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Sonntag, September 8, 2024
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    Demokratie gestutzt: Neues Kommunalwahlgesetz stärkt Parteien mit größerem Wahlerfolg

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    Anfang Juli hat der Landtag in Nordrhein-Westfalen ein neues Kommunalwahlgesetz verabschiedet. Nun werden erste Kritiken laut, dass das Gesetz Parteien mit mehr Wahlerfolg zusätzlich begünstigen würde.

    Am 4. Juli wurde in Nordrhein-Westfalen eine Änderung am Kommunalwahlgesetz verabschiedet. Dieses soll bei den nächsten Kommunalwahlen im Herbst 2025 angewendet werden.

    Was sich dröge anhört, dürfte in Zukunft größere Auswirkungen haben: denn im Kommunalwahlgesetz werden die Sitzzuteilungen geregelt, also wer letztendlich wie stark in den Kommunalparlamenten sitzt. Es legt das Verfahren fest, auf welche Art die Stimmen, die eine Partei in der Kommunalwahl erringt, später in gewonnene Sitze umgerechnet werden.

    Die nun beschlossenen Änderungen sind politisch brisant: Mit dem neuen Gesetz werden nämlich in Zukunft faktisch größere Parteien in der Sitzzuteilung begünstigt. Der Antrag dazu wurde durch die Fraktionen CDU, SPD und Grüne gestellt – also ausgerechnet denjenigen Parteien, die derzeit die meisten Stimmen erhalten. Wie funktioniert diese Begünstigung?

    Aufrundung zugunsten großer Parteien

    Im Verfahren der Sitzverteilung nach einer Wahl erfolgen grundsätzlich zwei Berechnungsschritte.

    Zuerst wird für jede Partei ein „idealer” Anspruch berechnet. Hierbei wird der Stimmanteil der Partei mit der Gremiengröße multipliziert, also der Zahl der im jeweiligen Kommunalparlament zu vergebenden Sitze.

    Ein Beispiel: Hätte ein Gemeinderat 65 Sitze zur Verfügung und eine beliebige Partei würde 25 Prozent der Stimmen erzielen, ständen ihr in der Theorie 16,25 Sitze zur Verfügung. Der Beispielpartei stehen also eindeutig mindestens 16 Sitze zur Verfügung, doch die Frage ist: Was passiert mit den restlichen 0,25 Sitzen? Denn bei der Errechnung des Idealanspruchs kommen in den seltensten Fällen gerade Zahlen heraus. Es muss also ein Verfahren festgelegt werden, um die Sitze endgültig festzulegen.

    Bisher wurde hier das „Divisorverfahren””verwendet, dasselbe System wird auch für die Bundestagswahlen genutzt. Bei diesem Verfahren wird auf die nächsthöhere Zahl aufgerundet, sobald der Bruchteilrest über 0,5 liegt. Hier werden Sitze unabhängig von der Größe der Parteien gerundet.

    Im NRW-Landtag soll nun etwas anderes gelten: In Zukunft wird nämlich der zweite Schritt verändert. Der ungerundete Idealanspruch (z.B. 16,25) wird durch den auf die nächste ganze Zahl gerundeten Idealanspruch (z.B. 17) geteilt. Anschließend wird 16,25 durch 17 dividiert – heraus kommt ein Quotient von 0,955. Wer jedoch weniger Sitze erhält (z.b. nur 12,25), der erhält auch ein geringen Quotienten – in dem Fall 0,942.

    Stellen wir uns nun vor, dass nach Verteilung der „Mindestsitze” noch 3 Sitze in einem Gemeindeparlament übrig bleiben, aber fünf Parteien gewählt sind. Dann werden die drei Sitze auf die 3 Parteien mit den höchsten Quotienten aufgeteilt. Dabei ist es egal, ob sie eigentlich 18,1 oder 18,9 Sitze bekommen hätten. Auch dann wenn z.B. eine von ihnen nur einen „idealen” Anspruch von 16.1 Sitzen hatte, bekommt sie den Sitz dazu. Die vierte Partei würde einen Sitz weniger bekommen: auch wenn sie beispielsweise 15.9 Stimmen erreicht hat, würde sie dann nur 15 erhalten.

    Ist die neue Sitzverteilung gerecht?

    Die Gesetzesgrundlage wurde vor dem Hintergrund verabschiedet, dass im Kommunalwahlgesetz selbst festgehalten ist, dass dieses „unter Berücksichtigung der Veränderungen im Landtags- und Bundestagswahlrecht sowie der Erfahrungen in der Verwaltungspraxis” vor jeder Kommunalwahl entsprechend überprüft und gegebenenfalls angepasst werden soll.

    Unter anderem der Rechtsanwalt Sebastian Roßner aus Köln kritisiert jedoch das neue Kommunalwahlgesetz in der Legal Tribune Online, einem juristischen Magazin: Das neue Verfahren würde die Ungleichheiten zwischen den Erfolgswerten nicht vermindern, sondern vergrößern. Das neue Rechnungsverfahren sorge systematisch dafür, dass Parteien mit einem größeren Wahlerfolg eine größere Chance auf die Restsitze erhielten.

    Roßner hält es für durchaus möglich, dass das Sitzzuteilungsverfahren einen verfassungsrechtlich relevanten Fehler enthält. Er argumentiert, dass vor dem Gesetz jede Wähler:innenstimme dieselben Erfolgschancen haben müsse.

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