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Sonntag, September 8, 2024
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    Esperanto im Kampf gegen Großmacht-Interessen

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    Am 26. Juli feierte die Plansprache „Esperanto” Geburtstag. – Ein Kommentar über die politische Geschichte des Esperanto von Wolff-Leo Roth

    Die Grundlagen der internationalen Sprache „Esperanto” wurden am 26. Juli 1887 von Ludwik Zamenhof in Warschau veröffentlicht. Zamenhof wurde 1859 geboren und lebte zunächst in Bialystok. Dort erfuhr er die Feindschaft zwischen den Bevölkerungsgruppen der Stadt, insbesondere zwischen Juden, Russen, Deutschen und Polen, die sich kaum verständigen konnten – es gab oft Konflikte.

    Eine internationale Sprache, die rasch zu erlernen ist

    Schon als Jugendlicher kam Zamenhof auf die Idee einer gemeinsamen internationalen Sprache, um die Konflikte friedlich zu lösen. Seine virtuelle Sprache, Esperanto, ist möglichst einfach und regelmäßig aufgebaut. Man kann Esperanto in ungefähr einem Viertel der Zeit lernen, die für dasselbe Niveau in Englisch oder Spanisch nötig wäre.

    Mittlerweile ist Esperanto eine lebende Sprache geworden und es gibt eine Esperanto-Literatur von vielen tausend Büchern. Das Esperanto-Wikipedia umfasst etwa 350.000 Artikel, „Duolingo” bietet einen Esperanto-Kurs an, China veröffentlicht täglich Nachrichten in Esperanto und auch ChatGPT spricht Esperanto.

    Schnell zu lernende Sprache heißt:
    mehr Menschen können sie lernen

    Eine Sprache wie Englisch ist zwar für Deutsche relativ leicht erlernbar, weil beides germanische Sprachen sind. Muttersprachler:innen von Spanisch, slawischen Sprachen, Ungarisch oder asiatischen Sprachen wie Chinesisch und Japanisch haben hingegen mehr Schwierigkeiten. Japaner brauchen oft etwa 4.000-5.000 Stunden, um Englisch fließend zu sprechen. Für Esperanto genügen für sie etwa 1.000 Stunden.

    Weil Esperanto so viel einfacher ist als andere Sprachen, ist es auch besonders für Personen mit geringerer Bildung deutlich erreichbarer, die teilweise am Englischen scheitern. Auch sie können mit Esperanto Zugang zu internationaler Verständigung erlangen.

    Esperanto in der Arbeiterbewegung

    Esperanto bietet sich vor allem für die internationale Kommunikation der Arbeiterschaft an. Seit den 1920er Jahren gab es viele aktive Esperanto-Gruppen in der Arbeiterbewegung – unter anderem führten viele eine Arbeiter:innen-Korrespondenz mit Gruppen in der Sowjetunion. 1922 gründete sich etwa die „Sennacieca Asocio Tutmonda“ (SAT, nationslose Vereinigung der ganzen Welt) – ein Dachverband verschiedener linker Gruppen, der bis heute besteht.

    Esperanto-Unterdrückung im Faschismus

    Demgegenüber war der Faschismus stark national ausgerichtet. Schon in Hitlers „Mein Kampf“ wird Esperanto erwähnt und als Mittel der Jüd:innen diffamiert, das ihnen eines Tages bei der Beherrschung anderer Völker helfen könnte.

    1933 wurde der seit den 1920er Jahren bestehende Esperanto-Unterricht an Schulen in Deutschland unterbunden. Sozialistische und kommunistische Esperanto-Vereinigungen wurden umgehend verboten. 1935 wurden auch die „bürgerlichen“ Esperanto-Organisationen zur Selbstauflösung gezwungen.

    Sprachwissenschaft oft ahnungslos

    Viele Sprachwissenschaftler:innen, speziell Anglist:innen und Romanist:innen, sind leider nicht mit der Esperanto-Sprachpraxis vertraut. Sie wissen oft nicht, dass es Bücher in Esperanto gibt, Lieder und insgesamt eine reichhaltige internationale Esperanto-Kultur. Manche nehmen daher an, aus dem Sprachprojekt von 1887 sei bis heute keine richtige Sprache geworden. Manche Äußerungen zu Esperanto sind offen feindlich.

    Esperanto diffamieren: Gut für Englisch!

    Manchmal wird Esperanto sogar als Bedrohung für Anglistik oder Romanistik empfunden — schließlich bestand der Vorschlag für Esperanto für lange Zeit darin, dass es als erste Sprache an allen Schulen gelehrt werden solle. Auch Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen reagieren auf Esperanto oft mit der Befürchtung, dass damit ihre Arbeit überflüssig würde.

    Offensichtlich scheint es aber im Interesse Großbritanniens und der USA zu liegen, das Englische auf der Welt zu verbreiten — und möglichst nicht Esperanto. Wohl auch deshalb werden über Esperanto viele Unwahrheiten verbreitet — bis hin zu den absurden Behauptungen, niemand spräche Esperanto, es gäbe keine Sprachpraxis oder es sei gar keine Sprache.

    Auch ist das Esperanto vom „Bundeswettbewerb Fremdsprachen” der Gesellschaft „Bildung & Begabung”, einem Wettbewerb an Schulen, ausgeschlossen (selbst im „Team Beruf“ ). Dieser Ausschluss scheint klar unvereinbar zu sein mit der Gleichheit der Menschen (Art. 3 Grundgesetz) oder mit Art. 22 der Grundrechte-Charta der EU: „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.“. Unzutreffende Aussagen zu Esperanto findet man auch etwa in Frankreich in Antworten des Erziehungsministeriums oder des Kulturministeriums auf parlamentarische Anfragen zu Esperanto. Auch dort ist man offensichtlich über die Esperanto-Muttersprachler sowie über die Esperanto-Literatur und -Kultur nicht ausreichend informiert. Andererseits hat Polen 2014 das Esperanto als Träger der Esperanto-Kultur auf die Liste des immateriellen Kulturerbes gesetzt. Auch Kroatien hat 2019 die Esperanto-Kultur als Kulturgut anerkannt.

    British Council als Mittel des Kulturimperialismus

    In den 1930er Jahren gründete das britische Außenministerium den „British Council“, mit dem Ziel, die englische Sprache und Kultur auf der Welt zu verbreiten und britischen Interessen zu dienen. „Across Europe and the wider world, Britains influence in trade and diplomacy was under significant challenge. One of the ways that the government reacted to the growing threat to British interests was the creation of the British Council.“ (Dt: Der britische Einfluss stand in Europa und der ganzen Welt auf dem Prüfstand. Ein Mittel, das die Regierung der wachsenden Bedrohung britischer Interessen entgegensetze, war der British Council.“, aus: „Linguistic Imperialism“ von Robert Phillipson).

    In den 1950er Jahren gab es britisch-US-amerikanische Konferenzen, um die Verbreitung des Englischen auf der Welt stärker zu fördern. Englisch zu verbreiten erschien auch wichtig, um die westliche Sicht auf die Welt zu begünstigen.

    Englisch im Interesse der USA

    David Rothkopf, ein US-amerikanischer Autor, Publizist und zeitweise Mitarbeiter der US-Regierung (unter Bill Clinton), hat in einem Artikel 1997 seine Auffassung zu einer Weltsprache dargelegt: Es sei im ökonomischen und politischen Interesse der Vereinigten Staaten, sicherzustellen, dass, wenn sich die Welt in Richtung einer gemeinsamen Sprache bewege, diese Englisch sei.

    Englisch nur teilweise erfolgreich als Weltsprache

    Etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung sind allerdings immer noch von der englischsprachigen Welt ausgeschlossen. Wohl nur mit Esperanto ist vorstellbar, dass sich ein wirklich großer Teil der Welt miteinander unterhalten kann. Die rasche Erlernbarkeit ist hier das wichtigste Argument. Zunächst wird Esperanto hierbei ergänzende Sprache sein, vor allem für diejenigen, die mit Englisch bis dahin keinen Erfolg hatten.

    Es ist sicher kein Zufall, dass sich gerade in den Jahrzehnten um 1930 bis 1960 die Bewegung für eine stärkere weltweite Verbreitung des Englischen gebildet hat. Schließlich waren das stete Anwachsen der Bevölkerung und damit die Macht der USA nicht mehr zu übersehen: 1850 hatten die USA noch etwa 23 Millionen Einwohner:innen, ähnlich wie Deutschland (30 Mio.) oder Frankreich (37 Mio.), um 1900 schon etwa 76 Millionen, 1950: 151 Millionen, heute über 330 Millionen.

    1850 – 1950: Die USA überholen Europa

    Zusammen mit der Bevölkerung von Großbritannien war Englisch somit auf ein Mehrfaches der Sprecherzahl des Deutschen oder Französischen angewachsen — aus dem vorherigen Gleichgewicht der drei Wissenschaftssprachen Englisch, Französisch und Deutsch bildete sich immer mehr eine Vormachtstellung des Englischen, getragen von der viel größeren Zahl an Muttersprachler:innen und Wissenschaftler:innen.

    Bürger/innen gegen Großmächte

    Insgesamt ist die Auseinandersetzung zwischen Esperanto und Englisch (sowie anderen imperialen Sprachen) geprägt vom Kampf von Bürger:innen gegen die Interessen von Großmächten. Zwar haben die Großmächte mehr Mittel, um ihre nationalen Sprachen gegenüber Esperanto zu fördern, aber es werden offensichtlich eine Menge von Falschinformationen verbreitet, die man leicht anfechten kann. Trotz der ungleichen Machtverhältnisse und dank der vielen Vorteile des Esperanto verbreitet sich diese Sprache daher mehr und mehr.

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