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    Festung Deutschland – Geschlossene Grenzen auf Zeit?

    Innenministerin Nancy Faeser fordert Grenzkontrollen an deutschen Grenzen. Etwas, das lange Zeit als Tabu galt, soll nun rasend schnell umgesetzt werden – schon ab Montag sollen die Grenzen dicht sein. Für Schutzsuchende ist das Recht auf Asyl damit faktisch vorerst abgeschafft. Die Ampel setzt den feuchten Traum aller Rechten durch. – Ein Kommentar von Tabea Karlo.

    Seit geraumer Zeit verschärft sich der Ton der deutschen Politik zur Frage der Asylpolitik. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) legt jetzt noch eins drauf: sie fordert Grenzkontrollen an deutschen Grenzen. Was vor kurzem noch unvorstellbar schien, soll ab kommendem Montag bereits umgesetzt werden. Vorerst für die nächsten sechs Monate. Das Recht auf Asyl wird damit faktisch abgeschafft, denn auch Schutzsuchende dürfen an den Grenzen abgewiesen werden.

    Erst GEAS, jetzt Grenzkontrollen – die Verstümmelung des Asylrechts

    Im letzten Jahr wurde mit der GEAS-Reform der schärfste Einschnitt im europäischen Asylrecht seit seiner Existenz beschlossen. Der Anschlag in Solingen wird genutzt, um mithilfe von rechter Hetze die innere Militarisierung voranzutreiben und zugleich die Rechte von Geflüchteten und Migrant:innen bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln.

    Den ersten Höhepunkt der Debatte bildete das kurz nach Solingen verabschiedete „Maßnahmenpaket”. Mit dem darin erhaltenen Messerverbot und der Ausweitung von Erkennungssoftware wird die Aufrüstung im Innern vorangetrieben. Darüber hinaus wird das Recht von Geflüchteten auf Sozialleistungen eingeschränkt und eine weitere Verschärfung der Abschiebeoffensive angekündigt.

    Nach Anschlag von Solingen – Politik und Staat bereit für den Ausbau der Repression

    Dass Solingen dabei lediglich ein billiger Vorwand ist, zeigt die Tatsache, dass der erste Abschiebeflug nach Afghanistan bereits vor dem Anschlag in Planung war, auch wenn er erst nach Ankündigung der Abschiebeoffensive umgesetzt wurde. Spätestens bei den Messerverboten, der Erkennungssoftware und den gekürzten Sozialleistungen tritt das repressive, aufstachelnde Gesicht des deutschen Staates deutlich zutage: Keine dieser Maßnahmen hat irgend etwas mit Prävention zu tun. Sie beschneiden bloß pauschal die Rechte aller Geflüchteten. Faesers Vorschlag reiht sich also perfekt in den rasanten Rechtsruck ein.

    Der Vorschlag der Innenministerin – alte Ideen in einem neuen Umschlag

    Ihr Vorschlag ist – auch wenn landläufig zurzeit etwas anderes behauptet wird – nicht neu. Grenzkontrollen an den Schengen-Binnengrenzen sind zwar nach EU-Recht nur „ausnahmsweise und vorübergehend“ möglich, diese Begriffe scheinen allerdings eher dehnbar zu sein: Denn seit 2015 gab es EU-weit bereits rund 404 Ausnahmen. Teilweise wurden die Grenzkontrollen dabei bis zu sieben Monate lang durchgezogen. Von den 404 Ausnahmen war in 44 Fällen Deutschland ausschlaggebend. Im letzten Jahr gab es z.B. in Deutschland insgesamt 43 Wochen lang Grenzkontrollen an den Grenzen zu Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz.

    Darüber hinaus wurden im Jahr 2022 an den deutschen Grenzen rund 19.150 Menschen abgewiesen, bis November 2023 waren es rund 26.100 Menschen. Für die Zurückweisung von Migrant:innen gibt es allerdings feste rechtliche Grundlagen.

    Denn bisher sind es vor allem Schutzsuchende, also Menschen, die Asyl beantragen wollen, die nicht abgewiesen werden dürfen – außer dann, wenn einer ihrer Asylanträge in Deutschland bereits abgelehnt wurde. Bisher läuft die Zurückweisung von Migrant:innen vor allem über das Mittel, ihnen den Schutzstatus abzuerkennen – eine Taktik, die bisher für das deutsche Kapital ganz gut funktioniert hat, jetzt aber scheinbar nicht mehr repressiv genug ist.

    Denn die tatsächlich neue Entwicklung in Faesers Vorschlag ist, dass sie das geltende EU-Recht aushebeln möchte und die Möglichkeit einfordert, auch Schutzsuchende abweisen zu können. Dafür soll ein „Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen“ entwickelt werden. In welcher Form sich das auf EU-Ebene genau umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Mit der Zeit lassen sich aber auch Rechte auf dieser Ebene ohne Probleme zurücknehmen, zumindest so lange wir nicht den Kampf dagegen organisieren.

    Grenzkontrollen auf Zeit – was bedeuten die Entwicklungen für die Zukunft?

    Der Vorschlag der Bundesinnenministerin ist zwar rechtlich auf sechs Monate begrenzt, soll aber eigentlich auch langfristig umgesetzt werden. Das zeigt allein schon das sich noch in der Entwicklung befindende Modell für Zurückweisung.

    In der kommenden Zeit ist daher nicht davon auszugehen, dass das Grundrecht auf Asyl restauriert wird, sondern eher, dass der deutsche Staat Wege findet, die derzeitige Entwicklung zu festigen und auszubauen. Andere deutsche Nachbarländer könnten sich dann ein Beispiel nehmen – und ebenfalls Grenzkontrollen einführen.

    Ampel, Konservative und Faschist:innen – alle im Abschiebewahn

    Die von Faschist:innen geforderte „Remigration“ und die harmloser klingende „Zurückweisung” der Ampel sind die gleiche Seite derselben Medaille: Weder klingen die Begriffe großartig unterschiedlich, noch sind sie es inhaltlich. Während die AfD und Konsorten immer offener einen neuen Faschismus propagieren, zieht die Ampel mit anderen Vokabeln und gleichen Taten mit.

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    Sie, aber auch die Oppositions-CDU, prägen dabei vermehrt Begriffe wie „Zurückweisung“ oder Umgang mit „irregulärer“ Migration. Als irreguläre Migrant:innen werden in der Regel Personen bezeichnet, die sich ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland befinden. Dieser Begriff suggeriert die Illusion, dass ein großer Teil der Migration „regulär“ also geregelt ablaufen würde.

    Das stimmt erstens nicht und schiebt zweitens die Schuld für die Flucht den Geflüchteten selbst zu. Der deutsche Staat beteiligt sich also zuerst mit Waffenlieferungen und gegebenenfalls Militär an Kriegen in anderen Ländern und das deutsche Kapital – hier zuvorderst die Rüstungsindustrie – sahnt ordentlich Profite ab, und dann werden Geflüchtete an deutschen Grenzen abgewiesen, weil sie nicht auf die „richtige“ Art geflüchtet sind.

    Die Ähnlichkeit der bürgerlichen Parteien zu den Faschist:innen spiegelt sich dabei aber nicht nur auf der Ebene der verrohenden Sprache wider: mit dem neuen Maßnahmenpaket und den Grenzkontrollen setzt die Ampel heute um, was die AfD und andere faschistische Kräfte gestern noch gefordert haben – ein klassisches Beispiel für einen Rechtsruck.

    Ein Tauziehen nach Rechts mit CDU & Ampel

    Mit den Gesprächen zwischen Faeser und der Oppositionskraft CDU, die am Mittwoch stattgefunden haben, sollte dabei garantiert werden, dass die Union nicht mehr so stark gegen die Ampel schießt. Das hat für die Ampel vor allem taktische Gründe, so fuhr sie bei den Landtagswahlen besonders niedrige Ergebnisse ein und die Zustimmung in der Bevölkerung für die Regierungskoalition hat vor zwei Tagen in den Umfragen ein neues Minus erreicht.

    Die CDU fühlt sich wohl in der Oppositionsposition und nutzt diese, um noch weiter nach rechts zu rücken. Ihnen reicht der Plan der Ampel, das Dublinverfahren zu beschleunigen, nicht aus. Der Plan der CDU fordert eine „eine wirkliche Trendwende in der Migrationspolitik“ und meint damit eine Abschiebe- und Grenzpolitik, die das geltende EU-Recht faktisch außer Kraft setzt. Dafür fordert sie die Einberufung einer Notlage nach Artikel 72 des EU-Vertrags.

    Die Haltung der CDU ist dabei zugleich ein Paradebeispiel für bürgerliche Machtpolitik. So kann ihr relativ egal sein, ob und wie schnell eine Notlage umsetzbar ist. Sie kann die Forderung als Oppositionskraft auch polemisch nutzen.

    Zum anderen zeigt sich eben hier der angesprochene Rechtsruck. Die CDU zieht als Opposition noch weiter nach rechts und bildet damit eine Symbiose mit der Ampel, die sich auf die rechten stehenden Parteien berufen kann, ohne direkt AfD als Beispiel nutzen zu müssen. Und die AfD kann kontinuierlich weiter nach rechts rücken, ohne ihren Anschluss in der Bevölkerung zu verlieren, weil ihre Forderungen zwar radikaler sind, aber der CDU immer gerade eins bis zwei Schritte voraus – jetzt liegt es an uns, ob wir diesem Rechtsruck stillschweigend zusehen, oder ob wir uns dagegen wehren.

    • Perspektive-Autorin seit 2017. Berichtet schwerpunktmäßig über den Frauenkampf und soziale Fragen. Politisiert über antifaschistische Proteste, heute vor allem in der klassenkämperischen Stadtteilarbeit aktiv. Studiert im Ruhrpott.

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