawahlergebnisse in proletarischen Bezirken im Westen wie zum Beispiel Köln-Chorweiler (23,8 %) oder Duisburg-Meiderich (23,6 %) legen nahe, dass es vielen Arbeiter:innen schlichtweg erst einmal egal ist, dass in der AfD Nazis organisiert sind — und dass die moralische Empörung über ihren Zulauf sie dort im Laufe der Zeit nur noch interessanter gemacht hat. Dies gilt umso mehr, wenn die Empörung ausgerechnet von den bürgerlichen Parteien kommt. Dass es auch andere Teile der Arbeiter:innen gibt, die sich dieses Jahr in Stadt und Land an Protesten gegen die AfD beteiligt haben, zeigt, wie gespalten die Arbeiter:innenklasse in Deutschland heute ist.

    Will man aber um diejenigen Teile von ihnen politisch kämpfen, die vom Faschismus beeinflusst sind oder denen er egal ist – in einigen Regionen inzwischen ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung – muss einem schon mehr einfallen als reiner Anti-AfD-Aktivismus und ständige Appelle. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Appelle mit einer als abgehoben empfundenen „Woke”-Kultur und Moralvorschriften mischen, mit denen sich die Grünen seit langem in Teilen der Arbeiter:innenklasse zum Feindbild machen und mit denen sich die Linkspartei inzwischen zielsicher ins politische Nirwana schießt. Die richtige Einschätzung hierüber und die Abgrenzung hiervon tragen aktuell zum Erfolg des BSW bei.

    Drittens hat das BSW im Wahlkampf die Frustration, die Ängste und die konkreten Probleme von Teilen der Bevölkerung aufgegriffen und eigene Antworten darauf formuliert. Die Themen umfassten zum Beispiel die marode Infrastruktur in vielen Teilen des Landes, die Altersarmut und die Angst vor einem großen Krieg. In Verbindung mit den ersten beiden Punkten machte das die Partei greifbar und erzeugte bei vielen den Eindruck, dass das BSW sie mit ihren Problemen und Sorgen ernst nimmt.

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    Und trotzdem keine Alternative

    Die Programmatik, mit der das Bündnis auf die konkreten Probleme vieler Menschen antwortet, zeigt jedoch auch das grundsätzliche Problem dieser Partei auf. Denn das, wofür sie konkret steht, ist eine Mischung aus Sozialdemokratie, Law-and-Order-Politik und einem Anti-Migrationskurs — und damit keineswegs neu. Vielmehr sind Kursschwenks in diese Richtung derzeit ein gewisser Entwicklungstrend sozialdemokratischer Parteien in Europa: In Dänemark gewann Premierministerin Mette Frederiksen 2019 die Wahl für die Sozialdemokraten mit ihrer Forderung nach einer restriktiven Einwanderungspolitik. Ihre schwedischen Genoss:innen haben unter Magdalena Andersson in jüngster Zeit den gleichen Kurswechsel eingeleitet, sodass der Economist kürzlich spöttisch schrieb: „Europe’s lefties bash migrants (nearly) as well as the hard right“ („Europas Linke beschimpfen Migranten (fast) genauso gut wie die harte Rechte“).

    Auch in Deutschland ist die Idee alles andere als neu: Oskar Lafontaine, früher SPD- und Linke-Chef und heute BSW-Mitglied, handelte als saarländischer Ministerpräsident 1993 mit dem damaligen Bundeskanzler Kohl die erste große Einschränkung des Asylrechts aus. Als Vorsitzender des Linkspartei-Vorläufers WASG trat Lafontaine 2005 dafür ein, dass der Staat verhindern müsse, „dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“ — und provozierte damit eine der ersten großen Auseinandersetzungen während des Gründungsprozesses der Linken. Auch Olaf Scholz versucht gerade, die SPD nach den jüngsten Wahl-Desastern mit einem harten Anti-Migrationskurs wieder aus ihrem Tief zu bringen — wenn auch mit ungewissen Erfolgsaussichten.

    Der politische Entwurf des BSW

    Was das BSW mit einigem taktischen Geschick als politischen Entwurf vorlegt, ist grob zusammengefasst eine Art Bündnis zwischen mittelständischem Industriekapital und Arbeiter:innenklasse auf der Basis eines starken Nationalstaats, der dieses Bündnis mit einer umfassenden Sozialgesetzgebung und geschlossenen Grenzen schützen soll. Der Punkt ist nicht nur, dass viele Menschen ihren Wunsch nach Veränderung in Wagenknecht und Co. hineinprojizieren, sondern auch, dass dieses Modell für viele auch erst einmal positiv und plausibel erscheint. Die Position des BSW zu Flucht und Migration rein moralisch zu kritisieren, wird deshalb ebenso wie bei der AfD nur sehr begrenzt weiterhelfen. Für viele Menschen ist es eben nicht selbstverständlich und unmittelbar einsichtig, warum internationale Solidarität statt geschlossener Grenzen auf lange Sicht mehr in ihrem Interesse läge.

    Deshalb müssen wir erstens verstehen, woher der Erfolg von AfD und BSW bei den Arbeiter:innen herrührt, uns zweitens konkret mit diesen Wähler:innen auseinandersetzen und ihnen drittens als Antwort auf AfD und BSW geduldig auseinander legen, warum deren politische Entwürfe ihre Probleme nur scheinbar lösen und sie in Wahrheit verschärfen.

    • Perspektive-Autor seit 2017. Schreibt vorwiegend über ökonomische und geopolitische Fragen. Lebt und arbeitet in Köln.

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