`
Sonntag, September 8, 2024
More

    Schulen in Schleswig-Holstein: Regelmäßiger Unterrichtsausfall und kaputte Schulen

    Teilen

    Fast jede 10. Stunde findet der Unterricht nicht wie geplant statt, einzelne Fächer werden nicht unterrichtet und Schulgebäude verfallen zunehmend. Die Zustände an vielen Schulen in Schleswig-Holstein sind erschreckend. – Ein Kommentar von Marlon Glaiß.

    Schlechte Verhältnisse an Schulen sind sicherlich vielen noch aus eigener Schulzeit, den Schulen ihrer Kinder oder als Lehrkraft selbst geläufig. In Schleswig-Holstein zeigen sich die akuten Probleme derzeitig besonders stark: Nicht nur müssen Kinder oftmals in unsanierten und brüchigen Gebäuden ihren Schultag verbringen, regelmäßig herrscht großes Planungschaos und Unterrichtsstunden finden nicht statt wie vorgesehen oder sie fallen gänzlich aus.

    Es ist klar, dass Schüler:innen unter solchen Bedingungen nicht ungestört lernen können und es ist ebenso klar, dass diese Zustände nicht hinnehmbar sind. Nur scheint sich die Lage nicht zu verbessern, sondern im Gegenteil eher zuzuspitzen.

    Lehrkräftemangel führt zu vielen Problemen

    Aktuell ist es mit 9,5% des Unterrichts fast jede 10. Stunde, die an Schulen in Schleswig-Holstein nicht  verläuft wie geplant. Für Schüler:innen bedeutet das, dass alle 1-2 Tage ihr Unterricht nicht ordnungsgemäß stattfinden kann. Für jüngere Kinder kann das sehr verwirrend sein und macht die Orientierung schwer. Auch kann der häufige Ausfall dazu führen, dass Schüler:innen in den unteren Jahrgangsstufen die Grundlagen für ihre spätere Schullaufbahn nicht richtig verstehen und vertiefen.

    Für Jugendliche heißt das zum Beispiel, ihre Fragen in den betreffenden Fächern vor einem Test nicht noch einmal stellen zu können, oder auf längere Sicht ernsthafte Lücken im Schulstoff zu entwickeln, die für ihre Abschlussprüfungen relevant sind. Nicht nur verlaufen einzelne Stunden anders, als vorgesehen, es fallen sogar Fächer gänzlich aus und ständig wechseln die Lehrkräfte.

    Aus der Reinbeckschule im Kreis Stormarn berichteten Eltern gegenüber dem NDR, dass beispielsweise das Fach Physik in der Oberstufe nicht einmal angeboten werde, Hauptfächer überwiegend von fachfremden Lehrkräften oder Student:innen unterrichtet würden und allein bei einer achten Klasse der Schule bereits 146 Stunden ausgefallen seien.

    Das Nachholen des verpassten Unterrichts muss dann zwangsläufig von den Eltern übernommen werden. Und wenn diese dafür jedoch keine Zeit haben, dann werden die Kinder im Stoff eben schlichtweg abgehängt. Damit wird die Aufgabe des Unterrichtens großteils an die Eltern abgegeben, sodass diese quasi doppelt arbeiten müssen – weil es einfach keine Lehrkräfte gibt.

    Darüber hinaus führen der ständige Ausfall von Schulstunden und die vielen Wechsel der Lehrkräfte dazu, dass es den Schüler:innen fast unmöglich gemacht wird, eine verlässliche Verbindung zu ihren Lehrer:innen herzustellen. Wenn man sich alle paar Wochen wieder den Namen einer neuen Lehrkraft einprägen muss, ist das keine gute Voraussetzung, mit Sorgen oder anderen Anliegen an sie heranzutreten.

    Somit haben die Kinder in der Schule keine Ansprechpartner:innen, wenn sie zum Beispiel Probleme zuhause haben oder in der Schule mit ihren Mitschüler:innen nicht klarkommen. Auch für Schüler;innen mit höherem Förderbedarf stellen die derzeitigen Verhältnisse große Probleme dar und können ihrem Bedarf nicht gerecht werden, wodurch sie oft zusätzlich abgehängt werden und nicht die ausreichende Unterstützung erhalten, die sie dringend brauchen.

    Seit Jahren kein Neubau, stattdessen Container

    Neben dem Lehrkräftemangel kommen noch erschreckende Zustände der Schulgebäude hinzu, die den Kindern und Jugendlichen die Schulzeit erschweren.

    An der Gemeinschaftsschule „Achter de Weiden“ in Schenefeld – einer Stadt im Süden Schleswig-Holsteins – warten sowohl die Schüler:innen wie die Lehrkräfte seit Jahren sehnlichst auf den versprochenen Neubau. Der Bau verzögert sich bereits seit Langem, die Kosten seien zu hoch, so die Bürgermeisterin Christiane Küchenhof. Sie fordert deshalb Unterstützung des Projekts vom Land.

    Bald sollen übergangsweise von der Stadt acht Container bereit gestellt werden. Doch aktuell müssen die Schüler:innen ihren Alltag im heruntergekommenen Schulgebäude verbringen, nicht selten leiden sie dabei unter Kopfschmerzen, ekeln sich oder haben Angst. Manche Decken in Klassenräumen müssen von Holzpfeilern gestützt werden, da sie durch Feuchtigkeit aufgequollen sind. Einsturzgefährdet sollen die Decken angeblich nicht sein – ein mulmiges Gefühl bleibt trotzdem bei denen zurück, die tagtäglich mehrere Stunden in den Räumen verbringen müssen. Auch die Böden haben ihre guten Tage hinter sich: kaputte Teile werden einfach abgedeckt statt repariert. In einem Raum ist sogar der Estrichboden gerissen, und nun klagen Kinder über einen gammeligen Geruch und Kopfschmerzen. Sie geben an, sich unter diesen Umständen weder konzentrieren, noch auf die Schule freuen zu können – und der lang versprochene Neubau scheint auch in naher Zukunft nicht errichtet zu werden.

    Maßnahmen des Landes zur Abhilfe

    Schüler:innen in Schleswig-Holstein leiden also unter permanentem Unterrichtsausfall, Lehrkräftewechsel und vernachlässigten oder maroden Schulgebäuden. Um diesen Zuständen zu begegnen, hat das Bildungsministerium im Februar einen Maßnahmenkatalog vorgestellt. Dieser beinhaltet 13 Vorhaben, mit denen dem Lehrkräftemangel und den Zuständen an den Schulen entgegengewirkt werden soll. Laut aktuellem Stand seien 5 der 13 Maßnahmen bereits umgesetzt worden – ihre Verwirklichung soll zu unterschiedlichen Zeitpunkten stattfinden.

    Eine möglichst schnelle Umsetzung wünscht sich unter anderem auch der Lehrer:innenverband in Schleswig-Holstein. Denn auch die Lehrkräfte leiden massiv unter dem Mangel des Fachpersonals: Sie müssen für fehlende Kolleg:innen einspringen oder ganz deren Arbeit übernehmen und derweil das Chaos an der Schule bewältigen. Viele Lehrer:innen sind daher stark überlastet und drängen auf rasche Abhilfe. Insbesondere in Schleswig-Holstein lockt der Lehrer:innenberuf unter solchen Umständen natürlich nicht mehr viele junge Leute an, sondern treibt sie eher nach Hamburg, um dort zu unterrichten.

    Derzeitig scheint die akut notwendige Besserung jedoch nicht in Sicht. Der Lehrkräftemangel nimmt im Gegenteil weiterhin zu, irregulärer Unterricht somit auch. Die Einrichtungen werden weiter kaputt gespart, und die Arbeit wird einfach nachhause auf die Eltern verlagert. Diese müssen um bessere Bedingungen für ihre Kinder geradezu betteln, Baupläne und ihre Realisierung werden immer weiter hinausgezögert – und das Land scheint die Kosten nicht übernehmen zu wollen.

    • Perspektive-Autor seit 2023 aus dem Brandenburger Osten. Schwerpunkte sind Antifaschismus und Repression. Motto: "Menschen die verrückt genug sind, zu denken sie könnten die Welt verändern, sind diejenigen die es auch tun" - Steve Jobs

    Mehr lesen

    Perspektive Online
    direkt auf dein Handy!

    Weitere News